Gevelsberg. Die Geschichte von Bernd Kumpe hat alles, was es für ein gutes Drehbuch braucht: Betrug, eine kartellartige Familie und eine unerwiderte Liebe.

An einem Imbiss in Mexiko-Stadt verschlingt eine Gruppe von jungen Männern einen Taco nach dem anderen. In der Hand immer eine Cola. Die Hitze drückt. Wenige Meter von den Profisportlern entfernt liegen die Wässer der „Pista Olimpica“, der Olympischen Strecke. Doch dass die Mittelamerikaner sich mit ihrer Lieblingsspeise nach dem Sport den Bauch vollschlagen, stört ausgerechnet einen Deutschen. Er schleppt sie in das nächste Steakhouse, wo es von nun an nur noch Bier und Fleisch für die Ruderer gibt – und das für ein Jahr lang täglich.

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Dieser Deutsche, welcher für die ungewöhnliche Ernährungsumstellung bei den Männern sorgte, ist der Gevelsberger Bernd Kumpe. Im Jahre 1971 war das seine erste Amtshandlung, als er vor über einem halben Jahrhundert Trainer bei der mexikanischen Marine wurde. Ein Jahr lang trainierte er die besten Ruderer des mittelamerikanischen Landes. Er führte sie dabei im Eiltempo von einem überraschenden Erfolg zu dem nächsten.

Wenig Zeit und viel Steigerungsbedarf

Man darf daran zweifeln, dass ausgerechnet das Bier für den Triumphzug verantwortlich war. Auch das Steak dürfte wohl nicht die größte Rolle gespielt haben. Doch die Anekdote verdeutlicht, dass mit dem Deutschen große Veränderungen bei der mexikanischen Ruder-Elite vorgenommen wurden. Schließlich hatte sich Kumpe viel vorgenommen. Sechs Wochen nach seinem Amtsantritt sollten schon die nationalen Meisterschaften stattfinden, bei denen er Großes vor hatte. Deswegen musste er die Athleten in nur kürzester Zeit in Topform bringen.

Bernd Kumpe (rotes Polo) erklärt den Mexikanern, wie er sich das Training vorstellt. In fast allen Berichten schreiben die mexikanischen Journalisten seinen Namen falsch.
Bernd Kumpe (rotes Polo) erklärt den Mexikanern, wie er sich das Training vorstellt. In fast allen Berichten schreiben die mexikanischen Journalisten seinen Namen falsch. © Marinko Prša

Um zu verstehen, wie ein Gevelsberger überhaupt zu so einem außergewöhnlichen Job in Mexiko kam, geht es drei Jahre in die Vergangenheit. Es war das Jahr 1968, als seine Geschichte mit dem wohl unscheinbarsten Gegenstand begann, den man sich als Ausgangspunkt nur vorstellen kann: einem Klebebild, ähnlich wie man es aus Sammelheften zu großen Fußballturnieren kennt. Auf dem Sticker, welchen er bei seinem ersten Besuch in Mexiko bei den Olympischen Spielen 1968 klaute, war ein Presseausweis abgebildet.

Aus einer losen Bekanntschaft wird ein Job-Angebot

Die Bescheinigung klebte er auf seine Kameratasche, welche von nun an sein Leben auf den Kopf stellte. Denn mit dem stibitzten Ausweis ging Kumpe überall hin, wo er wollte. Er spazierte zu den Stars im Olympischen Dorf oder besuchte das Fußballfinale zwischen Ungarn und Bulgarien im legendären Aztekenstadion. Immer im Schein ein Journalist zu sein. Bei einem dieser Events lernte er dann eine mexikanische Familie kennen.

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„Sie waren unglaublich reich und hatten großen Einfluss in Mexiko“, erzählt er. Vorerst sollte es jedoch nur bei einer Bekanntschaft bleiben. Nach den Spielen reiste Kumpe wieder von Mexiko nach Deutschland. Erst als die Fußball-WM 1970 zwei Jahre später im selben Land ausgetragen wurde, entwickelte sich aus der losen Bekanntschaft eine außergewöhnliche Geschichte.

Plötzlich Mitglied der mexikanischen Marine

Die Familie lud ihn zu dem Fußballturnier ein. Zwischen den Spielen und einem Dosenbier, das er einem gewissen Franz Beckenbauer schenkte, fädelte die Familie einen folgenschweren Deal ein. Sie sorgten dafür, dass der Gevelsberger der Trainer der Ruderer der mexikanischen Marine wurde – inklusive Uniform und einem Militärgrad.

