Sauerland. Das Sterben des Jugendfußballs im HSK nimmt bedrohliche Ausmaße an. Alleine in den vergangenen neun Jahren wurden 109 Teams weniger gemeldet.
Der Fußball im Hochsauerlandkreis hat ein Problem. Ein Problem, das sich in den vergangenen Jahren nicht nur in immer neuen Jugendspielgemeinschaften erkennbar zeigte. Auch die vielen neuen Konstellationen von verschiedenen Vereinen, die im Jugendbereich zusammen arbeiten, können den negativen Trend nicht aufhalten. Fakt ist: Es gibt immer weniger junge Menschen, die zum Fußball gehen. Eine Besserung ist nicht in Sicht, und das hat viele Gründe. Eine Bestandsaufnahme.
Die Zahlen
282 Jugendmannschaften meldeten in der Saison 2013/14 noch im Fußballkreis Hochsauerland. Vor allem die hohe Zahl bei den kleinsten Fußballern von G-bis E-Junioren machte Hoffnung, dass auch in den kommenden Jahren viele Kinder im oberen Jugendbereich aktiv sein würden. Doch daraus wurde nichts, wie sich angesichts der heutigen Mannschaftsmeldungen im A-und B-Jugendbereich ablesen lässt. Gerade einmal 17 A-Jugend-und elf B-Jugend-Mannschaften meldeten zu dieser Spielzeit. Die Abnahme der Meldungen spricht in allen Bereichen eine klare Sprache. Gerade einmal 173 Jugendmannschaften nehmen am Spielbetrieb in dieser Saison im Fußballkreis Hochsauerland teil. Das entspricht einem Rückgang von 109 gemeldeten Mannschaften in den vergangenen neun Spielzeiten – ein Minus von 39 Prozent.
Die Gründe
Prof. Dr. Claus Wendt forscht an der Universität Siegen im Bereich Gesundheitssoziologie und kennt sich in der Thematik um schwindende Strukturen im ländlichen Bereich aus. Maßgeblich für den Rückgang an jungen Kindern, die in einem Fußballverein organisiert am Spielbetrieb teilnehmen, sieht Wendt den demografischen Wandel. „Die Bevölkerung in Deutschland wird schrumpfen“, sagt er. Das liege zum einen an der immer niedrigeren Geburtenrate in Deutschland. Diese wurden in der Vergangenheit durch die starken Jahrgänge aus den 1960er-Jahren aufgefangen – wo mehr Eltern, da auch mehr Kinder. „Nun haben wir aber eine niedrige Geburtenrate von schwachen Elternjahrgängen“, sagt Wendt.
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Dies führt zu immer schwächeren Strukturen in ländlichen Bereichen. Krankenhäuser und Schulen müssen schließen, Behörden zentralisiert und letztendlich auch Sportvereine abgemeldet. „Die Menschen ziehen ja nicht in die Städte, weil sie die schlechte Luft da so gerne haben. Sie ziehen dort hin, wo sie die beste Infrastruktur vorfinden“, sagt Wendt. Eben diese fehlende Infrastruktur in den kleinen Orten sorge dafür, dass die Menschen diese, trotz anderer Vorteile, verlassen. „Grundsätzlich muss man sagen, dass diese kleinen Strukturen keine Zukunft haben. Es braucht neue Konzepte“, sagt Soziologe Wendt.
Die Probleme
Dort, wo es immer weniger junge Menschen gibt, gibt es auch immer weniger junge Menschen in Vereinen. Da gerade diese einen immensen Beitrag zur Gesundheit und auch zur Sozialisierung von Kindern und Jugendlichen beitragen, gelten diese als erhaltenswert. Nur eben nicht mehr in dem bisher bekannten Maße. Ein Problem sieht Prof. Dr. Claus Wendt im Ehrenamt, auch wenn er den Wert der ehrenamtlichen Tätigkeit nicht herunterspielen möchte. „Das Ehrenamt kann aber nicht alle Aufgaben übernehmen, vor allem weil sich immer weniger Menschen ehrenamtlich engagieren“, sagt Wendt. Gerade die jeweiligen Sportverbände hätten zu lange zu viel Verantwortung an ehrenamtliche Helfer abgegeben. Dabei müssen diese Aufgaben in seinen Augen eher von Profis übernommen werden.
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Die Zusammenlegung von Dorfvereinen zu Spielgemeinschaften liefere laut Wendts Erfahrungen nur selten und oft auch nur kurzfristig Abhilfe. „Diese Zusammenlegungen sorgen oft dafür, dass sich alles irgendwann von beispielsweise drei Orten in einem konzentriert“ sagt Wendt. Daraus folgend seien längere Anreisen für einige Teilnehmer und die fehlende Identifikation – was dann zu vermehrten Abmeldungen und weniger Zugängen führe.
Die Lösungen
Für Claus Wendt ist die Sachlage eindeutig. „Es bedarf neuer Infrastrukturzentren mit Ambulanzen, Schulen und auch Sportstätten. Diese müssen für die Menschen aus den umliegenden Dörfern zentral liegen und gut erreichbar sein’’, so der Vorschlag des Soziologen. In diesen Zentren sollen dann professionelle Trainer arbeiten, um so einen hochwertigen und durchgängigen Trainingsbetrieb anbieten zu können. „Es geht den Menschen um Qualität. Wenn diese in 20 bis 30 Minuten erreichbar ist, nehmen die Menschen die längeren Wege eher in Kauf, als bei schlechteren Angeboten direkt um die Ecke“, sagt Wendt.
Entsprechende Modelle haben es laut dem Wissenschaftler bereits in Ländern wie Schweden oder Island gezeigt, wie die sportliche Teilhabe junger Menschen in Vereinen aufrecht erhalten bleiben könne.
Durch die Zentren zwischen den Dörfern könnte die Identifikation der einzelnen Dörfer gehalten werden und trotzdem eine gesundheitliche, schulische und sportliche Grundversorgung garantiert werden. Wendt bezeichnet diese Orte als „Zwischenorte“. Doch wer soll den Bau dieser Zwischenorte finanzieren? Viele Kommunen sind so klamm, dass sie sich ein solches Infrastruktur-Projekt kaum leisten können. „Die Corona-Pandemie hat gezeigt, das Geld eigentlich kein Problem sein kann“, sagt Wendt. Milliarden Euro wurden seitens der Politik in den vergangenen zwei Jahren zur Verfügung gestellt, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Geld, dass in Zukunft auch gut für die Einrichtung der Infrastrukturzentren im ländlichen Bereich verwendet werden könne, wie Wendt findet. „Die aktuelle und die nächste Generation sollte so wichtig sein, dass wir diesen Preis bezahlen“, sagt der Wissenschaftler im Gespräch.
Einen weiterer Ansatzpunkt betrifft die Digitalisierung. Dort besteht laut Wendt ein großer Nachholbedarf bei vielen Vereinen. Die Einrichtung und Pflege einer Homepage beispielsweise benötigt viel Zeit, die Ehrenamtliche oft nur unregelmäßig aufbringen können. Ein Punkt, bei dem Wendt die Verbände ins Spiel bringt. Diese könnten Funktionen zur Verfügung stellen, die die Vereine nutzen könnten.