Sauerland. Deutsche Meisterschaften im Radsport im Sauerland – ein Erlebnis! Unser großer Überblick mit Rennberichten, Stimmen, Kuriosem und Anekdoten.

Schon auf dem Berg Odin in Meschede-Visbeck war deutlich zu sehen, mit wem im Männerrennen im Zuge der Deutschen Meisterschaften der Radsportler auf der Straße zu rechnen sein würde. Mit imposanter Leichtigkeit pflügte Nils Politt (Bora-hansgrohe) gemeinsam mit Mitausreißer Nikias Arndt (Team DSM) den steilen Anstieg hinauf.

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Politt, 28-jähriger Kölner und zuletzt unter anderem als Gewinner der Deutschland Tour und bei Rund um Köln vom „Wasserträger“ zum Siegfahrer aufgestiegen, gewann das 189 Kilometer lange Rennen von Arnsberg-Neheim auf den Kahlen Asten letztlich mit 47 Sekunden Vorsprung als Solofahrer. Er sicherte sich so sein erstes Meistertrikot – mit Hilfe enormer Unterstützung der tausenden Besucher an der Strecke, die in jedem der Sauerländer Orte für eine Atmosphäre fast wie bei der legendären Tour de France sorgten.

Das Sauerland bietet lautstarke Unterstützung

Lautstark hatten die Anhänger die Rad-Profis, die eine schwere Strecke von Neheim über Arnsberg, Hirschberg, Meschede, Eslohe, Schmallenberg und Winterberg bis hinauf auf den Kahlen Asten bewältigen mussten, in den vielen Orten, die das Rennen durchquerte, angefeuert. Etwa 1000 freiwillige Helfer von Freitag bis Sonntag, die beispielsweise als Streckenposten darüber wachten, dass niemand in den entscheidenden Momenten die Wege kreuzte, sorgten mit dafür, dass die Organisation der beiden Macher Jörg Scherf und Heiko Volkert ein Erfolg wurde. „Es war logistisch eine Riesenherausforderung und hat auch deshalb so gut funktioniert, weil uns so viele Vereine unterstützt haben. Hier bei uns im Sauerland helfen die Dorfgemeinschaften eben sofort mit – das ist einfach super“, freute sich Scherf.

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Während des Straßenrennens der Männer hatten sich auf dem Berg Odin am Sonntagmittag Dietmar und Marita Krick einen schönen Schattenplatz ausgesucht. Mit dem Auto war das Ehepaar aus Wennemen angereist, „wir müssen so ein tolles Ereignis natürlich als Besucher unterstützen“, sagte Dietmar Krick. Früher sei er selbst immer wieder den steilen Anstieg zum Odin mit dem Fahrrad hochgeprescht, „jetzt, mit 73 Jahren, muss ich das aber nicht mehr“, sagte er und lachte.

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Bestaunen konnten die Kricks ebenso wie viele andere Besucher an dieser Stelle – manche hatten gar eine mobile Grillstation errichtet – wie stark das Team Bora-hansgrohe schon nach 75 Kilometern dominierte.

Kurz nach Politt waren unter anderem auch dessen Teamkollegen Lennard Kämna, Gewinner des Zeitfahrens in Marsberg am Freitag und schon Tour-de-France-Etappensieger, und Emanuel Buchmann, 2019 Vierter der Gesamtwertung der Tour de France, nahe der Gruppe. „Es war toll, wie spannend das Rennen den gesamten Tag über gelaufen ist“, freute sich Rennleiter Jörg Scherf. Gemeinsam mit seinem Kollegen Heiko Volkert hatte er unmittelbar vor dem führenden Fahrer das Führungsauto gefahren. Bei der entscheidenden Attacke Politts in der Abfahrt nach Siedlinghausen „hatte ich ein bisschen Glück“, sagte Scherf und lachte: „Der Politt war so schnell, der ist mir fast hinten auf den Kofferraum aufgefahren.“

HSK-Fahrer Adamietz überrascht

Für die schwere Strecke des Männerrennens „haben wir ein Mega-Lob bekommen. Viele waren sehr zufrieden“, so Scherf. „Ich hatte heute einen verdammt guten Tag. Ein Jahr jetzt das Meistertrikot tragen zu dürfen, das bedeutet mir sehr viel“, sagte Sieger Nils Politt. Einen tollen Eindruck hinterließen auch die heimischen Fahrer des Saris Rouvy Sauerland Teams, das mit immerhin drei Sportlern das Ziel erreichte. Johannes Adamietz fuhr lange Zeit sogar um Rang drei mit, „er hat ein Hammerrennen abgeliefert“, lobte Jörg Scherf.

