Winterberg. Die Bahn sei zu gefährlich, sagen viele Rennrodler vor dem Weltcup in Winterberg. Ihr Startverzicht ist aber auch Teil einer Machtprobe.
Johannes Ludwig war selbst erschrocken, von dem was er sah. „Ich habe Athleten im Starthaus gesehen, die waren kreidebleich und hatten Angst“, sagte Ludwig, einer der besten deutschen Rennrodler, vor dem Weltcup in Winterberg. Der Grund für den Gemütszustand seiner Kollegen? Der Eiskanal der Veltins-EisArena mutierte vom silbernen Band, das sich die Kappe herunterschlängelt, zu einer Art Monster, welches Stürze provozierte – Stürze mit Folgen.
Julia Taubitz legt Wert auf Fairplay
Mit nur 12 Punkten Abstand im Gesamtweltcup gehen die Führende Tatjana Ivanova und ihre Verfolgerin Julia Taubitz an diesem Samstag (9.55 Uhr) in den ersten Lauf in Winterberg. Dass beide starten, entschied sich erst nach einer Besprechung. Denn der Gesamtweltcup solle nicht durch den Startverzicht einer Athletin entschieden werden. „Wenn ihr ein Start zu gefährlich gewesen wäre, wäre ich auch nicht gestartet“, sagte Taubitz.
„Wir mussten wahrnehmen, dass wir mehr Flugzeiten als Kontaktzeiten mit dem Eis haben“, erklärte Ludwig seine ersten Eindrücke vom Eiskanal im Hochsauerland und ergänzte: „Das Problem ist, dass du als Rodler, wenn du mehr in der Luft bist als auf dem Eis, den Schlitten nicht mehr steuern kannst. Somit wird das nicht kontrollierbar und im Hochgeschwindigkeitsbereich kann es gefährlich werden.“
Auch Felix Loch verzichtet
So gefährlich kann es werden, dass Stürze mit Verletzungen gar nicht zu verhindern sind. Deshalb erlebte die Rennrodel-Szene eine Solidarisierung quer durch verschiedene Nationen mit der Folge, dass etwa die drei deutschen Doppelsitzer Eggert/Benecken, Wendl/Arlt und Geueke/Gamm ebenso wie Felix Loch in Winterberg nicht starten werden. Das österreichische Team ist bereits komplett abgereist und auch der Russe Roman Repilov oder die US-Amerikanerin Summer Britcher verzichten auf einen Start.
Aber wieso „steht“, so sagen es die Experten, die Bahn bei diesem Weltcup so schlecht? Immerhin richtet die Veltins-EisArena in Zusammenarbeit mit dem BRC Hallenberg nicht zum ersten Mal einen Rennrodel-Weltcup aus. „Es sind viele verschiedene Sachen zusammengekommen, die nicht erkennbar waren“, sagte Geschäftsführer Stephan Pieper: „Wir hatten zwei Stürme hintereinander und mussten aus Sicherheitsgründen die Segel offen lassen.“
Der Bahn-Chef erklärt
Die Segel – das ist der Wetterschutz für den Eiskanal. Weil diese aber nicht geschlossen werden konnten, blies der warme Wind auf das Eis und dieses rauhte auf. „Die Bahnarbeiter mussten exorbitant viel Wasser in die Bahn spritzen. Wir haben versucht, das Eis herauszubringen, aber es hat nicht gereicht“, ergänzte Pieper. Zum Beginn der Trainingswoche präsentierte sich der Eiskanal salopp gesagt sehr holprig und gleichzeitig schnell – eine fatale Kombination.
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Auf etwas legt der Bahnchef aber besonderen Wert: „Dass der Zustand an Taxibobfahrten lag, ist schlicht und einfach Quatsch“, sagte er. Nur eins räumte er ein: „Hätten wir die Problematik früher erkannt, hätten wir die Bahn gesperrt und hätten vor den ersten Trainingsläufen früher mit der Arbeit anfangen können.“
Doch erst nach den ersten abgebrochenen Trainingsläufen und Trainingsstürzen zeichnete sich das Ausmaß der Probleme ab. Die Reaktion des Internationalen Rennrodelverbandes FIL trug dann dazu bei, dass sich neben dem Verzicht auf Grund der zu großen Gefahr auch ein Startverzicht als Machtprobe mit den Offiziellen etablierte.
„Warum war die Bahn nicht sicher? Warum behauptete die FIL so lange, dass alles in Ordnung sei, obwohl alle Athleten das Gegenteil sagten?“, fragte zum Beispiel Summer Britcher. „Wir sind Rennfahrer, wir wollen mit anderen auf höchstem Niveau konkurrieren und lieben diesen Nervenkitzel“, erklärte Robin Geueke: „Aber so sehr wir uns auf unseren Heim-Weltcup gefreut haben, genauso vernünftig müssen wir entscheiden, dass die Gesundheit nicht nur von uns, sondern auch von allen anderen Athleten im Vordergrund steht und immer stehen muss.“
So reagiert die FIL
Nicht nur deutsche Top-Athleten wollen – mit Unterstützung ihrer Trainer – beim Weltcup in Winterberg mit einem Startverzicht ein Zeichen setzen, dass auch beim Rennrodeln mehr auf die Meinung der Aktiven gehört wird.
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Es gibt allerdings Stimmen, die eine andere Sprache sprechen. „Wir sind zu verwöhnt, alles muss super glatt sein“, erklärte Kurt Brugger, Cheftrainer der italienischen Mannschaft, und ergänzte: „Es wird immer ziemlich viel gejammert.“
Wie dem auch sei: Als Reaktion auf die Proteste und den Startverzicht etlicher Rennrodler änderte die FIL die Starthöhen: Die Herren beginnen am Damenstart, die Damen am Doppelstart und bei den Doppeln wird die Bahn nur eingeschränkt gewartet. Durch diese Maßnahmen soll die Geschwindigkeit reduziert werden.
Das allerdings – erschreckte Johannes Ludwig erneut. Und die amtierende Vize-Weltmeisterin Julia Taubitz ebenso. „Das ist lächerlich und eine Entscheidung, mit der ich nicht wirklich klarkomme“, sagte sie: „Wenn man sagt, es ist zu gefährlich, dann kann man das auch einfach mal abbrechen.“