Trier/Bestwig. Für Christof Osebold aus Bestwig erfüllt sich ein Lebenstraum: Der Unparteiische ist bei Olympia in Tokio aktiv. Die ganze Geschichte.

Am Samstag, 24. Juli, starten die Olympischen Sommerspiele in Tokio, und für den gebürtigen Bestwiger Christof Osebold wird genau an diesem Tag in einer japanischen Sporthalle ein Traum wahr: Er ist einer von insgesamt 26 geprüften Schiedsrichtern des Badminton-Weltverbandes BWF, die auf dem Schiristuhl sitzen – und der einzige Deutsche.

Rot leuchtend liegt die „Olympic Identity and Accreditation Card“ bei Christof Osebold, der seit vielen Jahren in Trier lebt und in Luxemburg als IT-Experte arbeitet, zu Hause auf dem Tisch. Der Flug ist gebucht, am Dienstag, 20. Juli, macht sich der 56-Jährige auf den Weg nach Tokio, davor stehen noch einige verpflichtende PCR-Tests und eine ausführliche Dokumentation des Gesundheitsstatus’ an. Dabei wäre sein Traum von Olympia im letzten Jahr fast geplatzt.

Qualifikation

Tokio 2020 fiel aus, Christof Osebold war 55 Jahre alt und hatte damit die Altersobergrenze für das weltweite „Schiedsen“ erreicht. Doch Anfang des Jahres erklärte der Badminton-Weltverband, dass das Olympia-Schiedsrichterteam 2021 in derselben Mannschaft aufgestellt bleibt – mit Christof Osebold als einzigem Deutschen.

Alle bekommen gemeinsam mit den Funktionären ihr eigenes Hotel, in das sie voraussichtlich vom Flughafen aus direkt gebracht werden. Insgesamt 14 Tage lang werden sie sich nur zwischen Hotel und Wettkampfstätte hin- und herbewegen. Corona-Blase nennt man das. „Ich werde nur Badminton erleben, nichts anderes. Trotzdem bin ich voller Vorfreude, weil Olympia einfach der Höhepunkt im Leben eines jeden Sportlers und auch für uns Schiedsrichter ist“, betont Christof Osebold. Der Höhepunkt - und sein letztes Turnier für den Weltverband.

Beim europäischen Badmintonverband liegt die Altersgrenze bei 60 Jahren, in Deutschland noch darüber. Aber als Assessor kann er auch danach noch europaweit Schiedsrichter ausbilden – ein zweites Standbein.

Faszination

Warum aber Badminton und warum Schiedsrichter? „Badminton ist ein faszinierender Sport, gilt als schnellster Sport der Welt. Aktueller Weltrekord bei einem Turnierspiel sind 426 Kilometer pro Stunde, bei einem Schlägertest waren es sogar 493 Kilometer pro Stunde“, brennt der 56-Jährige für seine Disziplin. „Die Schiedsrichterei hat es mir erlaubt, mit dem Sport in Verbindung zu bleiben, Spielerinnen und Spieler auf höchstem Niveau hautnah zu erleben. Und die Reiserei in alle möglichen Länder auf eine ganz andere Art, der Kontakt zu den einheimischen und den anderen internationalen Schiedsrichtern, das möchte ich nicht missen.“

Auch interessant

Er hat überragende Spiele gesehen, kennt Weltklasse-Spieler wie Lee Chong Wei, Chen Long, Kento Momota, und sie kennen ihn. „Unvergesslich war zum Beispiel das Halbfinale bei der Damen-Mannschaftsweltmeisterschaft, dem Uber Cup, 2018 in Bangkok. Tausende Zuschauer, die frenetisch ihr Team anfeuerten, die Halle kochte. Mein Spiel, das Dameneinzel zwischen Nitchaon Jindapol aus Thailand und der favorisierten Gao Fang Jie aus China, entwickelte sich zu einem Krimi, den die Thailänderin knapp mit 19:21, 21:19, 21:12 für sich entschied. Ein Spiel von 1 Stunde und 31 Minuten Dauer. Dieses Halbfinale und die Atmosphäre waren einfach unglaublich.“

Das weltweite Badminton-Geschehen spielt sich überwiegend in Asien ab. Vor Corona hat Christof Osebold außerhalb der Sporthallen jede freie Minute genutzt, um Städte wie Hongkong, Neu-Delhi, Kuala Lumpur, Bangkok, Seoul und bereits einmal Tokio kennen zu lernen. Auch nach zehn Stunden in der Halle tauchte er noch mal ein in die Turnierstädte.

