Schwelm. Vor etwa zwei Jahren bekommt die Schwelmerin die Diagnose Brustkrebs. Die Krankheit besiegt sie auch, weil ihr Verein immer für sie da ist.

Die Erschöpfung überwiegt, als Kristina Kühner Anfang Juni aus dem Mittellandkanal in Steinbeck steigt und den Transponder an ihren Staffelkollegen Karsten Köhnke übergibt. Auf die Erschöpfung folgt die Erleichterung, auf die Erleichterung folgt der Stolz. Hinter der Schwelmerin liegen zwei Jahre, in denen ihr Leben ungewollt auf links gedreht wurde. Zwei Jahre, in denen sich Kristina Kühner aber nicht hat unterkriegen lassen. Vor allem der Sport bei der RE Schwelm und ihre Kinder haben ihr Kraft gespendet, als die 48-Jährige nach der Diagnose Brustkrebs erst einmal am Boden war. Doch das Ziel, an einem Triathlon teilzunehmen und dabei eigene Hürden zu überwinden, haben der Schwelmerin neuen Mut geschenkt.

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Als Kristina Kühner im Juli 2022 die Diagnose Brustkrebs bekommt und das einem ihrer Arbeitskollegen schildert, bricht sie in Tränen aus. Eine Frau, die immer versucht hat, klarzukommen mit den Umständen, die das Leben ihr bereitet hat. Als sie und ihr damaliger Partner sich eine Wohnung kaufen, verlässt sie ihr Partner. Kühner bleibt allein zurück, mit den zwei Kindern, arbeitet im Schichtdienst. „Das musste ich ja alles regeln“, sagt sie. Ihre Kinder helfen ihr dabei, indem sie ebenfalls Verantwortung übernehmen im Haushalt und für sich selbst. „Sie mussten früh erwachsen werden“, sagt ihre Mutter heute.

Immer wieder steht Kühner nach Rückschlägen auf

All das bedeutet Druck und Stress für die alleinerziehende und berufstätige Mutter. Zwar lebt sie gesund und treibt auch regelmäßig Sport, doch ihr Arzt schildert ihr nach der Diagnose, dass auch der Stress eine Rolle gespielt haben könnte. „Schauen Sie doch einmal, wie Sie die letzten Jahre gelebt haben“, sagt er zu ihr. Als sich Kühner ihrem Arbeitskollegen anvertraut, fühlt sie sich trotz der Diagnose gar nicht krank, nur mental ist sie nicht auf der Höhe, um in ihrem damaligen Beruf als Werkzeugmechanikerin zu arbeiten. Kurz nach der Diagnose muss sie auch nicht mehr arbeiten, denn eine erste Operation wird fällig, um die Tumore zu entfernen. Es ist der Auftakt einer langen Reise bis zu ihrer Heilung.

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Auf dieser Reise durch eine physisch wie psychisch kräftezehrende Chemotherapie kann Kühner nicht vom Sport lassen. Sie braucht das. Unter Menschen kommen, austauschen, den Kopf beim Laufen ausschalten. Monatelang geht das so. „Der Verein hat mich aufgefangen“, sagt sie heute. Auch, als sich herausstellt, dass die erste Operation und die erste Phase der Chemotherapie nicht ausreichend waren, um den Krebs zu besiegen. Wieder fünf Monate Therapie, wieder geht die Chemo an die Substanz.

„Man fühlt sich so winzig neben diesen mächtigen Bergen.“

Kristina Kühner, Ausdauersportlerin aus Schwelm

Und was macht Kühner? „Ich wollte unbedingt mit auf die Ski-Freizeit und habe bei meinem Arzt danach gefragt, ob das in die Therapie passt“, sagt sie. Der Arzt habe sie daraufhin schräg angeschaut, schließlich sollte auch die kleinste Infektionskrankheit oder Verletzung während einer solchen Therapie unbedingt vermieden werden. Letztlich stimmt er aber zu. Auf der Freizeit fährt Kühner dann nicht so viel wie sonst, kann sie auch gar nicht. Aber sie lebt und liebt die Berge. „Man fühlt sich so winzig neben diesen mächtigen Bergen“, sagt sie.

RE Schwelm hat großen Anteil an mentaler Gesundheit

Eine Auszeit ist die Ski-Freizeit, ehe es in den Therapie-Alltag geht. Irgendwann, und Kühner wusste das dieser Tag irgendwann kommen würde, sitzt sie auf ihrer Couch und geht sich durch die Haare - die sie anschließend in ihren Händen hält. „Auch wenn du weißt, dass das irgendwann passiert, ist der Moment scheiße“, gibt sie offen und ehrlich zu. An den Tagen, an denen sie die Spritzen bekommt, ist sie fertig. Teilweise erkennt sie sich selbst nicht wieder. Schokolade, vor der Diagnose nie ein Gelüst, wird zum Höhepunkt. Eines Tages hat ihr Sohn die Schokolade gegessen, Kühner fährt aus der Haut. Teilweise erkennt sie sich selbst nicht wieder. In dieser Zeit hilft nicht viel, was aber hilft, ist ihr Verein. „Die Rote Erde hat einen großen Anteil an meiner mentalen Gesundheit“, sagt sie heute.

Was ebenfalls hilft, ist der Blick auf das Schwelmer Hallenbad aus ihrer Wohnung. Zwar geht Kühner weiter viel laufen, allerdings „hat das kaum etwas mit Laufen zu tun“, wie sie heute sagt. Also eben Schwimmen. Gemeinsam mit einigen Freundinnen fängt Kühner mit dem Schwimmen an, obwohl sie das „Kacheln zählen“ eigentlich abgrundtief hasst. In ihrer Reha nach einer zweiten Operation und der zweiten Chemotherapie hatte sie damit angefangen, schwimmt dort jeden Tag 500 Meter. Ende vergangenen Jahres macht sie mit ihren Freundinnen die Teilnahme an einem Staffeltriathlon fest.

Kristina Kühner (Mitte) kurz vor dem Sprung in den Mittellandkanal in Steinbeck.
Kristina Kühner (Mitte) kurz vor dem Sprung in den Mittellandkanal in Steinbeck. © RE Schwelm | RE Schwelm

Allerdings bringt der Triathlon in Steinbeck eine Besonderheit mit sich, denn geschwommen wird dort im Freiwasser. „Ich habe das mal getestet und bin nach wenigen Minuten wieder aus dem Wasser. Dieser Blick ins Nichts ist nichts für mich“, sagt sie. Ihr Sohn hilft ihr, „todesmutig“ ohne Neoprenanzug, in der Bever dieses Unbehagen im offenen Gewässer abzulegen.

Am Start ist dann doch alles anders

Und doch ist dann alles anders. Beim Start geht Kühner mit der Menge mit, versucht das Tempo der anderen Starterinnen zu halten. „Irgendwann ging es aber nicht mehr, ich habe keine Luft mehr bekommen“, sagt sie. Aufgeben ist aber keine Option, also schwimmt die Schwelmerin fortan Brust, auch wenn sie und ihre Staffel das einiges an Zeit kostet.

Doch all das ist egal. Kristina Kühner ist angekommen und hat ihren Teil zum Mannschaftserfolg geleistet. Sie ist wieder mittendrin im Leben – und das ist mehr wert als jede Medaille, die sie hätte gewinnen können.