Hagen/Nizza. Beim Tourstart am Samstag blickt die Sportwelt auch auf Lennard Kämna (23). Der deutsche Top-Fahrer holte sich seine starke Form im Sauerland.

Sich nach 168 Kilometern im Sattel erschöpft, aber zufrieden im Bus auf den Polstersitz fallen zu lassen und später im Hotel beim Abendessen mit den Kollegen vom Team Bora-hansgrohe ein Gläschen zu heben – so in etwa sieht der Plan von Lennard Kämna aus für den 9. September. „Mal kurz mit den Kollegen beim Abendessen anstoßen, das wird auch während der Tour drin sein“, sagt der Profiradsportler mit dem Blick auf seinen 24. Geburtstag.

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Diesen wird Kämna auf der 11. Etappe von Chatelaillon-Plage nach Poitiers begehen – und es dürfte das erste und letzte Mal für den Norddeutschen sein, dass er seinen Ehrentag während der Tour de France erlebt. Denn die Corona-Pandemie hat auch das größte Radrennen der Welt getroffen. Getroffen zwar, aber nicht bezwungen. In Nizza, ausgerechnet im Risikogebiet der Cote d’Azur, fällt am Samstag der Startschuss zur 107. Auflage – acht Wochen später als gewöhnlich. Zuschauer sind unter Auflagen zugelassen, die Fahrer werden abgeschirmt, um einen Corona-bedingten Tourabbruch bloß zu vermeiden.

„Es hat alles verändert, also um rund zwei Monate nach hinten geschoben“, sagt Kämna im Gespräch mit dieser Zeitung. Das Schwierige sei nicht die Vorbereitung an sich gewesen. „Die war dann wieder sehr ähnlich. Aber die Zeit in der Ungewissheit, die war nicht ganz so einfach“, verrät der Allrounder, der in diesem Jahr von Team Sunweb zum Rennstall Bora-hansgrohe wechselte. „Wir mussten ja weiter trainieren und fit bleiben. Und das war ohne konkretes Ziel, solange es keinen Kalender gab, schon eine Herausforderung.“

Trainingsfahrten zum Sorpesee

Kämna ging einen ganz eigenen Weg, um sich dieser Herausforderung zu stellen: Seit Anfang Juli war er bei seiner Freundin in Hagen, trainierte dort für sich allein und strampelte durch Südwestfalen. „Ja das stimmt. Ich fahre hauptsächlich ins Sauerland“, nickt der Blondschopf. Dass sich eine der größten Radsport-Hoffnungen des Landes für den Jahreshöhepunkt im „Land der tausend Berge“ in Form gebracht hat, ist also keine Übertreibung, wenn Kämna sagt: „Bei längeren Einheiten ist auch immer mal der Sorpesee dabei.“

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Dass das Sauerland als Tour-Trainingslager kein schlechter Standort ist, beweist Kämnas Verfassung. Vor allem sein Sieg auf der vierten Etappe und Gesamtplatz acht bei der Dauphiné, die zwei Wochen vor der Tour als ultimativer Härtetest gilt, ließen aufhorchen.

Die Deutsche Meisterschaft am Sonntag, bei der er nicht auftrumpfen konnte, sei für ihn hingegen kein Gradmesser gewesen: „Meine Form passt. Der Kurs am Sachsenring war für mich als Bergfahrer viel zu leicht. Da konnte ich meine Stärke nicht ausspielen.“ Zudem hätte die ganze Konkurrenz nur auf seine Mannschaft geschaut. „Das ist völlig anders als bei der Tour, wo immer hart gefahren wird und es einen Schlagabtausch zwischen den Teams gibt“, erläutert Kämna.

Buchmann fährt für das Podium

Sich in diesem Schlagabtausch beweisen und das Podium angreifen soll Mitfavorit Emanuel Buchmann, Kämnas Kapitän, der für das große dreiwöchige Spektakel nach einem Sturz allerdings nur so eben noch fit geworden ist.

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Kann Lennard Kämna, der bei seiner Tour-Premiere 2019 einen respektablen 40. Platz belegte, also sogar schon mehr als „nur“ Buchmanns Edelhelfer sein? „Bei der Tour bin ich als Helfer für Emu dabei. Aber natürlich kann sich in der einen oder anderen Rennsituation auch eine Chance für mich ergeben. Das hat man ja auch bei der Dauphiné gesehen. Aber das Ergebnis des Teams steht eindeutig im Vordergrund“, sagt Kämna, der (noch) keine eigenen Ambitionen formulieren möchte.

Anstoßen will er aber nach dem 9. September sicher noch ein zweites Mal – dann, wenn das Peloton am 20. September Paris erreicht hat und die Sprinter auf dem Champs-Elysées den letzten Glanzpunkt gesetzt haben. Anstoßen auf eine erfolgreiche Tour – und auf die Berge des Sauerlands, die mit ihren Serpentinen und Höhenmetern in Kämnas kraftvollen Beinen stecken.