Amputationen nach Krankheit – „Wollte meine Kinder großwerden sehen“
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Brilon. Durch eine schwere Krankheit verliert Armin Witczak (56) aus Brilon seine Arme und Beine. Er ist verzweifelt – doch der Sport hilft.
Seine Lebensgeschichte ist bewegend und mit sämtlichen dramaturgischen Facetten behaftet. Im Jahr 2017 änderte sich für Armin Witczak (56) aus Brilon-Messinghausen quasi alles. Der Familienvater und aktive Berufssoldat verlor nach einem urplötzlich eingetretenen Krankheitsfall beide Beine und Hände. Aber er kämpfe sich eindrucksvoll zurück ins Leben und entdeckte als Para-Schwimmer eine Leidenschaft, die ihm seither neuen Ansporn, Lebensmut und Erfolgserlebnisse beschert. Bei den Invictus Games 2023 in Düsseldorf gewann er Gold über 100 Meter Freistil, und vor einigen Wochen wurde er an gleicher Wirkungsstätte Deutscher Meister in der offenen Masters-Klasse der Kurzbahnschwimmer.
Die vielen depressiven Phasen, in denen Armin Witczak in Folge der Amputationen mit der Fortsetzung seines Lebens zwischenzeitlich sogar haderte, seien vorbei, erzählt er. „Es war anfangs alles sehr extrem und herausfordernd für mich. Und selbstverständlich kommt da auch mal der Gedanke auf, wo man sich nach dem weiteren Sinn des Lebens fragt. Aber ich hätte nie Suizid begehen können. Dafür liebe ich meine Familie zu sehr. Ich wollte meine Kinder großwerden sehen“, erzählt Witczak emotional.
Obwohl er als jahrelang aktiver Berufssoldat mit so manchen Extremsituationen konfrontiert wurde, wie beispielsweise während seiner Auslandseinsätze im Mali, Kosovo oder in Afghanistan, war für ihn jedoch umso heftiger der Einschnitt, den seine Erkrankung und der anschließende Verlust seiner Hände und Beine hervorrief.
„Im Mai 2017 habe ich eine Meningokokken-Sepsis bekommen, vermutlich ausgelöst durch die Halswirbel-Operation, der ich mich zuvor unterzogen hatte. Aber genau sagen kann mir das bis heute niemand. In der Medizinischen Hochschule Hannover mussten mir letztlich in Folge der Sepsis Hände und Beine amputiert werden. Sogar im Gesicht musste an mir herumgeschnitten werden. Vier Wochen lag ich im Koma und war insgesamt fünf Monate dort im Krankenhaus“, blickt Witczak zurück.
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In seinen im Zuge der Rehabilitation absolvierten therapeutischen Übungsstunden im Zentrum für Sportmedizin in münsterländischen Warendorf kam Witczak schließlich mit dem Schwimmsport in Berührung und unternahm dort erste Schwimmversuche im Becken. „In der Gruppe Sporttherapie entwickelte ich dann immer mehr das Interesse fürs Schwimmen. Im Wasser fühlte ich mich sehr wohl. Nach 14 Tagen habe ich es geschafft, stolze 25 Meter im Becken zurückzulegen. Dar war ein gigantisches Gefühl“, berichtet er.
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Sein gesichtetes Talent im zügigen Kraulen samt einer Paddelfläche von gerade einmal 30 Quadratzentimetern, ebneten ihm daraufhin rasch den Weg zu einem Startplatz bei den Invictus Games – jenem internationalen Sportereignis, welches im Jahr 2014 von Prinz Harry aus England ins Leben gerufen wurde.