Bei einer Siegerehrung steht Bernd Kumpe zwischen seinen Schützlingen. Ganz rechts ist die Frau zu sehen, die Kumpe später heiraten sollte – was er aber ablehnte.
Bei einer Siegerehrung steht Bernd Kumpe zwischen seinen Schützlingen. Ganz rechts ist die Frau zu sehen, die Kumpe später heiraten sollte – was er aber ablehnte. © Marinko Prša

Als er dann nach dem ersten Training sah, wie sich seine neuen Schützlinge Tacos gönnten, probierte er ebenfalls einen. „Was mir nicht bekommt, kann für meine Jungs auch nicht gut sein“, begründet er das damalige Taco-Verbot. „Bier und Fleisch haben mir dagegen immer geschmeckt“, meint er. Ab sofort lungerten nicht mehr jeden Tag zwanzig muskuläre Männer um den Taco-Stand unmittelbar vor ihrer Trainingsstätte.

Sein Bild hängt direkt neben Brigitte Bardot

Von nun an pilgerte die ganze mexikanische Horde nach dem Sport immer in das nahe gelegene Steakhouse. Mit seinen Ruderern war Kumpe damals so oft in der Gaststätte, bis er nach einiger Zeit mit einem Wandteller in dem Lokal verewigt wurde – neben dem vom Model Brigitte Bardot.

Sechs Wochen später: Bei den landesweiten Meisterschaften stand Ruben Apoute Reyuoso mit seinen Mannschaftskollegen ganz oben auf dem Treppchen. Eine Medaille schmückte den Hals des Mexikaners. Reyuoso war einer von den Athleten, welche der Gevelsberger mit seinen Trainingsmethoden in kürzester Zeit zu den besten des Landes formte. Insgesamt drei Siege fuhren die von Kumpe betreuten Ruderer ein. „Wir haben nach sechs Wochen schon gefühlt alles abgesahnt, was überhaupt möglich war“, erinnert sich der deutsche Trainer.

Auf einem Vulkan findet Kumpe neue Athleten

Doch nicht nur der dreifache Erfolg stand bei den Wettkämpfen am Ende zu Buche. Auch die ungewöhnlichste Podestplatzierung geht auf das Konto von den Ruderern der mexikanischen Marine. Diese hat mit einem der aktivsten Vulkane in dem mittelamerikanischen Land zu tun. Es geht um den Berg „Popocatépetl“, den Kumpe in den ersten Wochen in seiner neuen Heimat erklimmen wollte. Dabei traf er auf sechs Männer. Diese überredete er kurzerhand zum Rudern. Als sie dann bei den Meisterschaften an den Start gingen, fuhren sie sofort auf den dritten Platz. „Das war in einer so kurzen Zeit eigentlich überhaupt nicht möglich“, weiß auch der Gevelsberger.

Mit den Siegen wurden die Ruderer in der mexikanischen Hauptstadt schnell berühmt. In der „Zona Rosa“, einem Viertel im Stadtzentrum, wurden sie immer erkannt. „Jeder wollte mit uns reden und wir haben immer Freibier bekommen“, erzählt Kumpe. Grund waren auch die internationalen Erfolge. Denn bei den Panamerikanischen Spielen sorgten die Athleten mit ebenfalls drei Goldmedaillen für großes Aufsehen. Normalerweise war es bis dahin für die Ruderer schon ein Erfolg gewesen, wenn sie mal in den Endlauf kamen.

Bernd Kumpe wird in den mexikanischen und deutschen Medien für seine Erfolge erwähnt.
Bernd Kumpe wird in den mexikanischen und deutschen Medien für seine Erfolge erwähnt. © Marinko Prša

Mit dem Weg über einen Klebesticker zum Trainer der besten nationalen Rudern war der Höhepunkt erreicht. Doch auch das Ende des einjährigen Abenteuers in Mexiko könnte für eine eigene Geschichte reichen. Denn die Familie, welche ihm seinen Job einst erst ermöglichte, wollte nach einiger Zeit, dass der Deutsche ihre Tochter heiratet. „Sie hatten schon alles vorbereitet für unsere mögliche Hochzeit“, erzählt er von damals. Schließlich war die Tochter über beide Ohren in ihn verliebt – was dem Gevelsberger beim Erzählen auch heute noch ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

Ohne Gefühle kein neuer Vertrag

„Ich hatte aber keine Gefühle für sie und habe das ganze nur ein wenig ausgenutzt“, schmunzelt er über die damalige Zeit. Die Folge: Als er sich nicht vermählen wollte, sorgte die Familie dafür, dass sein Vertrag nicht verlängert wurde. Er verließ das Land und kehrte wieder nach Deutschland zurück.

Wir sind zurück in der Gegenwart. Während Kumpe in Gevelsberg sein Leben genießt, hängt in Mexiko wohl noch sein Wandteller in dem Steakhouse von früher. Und vielleicht legt sein ehemaliger Ruderer Reyuoso mal seinen Taco aus der Hand und besucht das Lokal – wo er die Aussicht auf das heute 87-jährige Modell Bardot und seinen heute 77-Jährigen ehemaligen Weggefährten bei Bier und Fleisch genießen kann.