Schwelm/Gevelsberg. Es gibt kaum Spieler mit ausländischen Wurzeln bei HSG Gevelsberg-Silschede und TG RE Schwelm. Das sind die Gründe.
Möller, Schmitz, Brockhaus, Scholz, Wulf, Lindemann – die Nachnamen der Top-Spieler der heimischen Handballclubs HSG Gevelsberg-Silschede und TG Rote Erde Schwelm gehen dem deutschen Muttersprachler leicht über die Zunge. Auf den Mannschaftsfotos – egal ob Damen, Herren, Minis oder Oldies – gibt es kaum jemanden mit dunkler Hautfarbe oder dem der geneigte Betrachter das oft zitierte „südländische Aussehen“ bescheinigen würde. Handball ist ein deutscher Sport – der Anteil an Menschen mit ausländischen Wurzeln ist erheblich kleiner als an der Gesamtbevölkerung. Eine Spurensuche nach dem „Warum“ mit HSG-Chef Christof Stippel und Dustin Otto, der bei der Roten Erde der stellvertretende Leiter der Handballabteilung ist.
Eine Sache machen beide sofort klar: „Uns ist es vollkommen egal, woher jemand kommt, der bei uns Handball spielt.“ Ebenso deutlich macht Dustin Otto: „Ich glaube, es ist der immensen Popularität und der riesigen Vermarktung des Fußballs geschuldet, dass wir Handballer in den Hintergrund gedrängt werden.“ Es zeigt sich deutlich auf den Spielerbögen, dass die Fußball-Vereine überhaupt keine Probleme haben, Kinder aus anderen Kulturkreisen zu gewinnen.
Das Phänomen hat Sportsoziologin Carmen Borggrefe von der Universität Stuttgart intensiv untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass der Zugang zum Handball für Migranten oft schwer sei. In den Herkunftsländern – wie in der Türkei – spielt Handball oft überhaupt keine Rolle. Außerdem sei es in vielen Familien selbstverständlich, dass die Jungen Fußball spielen. Laut der Wissenschaftlerin müssten sich türkisch-stämmige Jungen in ihrer Community oft dafür rechtfertigen, wenn sie sich einem anderen Sport zuwenden. Dazu komme das sehr deutsche Image des Handballs.
Flüchtlinge gingen
Christof Stippel kann aus eigener Erfahrung berichten, denn zum Höhepunkt der Flüchtlingswelle hat sich die HSG intensiv in Gevelsberg in der Integrationsarbeit engagiert. „Wir haben die Geflüchteten zu unseren Spielen eingeladen, wir haben Handball-Camps veranstaltet. Unsere Stammzuschauer haben die Syrer, die in erster Linie zu uns kamen, um sich den Handball anzuschauen, offen und mit Freude empfangen.“ Jetzt – vier, fünf Jahres später – sind davon geblieben als aktive Spieler: null. Als Zuschauer: manchmal vereinzelte. Anders sieht das beispielsweise bei den Migranten aus Kroatien und den angrenzenden Staaten aus. „Unser Trainer Sascha Simec und unser Neuzugang Domagoj Golec sind nur zwei Beispiele. Dort ist Handball auch ein Sport, der die Menschen interessiert.“
Für Stippel ist neben den oben genannten Gründen auch die Komplexität des Handballs dafür verantwortlich, dass der dem Fußball in der Popularität vom Jugend- bis zum Profibereich nicht einmal ansatzweise das Wasser reichen kann: „Fußball ist für das reine Zustandekommen eines Spiels schneller zu lernen.“ Das macht die Sache bei Sprachbarrieren natürlich leichter, als wenn jemand bei null mit einem Sport anfängt, den er möglicherweise noch nie gesehen hat.
Mädchenbereich bricht weg
Dustin Otto hat das Thema trotzdem auf der Agenda: „Migration und Integration sind natürlich Dinge, die wir auf dem Schirm haben, ebenso wollen wir uns dem Thema Inklusion widmen. Aber das ist Stand jetzt alles Zukunftsmusik.“ Aktuell müssten sich die Verantwortlichen der RE-Handballer mit den Auswüchsen der Corona-Pandemie beschäftigen, und dies binde enorme Kapazitäten. „Wenn wir wieder in geregelten Bahnen sind, werden wir uns aber mit diesen Themen beschäftigen.“
Die HSG ist da schon einen Schritt weiter: „Wir gehen in die Schulen wir haben unseren Handball-Kindergarten in Silschede, in den die Kinder direkt nach dem Mutter-Kind-Turnen gehen.“ Wolle man die Kleinen – unabhängig von der Nationalität – für den Handball begeistern, müsse man sie früh abgreifen.
Insbesondere bei den Mädchen sei ein großer Einbruch zu verzeichnen, was neue Spielerinnen anbelangt. „Oder deutlich gesagt: Uns bricht nach uns nach der komplette Mädchenbereich weg“, sagt der HSG-Manager. Damit sei der Handball aber nicht allein, betont Stippel und verweist erneut auf die Übermacht des Fußballs, in dessen Schatten die anderen Sportarten um Mitglieder kämpfen.
Traum von Multi-Kulti-Truppe
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Einen Schlüssel sieht er in der Begeisterung von Migranten: „Ich schätze grob, dass wir einen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund von etwa zehn Prozent haben. Wir wollen vor allem im Kinderbereich ansetzen, um diese Zahl zu erhöhen.“ Alle würden gut aufgenommen. Handballer seien eine sehr aufgeschlossene Gemeinschaft und er würde gern eine Multi-Kulti-Truppe auf dem Feld sehen.
Christof Stippel weiß aber genauso wie Dustin Otto, dass das im Handball – egal ob in Gevelsberg, in Schwelm oder in anderen Teilen Deutschlands – noch ein langer Weg sein wird, der über dem Fortbestand von Vereinen mitentscheidet.