„Dieses Event wollte ich mir nicht entgehen lassen. Was ich dort eine Woche lang in Düsseldorf erleben durfte, was fantastisch. Ich könnte darüber quasi ein Buch schreiben. Mir war überhaupt gar nicht klar, gegen was für Athleten ich da im Schwimmbecken antrete. Aber ich war mit Ehrgeiz am Start und habe alles gegeben. Dass ich letztlich derjenige Athlet war, der während der Invictus Games unter den Deutschen Startern die allererste Goldmedaille holte, machte mich unfassbar glücklich. Die 100 Meter Freistil hab‘ ich in einer Zeit von 2,02 Minuten gewonnen“, erklärt Witczak stolz.
Schwieriger gestaltete sich für Armin Witczak indes die Suche nach einem passenden Schwimmverein, um sich nicht nur eine „Identität“ als Schwimmsportler zu geben, sondern auch die Berechtigung zu erlangen, um auf vielen weiteren Wettkämpfen als Para-Schwimmer starten zu dürfen.
„Ein entsprechender Verein muss nicht nur die Mitgliedschaft im Deutschen Schwimmverband (DSV) haben, sondern er muss gleichzeitig auch die Mitgliedschaft im Deutschen Behindertensportverband (Schwimmen; DBSV) vorweisen. Und das haben nicht alle Vereine. Diese leidvolle Erfahrung musste ich machen. Ich schrieb bestimmt 15 Schwimmvereine an, angefangen im Hochsauerlandkreis, über den Kreis Paderborn bis nach Hessen hin. Viele antworteten mir erst gar nicht“, so Witczak.
Die eifrigen Bemühungen des Sportlers lohnten sich aber dann doch noch. „Nur die Schwimmer des SV Neptun Neheim-Hüsten riefen mich an“, erzählt der 56-Jährige, „der Abteilungsvorstand teilte mir zwar mit, dass sie mir aufgrund der fehlenden Mitgliedschaft im DBSV nicht weiterhelfen könnten, aber ich hätte jederzeit die Möglichkeit, dort wenigstens zu trainieren. Das war eine nette Geste. Aber es reichte mir nicht. Mit Unterstützung des Kreissportbundes sind dann die Schwimmfreunde Unna auf mich aufmerksam geworden. Und für diesen Verein schwimme ich jetzt“, sagt Armin Witczak.
Der dort aktive und erfahrene Trainer Peter Hornig ermöglichte ihm daraufhin den Start bei den Deutschen Kurzbahnmeisterschaften in Düsseldorf. Und in jener Schwimmhalle, in der Witczak Gold bei den Invictus Games gewonnen hatte, siegte er erneut und errang den Deutsche Meistertitel über 100 Meter Freistil. Ebenso holte er sich über 50 Meter Rücken Bronze sowie Silber über 50 Meter Freistil.
Das sind die Invictus Games
Im Jahr 2023 trumpfte Armin Witczak bei den Invictus Games in Düsseldorf auf. Diese Veranstaltung, die zu Deutsch etwa mit „Die Spiele der Unbesiegten“ übersetzt werden kann, stellt ein internationales Sportereignis für Soldatinnen und Soldaten dar, die im Einsatz und Dienst Verletzungen oder durch Erkrankungen an Körper und Seele bleibende Beeinträchtigungen erlitten haben. Das Ziel der Invictus Games ist es unter anderem, die Teilnehmenden bei ihrer Rehabilitation zu unterstützen. Die Wettkämpfer treten in bis zu zehn Sportarten gegeneinander an. Sie sollen gemeinsam mit ihren Familien und Freunden durch die Spiele ein sichtbares Zeichen setzen.
Ein- bis zwei Mal wöchentlich nutzt er derzeit die Möglichkeit, im kleinen Schwimmbad in Brilon-Hoppecke Ausdauer und Kraft im Wasser zu trainieren. Armin Witczak hat eine große Passion für sein Hobby entwickelt und will diesem weiter treu bleiben. „Da ich mittlerweile nicht mehr im Dienst als Berufssoldat bin, habe ich ein bisschen mehr Zeit fürs Schwimmen. Ich mache weiter, solange es mir Spaß macht. Alles kann, nichts muss – das ist mein Motto“, betont der Sauerländer.
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