Winterberg. So einen Test gab es noch nie: Auf ungewöhnliche Art und Weise versuchten die Rennrodler Geueke/Gamm (Winterberg), ihr Material zu optimieren.
Irgendwann wird es Robin Geueke zu viel – zu viel Rauch. Obwohl: Es ist eher eine Art Disco-Nebel, der die auf ihrem Schlitten in der eisfreien Betonrinne der Veltins-EisArena liegenden Robin Geueke und David Gamm mehr umhüllt, als dass er an ihnen vorbei zieht. Sogar unter Geuekes Visier wabert er, weshalb der Rennrodler des BSC Winterberg irgendwann im wahrsten Sinne des Wortes die Nase voll hat. Aber nur für den Moment – denn der Disco-Nebel ist nur ein winziger Teil eines einzigartigen Projekts.
Die Jagd auf die Top-Doppel
Robin Geueke und David Gamm – sie sind die Doppelsitzer des BSC Winterberg, die als Deutschlands Nummer drei seit Jahren versuchen, den Rückstand auf Eggert/Benecken und Wendl/Arlt zu verkürzen. Athletisch gelingt ihnen das konstant, doch in puncto Materialentwicklung sind die Spitzendoppel oft mehrere Schritte voraus. Das – soll sich ändern. Und deshalb verwandelt sich die Veltins-EisArena für einen Tag kurz hinter dem Doppelstart in einen Windkanal.
In einen Windkanal? In etwas einem Windkanal sehr Ähnlichem.
„Das hat, glaube ich, noch keiner gemacht“, sagt Prof. Dr. Matthias Scherge schmunzelnd, als er auf den Aufbau unterhalb des Starts schaut. Scherge ist zum einen als Leiter Werkstoffmechanik des Fraunhofer-Instituts und zum anderen als Chef vom „Team Snowstorm“ in Winterberg. Vor eineinhalb Jahren startet er gemeinsam mit Michael Wenzl, Geschäftsführer BSC Winterberg Marketing GmbH, dieses einzigartige Projekt.
Frühmorgens hievt ein großer Kran die Windmaschine über das Dach des Eiskanals – das ist der Auftakt des vorläufigen Höhepunkts der Zusammenarbeit. Denn anschließend beginnt der Aufbau des „Windkanals“. Herzstück dessen ist neben der Maschine, die Windgeschwindigkeiten bis zu 90 km/h erzeugen kann, eine Druckmessplatte mit rund 15.000 Sensoren, die sich auch in der grauen Betonrinne des eigentlichen Eiskanals befindet.
„Wir begleiten das gute Handwerk der Jungs aus Winterberg mit Wissenschaft“, erklärt Matthias Scherge mit Blick auf Windmaschine, Druckmessplatte sowie die auf den Tischen daneben aufgebauten Laptops und Bildschirme. „Der Schlitten ist ein System, in dem man sich sehr schnell verlieren kann, wenn man schraubt oder dreht“, sagt Scherge: „Mit unserer Messtechnik messen wir zum Beispiel die Druckverteilung zwischen der Schiene und der Unterlage beim Lenken und – in Anführungsstrichen – Geradeausfahren.“
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Wie ändert sich die Lage des Schlittens, wenn Geueke oder Gamm ihren Kopf heben? Das ist eine der Fragen, auf die Antworten gesucht werden, wenn sich die Winterberger Rennrodler in ihren Rennanzügen samt Helmen auf ihr Sportgerät legen. Jede noch so winzige Bewegung wird von einer Spezialkamera erfasst – und diese ermöglicht, wie es heißt, die Visualisierung von Vibrationsdaten.
Jedes Mal, wenn die Doppelsitzer von ihrem Schlitten aufstehen, macht sich Robin Geueke auf einem College-Block Notizen. Etliche Papierblätter sind am Ende gefüllt. „Die Tests zeigen uns unter anderem, ob die Sachen, die wir über den Sommer am Schlitten gebaut haben, in die richtige Richtung gehen“, sagt Geueke. Die Rede ist immer wieder von Aerodynamik, von der Lage der beiden Sportler und davon, durch die korrekten Schlüsse aus den Messungen „ein, zwei Hundertstel, vielleicht sogar eine halbe Zehntel rauszuholen“.
Bewusst im Startbereich
Denn darum geht es im Rennrodeln: Mensch und Material so zu optimieren, dass immer mehr Bruchteile einer Sekunde auf dem Weg durch den Eiskanal eingespart werden. „Wir haben jetzt schon gemerkt, dass vieles wissenschaftlich belegt werden kann, was wir bereits aus unserer Erfahrung kennen“, sagt David Gamm. Und nach der Premiere des BSC-Duos im provisorischen Windkanal in der Eisbahn soll jene im großen, „richtigen“ Windkanal des Fraunhofer-Instituts in Karlsruhe bald folgen.
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„Wir sind hier bewusst in den Startbereich gegangen, wo die beiden extrem einlenken müssen“, erzählt Matthias Scherge und ergänzt: „Wir haben natürlich den Nachteil, dass wir CW-Werte und Kräfte in Fahrtrichtung nicht messen können.“ Das – steht in Karlsruhe an. Und dort verwirbelt sich künstlicher Nebel auch nicht so wie in Winterberg. Die Nase voll haben Geueke/Gamm von diesem einzigartigen – und ehrenamtlich durchgeführten – Projekt deshalb noch lange nicht. Im Gegenteil. Sie haben Lunte gerochen.