Professionalität

Unparteiische im Badminton nutzen keine Pfeife. „Auf großen Turnieren arbeiten wir mit Mikrofon, aber eine Voraussetzung ist schon, eine hörbare Stimme zu haben“, sagt Osebold. Und wie ist sein Ruf? „Die Spieler kennen mich, auch diejenigen der Weltspitze. Ich denke, ich habe einen ganz guten Ruf, weil ich nicht zu den Schiedsrichtern gehöre, die viele Karten geben. Ich bin darauf bedacht, vorher zu deeskalieren.“ Und er ergänzt: „Du musst das Spiel in jedem Moment unter Kontrolle haben. Je schneller und präziser Du schiedst, desto besser.“

Auch interessant

Ein Spiel kann in 20 Minuten vorbei sei, kann aber auch eineinhalb Stunden oder länger dauern. Nur für die Linien gibt es Linienrichter und Videohilfe, alles andere muss in Echtzeit entschieden werden. „Du bist jede Sekunde hochkonzentriert, das Spiel ist so irrsinnig schnell und die Spieler auch, da muss ich auf die kleinsten Feinheiten achten. Zum Beispiel, ob der Ball das Spieler-Shirt gestreift hat oder ob ein Spieler beim Netzspiel mit dem Schläger die Netzkante berührt hat. Insgesamt braucht es viel Gespür. Wir sagen: Du musst das Spiel lesen.“

Vorbereitung

Vorbereitung ist alles. So wird Christof Osebold wie bei jedem Turnier auch am 23. Juli, dem Vorabend des Olympiabeginns in Tokio, an einem Briefing mit Einsatzbesprechung durch Oberschiedsrichter Carsten Koch, ebenfalls Deutscher, teilnehmen. Die Einmarschprozedur, letzte Regeländerungen, alles wird noch einmal durchgegangen. Zum Beispiel gibt es strenge Vorgaben dazu, an welchen Stellen auf ihrem Trikot und auf allen anderen Gegenständen die Spieler werben dürfen.

Auch interessant

Nach zwei Wochen, am 3. August, kommt Christof Osebold zurück. Wohl mit unglaublichen Eindrücken im Kopf und einem extra Koffer voller neuer Schiedsrichterbekleidung in der Hand. Alles verziert mit den fünf Ringen, denn Technische Offizielle bei Olympia werden komplett von Jacke bis Trikot offiziell ausgestattet. Zur Erfüllung eines Lebenstraums gehört eben auch die passende Ankleide.

Aus der Bestwiger Sporthalle in die große weite Welt

Etwa 30 Jahre lang hat der gebürtige Bestwiger Christof Osebold auf den Traum von Olympia hingearbeitet. Noch viel eher, in den 1970er-Jahren, startete er in der heimischen Sporthalle als aktiver Spieler des TuS Velmede-Bestwig.

Der TuS hatte stets eine große Badminton-Abteilung, bis heute ist dieser Sport in der Gemeinde fest etabliert. In den 1960er-Jahren stellte Bestwig mit Reinhold Fröndhoff einen Deutschen Jugendmeister und mit Christa Schulte-Wiese eine Deutsche Meisterin. „Ich habe erst nach meinem Studium in den 1990er-Jahren beim bayerischen VfL Kaufering wieder angefangen zu spielen“, so der Informatiker.

Auch interessant

Weil sein Verein damals pro Mannschaft einen Schiedsrichter stellen musste, um nicht 50 Deutsche Mark Strafe bezahlen zu müssen, ließ er sich überreden. Dem Schiedsrichtergrundkurs im Jahr 1992 folgten viele deutsche und europäische Turniere, bis er 20 Jahre später, im Jahr 2013, „BWF Certificated Umpire“, geprüfter Schiedsrichter des Weltverbandes, wurde.

In zahlreichen Nationen unterwegs

Das ist die höchste Stufe, die man erreichen kann. Christof Osebold ist der vierte Deutsche überhaupt, der dies geschafft hat. Der 56-Jährige leitete Spiele bei vielen Turnieren der Badminton World Tour, bei Weltmeisterschaften jeder Art, war dafür in China, Hongkong, Malaysia, Indien, Korea, Japan, Thailand, den USA, und in mehr als 20 europäischen Ländern von Island bis Zypern unterwegs.

Alles ehrenamtlich. Reisekosten und Unterkunft werden bezahlt, und es gibt ein kleines Tagegeld. Für die Turniere ist Osebold meist eine Woche weg, musste stets Urlaub nehmen. Für seine Ehefrau und die drei Kinder mussten schließlich auch noch Urlaubstage übrigbleiben, auch darum waren nicht mehr als drei, vier Turniere im Jahr drin. „Andere, die mehr Zeit investieren, erreichen die Weltspitze auch in zehn Jahren“, erklärt er.