Arnsberg. Nach dem deutschen Desaster bei der Leichtathletik-WM führt die Spurensuche auch in den Sportunterricht. Ein Lehrer packt aus und nennt Lösungen.
Er ist ein Freund sehr klarer Worte – und einer der Leichtathletik. Die alles in allem erfolglosen Auftritte der deutschen Leichtathleten bei der Weltmeisterschaft in Eugene/USA bereiten dem aus Arnsberg stammenden Frank Schnürch deshalb Bauchschmerzen, sehr große Bauchschmerzen. Im Gespräch begibt sich der 58-jährige Sportlehrer auf die Suche nach Gründen für die Misere – und listet diese schonungslos auf.
Die Lage
„Wenn ich als Lehrer früher beim Ballweitwurf das erste Hütchen bei 15 Metern aufgestellt habe und dann alle fünf Meter weiter, muss ich heute das erste bei fünf Metern aufstellen“, erklärt Schnürch, „denn da landen viele Bälle.“ Eine Weitsprunggrube? „Es gibt Kinder, die kennen die gar nicht mehr – und oft musst du Unkraut jäten, bevor du beginnen kannst. Speer oder Diskus – diese Geräte verstauben in den Schränken,wenn du überhaupt welche hast“, erklärt er.
Kurzum: Aus Sicht des Lehrers nimmt a) der Bewegungsmangel bei Kindern durch Digitalisierung immer mehr zu. Er sagt bewusst überspitzt: „Wir entwickeln uns jedes Jahr, was den Bewegungsablauf betrifft, mehr in Richtung Neandertaler.“ Und b) stoßen Schnürch Leichtathletik-Anlagen sauer auf, die von Städten oder Kreisen nicht entsprechend gepflegt werden. Dass auf Grund Lehrermangels zuerst AGs oder Sportstunden gekürzt würden, sei ebenfalls nicht dienlich. Allerdings kritisiert der Sauerländer auch seine Kollegen: „Viele Lehrer unterrichten nach persönlichen Vorlieben“, sagt er vorwurfsvoll.
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Negativ komme hinzu, dass die Unterstützung durch das Elternhaus selbst bei sport-willigen Kindern nachgelassen habe. „Viele Eltern haben schlicht und einfach keine Zeit oder keine Lust, die Kinder dreimal in der Woche zum Training und am Wochenende zu Wettbewerben zu fahren oder zu begleiten“, erzählt Schnürch.
Die Folgen
„Erfolgreichen Spitzensport gibt es nur, wenn die Basis stimmt“, sagt Schnürch und wiederholt eine gewiss nicht neue Erkenntnis.
Auch Hindernisläuferin Gesa Krause habe im Rahmen der Weltmeisterschaft gefordert, dass an den Schulen wieder mehr Leichtathletik betrieben werden müsse, „sonst liefe bald niemand mehr zum Beispiel den 3000-Meter-Hindernislauf“, sagt Schnürch. Weniger Medaillen als bei den Titelkämpfen in Eugene holte der Deutsche Leichtathletikverband bei einer WM nie, beim bisherigen Tiefpunkt 2003 in Paris standen vier in der deutschen Bilanz.
Die Forderungen
„Meiner Meinung nach müssten die Lehrpläne ein bisschen vereinfacht werden und sich den Bewegungstalenten des Nachwuchses anpassen“, erläutert Schnürch. „Leichtathletik ist die Grundlage für alle anderen Sportarten. Sie muss wieder mehr in den Vordergrund gestellt werden. Der Sport an sich muss an den Schulen wieder eine größere Rolle einnehmen“, ergänzt er. Als Beispiel nennt Schnürch Bundesjugendspiele, die ein fester Bestandteil sein sollten. „Außerdem müssten Schulen verpflichtet werden, Teilnehmer für etwa Stadtmeisterschaften zu stellen.“
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Ein Schlüssel könnten zudem Kooperationen zwischen Leichtathletikvereinen und Schulen sein. „Du musst als Verein in die Schulen gehen, um dort zu sichten“, sagt Schnürch und erwähnt als Beispiel die Kooperation zwischen dem Städtischen Gymnasium in Sundern und dem RC Sorpesee im Volleyball. „Der BSC Winterberg geht diesen Weg meines Wissens auch, um Nachwuchs für Rennrodeln, Bob oder Skeleton zu finden.“
Das Resümee
Neben politischem Willen, Sport finanziell und personell zu fördern und Infrastruktur zu pflegen, hängt das Wohl und Wehe sowohl in der Schule als auch in den Vereinen vom Enthusiasmus einzelner Personen ab. „Als Lehrer oder Trainer musst du Kinder begeistern können. Und wenn du weitere Begeisterung durch Erfolge geschürt hast, bleiben die Kinder dabei – nicht alle, aber einige“, sagt Schnürch. Er glaubt übrigens, dass sich das Leichtathletik-Desaster bald wiederholt: bei der Schwimm-WM.