Arnsberg/Meschede. Wie durch ein Wunder führt Reiterin Melanie Wienand (39) ein selbstbestimmtes Leben. Was der Arnsbergerin widerfahren ist und wie sie damit lebt.

Die erste Diagnose war verheerend. „Die Ärzte sahen in mir einen künftigen Pflegefall“, sagt Melanie Wienand. Nach einem Reitunfall im Jahr 2011 lag die Arnsbergerin mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma im Koma. In der Folge musste sie alles neu erlernen: Das Sprechen, Schreiben und Gehen. Melanie Wienand kämpfte sich auch durch die Hilfe der Familie, von Freunden und ihrer Pferde zurück ins Leben. Die 39-Jährige will nun Menschen mit einem ähnlichen Schicksal Mut machen.

Uli Wienand muss nicht lange überlegen, wenn er über die Zeit nach dem Unfall seiner Tochter vor acht Jahren spricht. „Wer damals Melanie in der Reha gesehen hat, der muss sagen: Wir haben danach ein Wunder erlebt. Melanie hat in den vergangenen Jahren etwas geleistet, das sich niemand vorstellen kann. Sie ist eine totale Kämpferin, Macherin und für Menschen mit einem ähnlichen Schicksal ein absolutes Vorbild“, sagt der Mescheder.

Das geschieht bei ihrem Unfall

Ob sie sich selbst in der Retrospektive darüber gewundert habe, wie sehr sie trotz der schlimmen Perspektive dafür gekämpft hat, um weiterhin ein selbstbestimmtes Leben zu führen, wird Melanie Wienand gefragt. Sie muss überlegen. Dann sagt sie: „Ach, für mich war das selbstverständlich, dass ich so handele. So bin ich eben einfach.“ An den Unfall, der am 12. November 2011 im Zuge einer Auktion des Hannoveraner Verbandes geschah, hat die gebürtige Arnsbergerin keine Erinnerungen mehr. Die erfahrene Ausbilderin und damalige Chef-Bereiterin ihres damaligen Arbeitgebers stürzte von ihrem Pferd, verlor das Bewusstsein und erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Dass sie erstmals einen Helm beim Reiten trug, rettete ihr dabei wohl das Leben.

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Vier Wochen lang lag Melanie Wienand im künstlichen Koma und schuftete anschließend quälend lange neun Monate in der Reha. „Es ging aber immer weiter bergauf, vom Rollstuhl aus in den Rollator und weiter. Hart war es eher danach, nämlich aus der abgeschlossenen Welt der Reha in die „normale“ Welt zu kommen. Da hatte ich auch mal meine Zweifel“, erzählt die Reiterin.

Direkt wieder in den Sattel

Bereits in der Reha unternahm sie therapeutisches Reiten und saß wieder im Sattel. Den Tieren habe sie viel zu verdanken, betont die Arnsbergerin: „Die Pferde haben mich gerettet.“ Enttäuscht sei sie damals von einigen Freunden und Bekannten aus der Reiterszene gewesen, die sich „von mir abgewandt haben, weil ich nicht mehr zur Elite gehörte“. Mittlerweile nimmt es Melanie Wienand relativ gelassen. „Ich bin von einer Profireiterin zu einer Pferdemutti geworden“, sagt sie und lacht.

Damit meint Wienand den Übergang in ihre zweite Karriere, den Para-Reitsport und vor allem die Para-Dressur. Hier nimmt sie an Regelturnieren und auch an speziellen Wettbewerben für Pferdesportler mit Handicap teil. Die Wettkampfklassen richten sich nach der Schwere der Behinderung, eingeordnet ist Melanie Wienand in den „Grade 3“. Die Anforderungen entsprechen vergleichbar den Klassen A bis L.

Ein gewisses Hadern bleibt

Auf Lemony’s Loverboy, einem Nachkommen des legendären, für 900.000 Euro verkauften Ausnahmehengstes Lemony’s Nicket, den Melanie Wienand einst in einer Auktion vorstellte, ist sie erfolgreich unterwegs. Bei den Deutschen Para-Meisterschaften holte sie zuletzt Silber in der Dressur. „Das war grandios. Vorher hatte ich noch nie auf dem Siegerpodest die Nationalhymne gehört“, sagt Wienand. Auch ihr erster Start in einem internationalen Feld im saarländischen Überherrn gab ihr das Gefühl, „dass ich auf dem richtigen Weg bin“.

Bei Vorträgen versucht Wienand, die mittlerweile im Vertrieb und in der Disposition eines Unternehmens in Niedersachsen arbeitet, Menschen ihr Schicksal offen näher zu bringen. Sie möchte anderen helfen. „Ich will zeigen: Es lohnt sich zu kämpfen. Ich spreche gerne Mut zu“, sagt die Sportlerin. Gleichwohl verspüre sie beim Reiten Respekt, jedoch keine Angst. Mit dem Gleichgewicht und der Koordination hat sie Probleme. „Eine gewisse Unzufriedenheit, dass ich das Wilde, Ungehaltene nicht mehr so leben kann, wird immer bleiben. Trotzdem bin ich glücklich. Ich fühle mich vor allem auf einem Pferd sehr wohl.“