„Ich hatten den ganzen Tag gute Beine. Ich habe in der Zielrunde am Berg attackiert – und da konnte nur Emanuel Buchmann mitgehen. Das war für mich eine ziemliche Überraschung und hat mir sehr viel Selbstvertrauen gegeben“, sagte Adamietz. Der Kletterspezialist fühlte sich im Anschluss weiter gut, bekam aber sieben Kilometer vor dem Ziel „den schlimmsten Hungerast, den ich jemals erlebt hab’. Ich habe mich irgendwie ins Ziel gekämpft und war dann natürlich erst mal sehr enttäuscht. Im Endeffekt bin ich aber zufrieden, weil die Leistung gestimmt hat“. Die Deutschen Meisterschaften mit vielen Zuschauern an der Strecke seien für ihn „ein Riesenerlebnis gewesen“, betonte der „Bergfloh“ der Sauerländer Mannschaft. Trainer Wolfgang Oschwald hätte sich „gewünscht, dass er mit den großen Jungs etwas ruhiger gemacht hätte – aber die Leistung hat gestimmt“.

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Am Sonntagmorgen hatten die Frauen ihre Deutsche Meisterin auf der Straße ermittelt. Liane Lippert (Friedrichshafen) gewann den Titel zum zweiten Mal. Die 24-Jährige setzte sich auf dem Rundkurs rund um Siedlinghausen und schließlich hinauf auf den Kahlen Asten nach 122 Kilometern im Sprint einer Fünfergruppe vor Ricarda Bauerfeind (Ingolstadt) und Nadine Gill (Stuttgart) durch. „Ich freue mich extrem, weil ich mir viel Druck gemacht habe. Am Ende war es ein Pokern, es war taktisch“, sagte sie.

Lennard Kämna folgt in Marsberg auf Tony Martin

Zehn Jahre lang hat Tony Martin die Deutschen Zeitfahrmeisterschaften der Radsportler beherrscht. Der im September 2021 zurückgetretene Rad-Profi fand nun einen würdigen Nachfolger: Lennard Kämna (Bora-hansgrohe) war beim Kampf gegen die Uhr auf anspruchsvoller, bergiger Strecke in und um Marsberg der Schnellste. Kämna legte die 27,5 Kilometer lange Strecke in 35:31,05 Minuten zurück und war 15 Sekunden schneller als Jannik Steimle (Quick Step-Alpha Vinyl Team). Bronze holte sich Kämnas Teamkollege Nils Politt, der 23 Sekunden langsamer war als Kämna.

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Um den späteren Sieger gab es ein Rätselraten, denn weil sein Transponder nicht funktionierte, tauchte er in keiner Zeitmesstabelle auf. Erst im Ziel wurde Kämnas Zeit festgehalten: 35:31,05 – es war die Bestzeit. Maurice Ballerstedt (Alpecin-Fenix) wurde Deutscher Zeitfahrmeister der U23. „Ich bin jetzt super happy, dass es mit dem Titel geklappt hat“, freute sich Lennard Kämna im Ziel.

Besondere Gesänge und Volksfeststimmung im HSK

Es herrschte Volksfeststimmung bei den Wettbewerben der Radsportler im Zuge der Deutschen Meisterschaften auf der Straße, die erstmals im Sauerland veranstaltet wurden. Am dritten und letzten Veranstaltungstag Sonntag mit dem Höhepunkt, dem Straßenrennen der Männer von Neheim auf den Kahlen Asten, hatten sich Zuschauer kreative Maßnahmen einfallen lassen, um die Aktiven zu unterstützen.

Auf dem Odin in Visbeck beispielsweise prangten Schriftzüge mit Kreide gemalt auf der Straße – und als ein Vater auf dem Fahrrad seine ebenfalls fahrende Tochter den Berg hinaufschob, brandete Szenenapplaus auf. Aufmunterung erhielten die Fahrer, die aufgrund der schwierigen Strecke teilweise ganz schön zu leiden hatten, beispielsweise auch in Schmallenberg. „Das war richtig krass, was da los war“, freute sich Jörg Scherf.

Im kleinen Örtchen Winterberg-Altenfeld feuerten beispielsweise viele Kinder und Jugendliche die Radsportler an – und vertrieben sich die Wartezeit mit Gesängen und Ruderspielen auf dem warmen Asphalt. Ins Schwitzen kamen jedoch bei wechselhaftem, doch meist beständig warmem Wetter nicht nur die Zuschauer an der Strecke, sondern ebenso das Organisationsduo Volkert/Scherf im Führungsfahrzeug. „Heiko hat mit etwa 15 Parteien immer wieder telefonisch den aktuellen Stand ausgetauscht“, erklärte Jörg Scherf.