Yanqing/Winterberg. Hannah Neise (BSC Winterberg) ist Olympiasiegerin. Warum die Schmallenbergerin nachts aufgefordert werden musste: „Ey, zeig’ was du hast.“
Wann sich dieser „Vorfall“ ereignete, kann Hannah Neise, Skeleton-Pilotin des BSC Winterberg, nicht so genau sagen. Irgendwann zwischen Mitternacht und morgens um halb Sieben nach ihrem Olympiasieg in China muss es gewesen sein, als sie aufgefordert wurde: „Ey, zeig’, was du hast.“ Wer das warum tat.
Neise ist: einfach Hannah
Der Spruch der Kanadierin Mirela Rahneva war keineswegs anzüglich gemeint und löste daher auch keine Protestwellen aus. Rahneva wollte einfach nur das sehen, was die Flurparty im Olympischen Dorf verursacht hatte. Neises Goldmedaille. Warum die Olympiasiegerin im Skeleton das Goldstück zuvor versteckte, sagt einiges über die erst 21-Jährige aus.
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„Ich fühle mich so normal“, erzählt die Skeleton-Pilotin des BSC Winterberg im Gespräch mit dieser Zeitung nach ihrem Triumph. Bei Hannah Neise ist dies kein Kokettieren. Sie ist keine Lautsprecherin, keine, die optisch auffallen will, keine, die überemotional jubelt. Sie ist: einfach Hannah.
Wobei das seit Samstag nicht mehr ganz zu halten ist. Denn Hannah Neise ist nun die Frau, die im Skeleton Geschichte schrieb. Nie zuvor war einer deutschen Pilotin ein Olympiasieg gelungen. In Vancouver gewannen 2010 Kerstin Szymkowiak Silber und Anja Huber Bronze. Jacqueline Lölling holte 2018 ebenfalls Silber. Hannah Neise kehrt nun mit einer Goldmedaille zurück von den Olympischen Spielen ins Sauerland, auf die selbst Experten nicht gewettet hatten.
Neise in Testrennen stark
Zwar hatte die Polizeimeister-Anwärterin bei der Bundespolizei bereits in den Testrennen vor der Saison gezeigt, dass sie die lange Olympiabahn mag. Doch eine Olympiasiegerin, die erst seit knapp eineinhalb Jahren im Weltcup startet und dort als beste Platzierungen zwei vierte Ränge vorzuweisen hat? Dieser Traum war schlicht zu kühn, um ihn zu träumen. „Alles kam nacheinander. Es ist wie im Film gewesen“, erzählt Neise selbst über die zwei Tage und vier Rennläufe in China.
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Erst verpatzte sie den Auftakt, dann brachte sie sich mit einer Aufholjagd in Lauerstellung – und verteidigte im finalen vierten Lauf ihre im dritten erraste Führung so souverän, als sei es für sie das Selbstverständlichste auf der Welt. „Ich habe nicht realisiert, was passiert ist“, gibt sie zu: „Es hat einfach Spaß gemacht, und das wollte ich mir behalten, um die letzten beiden Läufe der Saison zu genießen.“
Hannah Neise- Ihre emotionalen Momente bei Olympia
Spaßig – so hatte sie sich 2012 auch das Sichtungstraining vorgestellt, welches der Stützpunkt in Winterberg durchführte, um neue Talente für die Sportart zu gewinnen, bei der man bäuchlings auf dem Schlitten liegend mit dem Kopf voraus durch den Eiskanal rast und Geschwindigkeiten von bis zu 145 km/h erreicht. Allerdings: Hannah Neise, die außerhalb des Eiskanals übrigens ziemliche Probleme mit Geschwindigkeit hat und sich selbst als sehr ängstlichen Menschen bezeichnet, gehörte erst nicht zum Kreis der Auserwählten, die mitfahren durften von Schmallenberg zur gut 20 Kilometer Winterberger Eis-Arena.
„Ich wollte aber unbedingt mit, weil dadurch der Englisch-Unterricht ausfiel. Dort hätte ich wahrscheinlich Ärger bekommen, weil ich eine Unterschrift meiner Eltern nicht vorzeigen konnte. Ich hatte davor meine Hausaufgaben vergessen“, erzählt die Olympiasiegerin zurückblickend. In diesem Fall quengelte sie zum Glück, sie suchte den Vordergrund und blieb nicht in sich gekehrt an ihrer Realschule zurück.
Bange Momente vor der Abreise
Die Dinge entwickelten sich rasant: Wechsel auf das Sportinternat in Winterberg, Silber bei den Olympischen Jugend-Winterspielen 2016, Weltcupdebüt 2020, Junioren-Weltmeisterin 2021, das im letzten Moment gebuchte Ticket zu den Olympischen Winterspielen in Peking. Vor der Reise nach China erlebte die Sauerländerin allerdings bange Momente, weil sie sich nach dem Weltcupfinale in St. Moritz mit dem Coronavirus infizierte. „Das war ein Riesenschock“, sagt sie: „Wichtig war, optimistisch zu bleiben.“
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Eine Stütze bereits in dieser Zeit: Ihre Mutter Kerstin. „Sie hat mir gut zugesprochen, zumal ich sonst auch oft eher das Negative sehe“, sagt Neise. Ihre Mutter schickte ihr morgens vor den entscheidenden Läufen auch die letzten mentalen Tipps nach China. „Ich war plötzlich sehr nervös. Sie riet mir: Vertrau auf das, was du kannst“, erzählt Hannah Neise. Die ruhige, aber zielstrebige Tochter tat wie geheißen und wird am Dienstag als überraschende, in die Geschichtsbücher eingehende Olympiasiegerin in Schmallenberg empfangen. Die Goldmedaille wird sie dann garantiert nicht verstecken.