Gelsenkirchen. Auf Schalke ging es in den letzten Tagen drunter und drüber. Sportchef Marc Wilmots hat sich im WAZ-Interview zur Rauswurf-Welle geäußert.
Während die Profis von Schalke 04 ihren Sommerurlaub genießen, ist Sportdirektor Marc Wilmots häufig bis zum Abend in der Geschäftsstelle. Zusammen mit Kaderplaner Ben Manga bastelt der 55 Jahre alte Belgier aktuell an einem neuen Schalke und musste deshalb sogar schon seine Ehefrau vertrösten. „Sie hat mich gefragt, wann wir Urlaub planen können. Ich habe ihr gesagt: in fünf Monaten. Jetzt ist nicht der Moment, um Urlaub zu machen“, erzählt Wilmots.
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Im Interview bestätigt Wilmots den Verbleib von Trainer Karel Geraerts und er spricht über eine Zusammenarbeit mit Ben Manga, den großen Schalker Umbruch und Differenzen innerhalb des Vereins.
Nach monatelangen Spekulationen steht inzwischen fest: Karel Geraerts bleibt Trainer auf Schalke. Warum ist die Entscheidung jetzt erst gefallen?
Marc Wilmots: Karel wollte nach der Saison persönlich mit seiner Familie und seinen Beratern über seine Zukunft reden. Das ist völlig verständlich, er hat fünf Kinder und arbeitet erstmals im Ausland, weit weg von der Familie. Da er diese Gespräche erst in seinem Urlaub geführt hat, hat er den Raum für Spekulationen offengelassen – und die Leute rund um Schalke horchen bei Spekulationen immer auf. Nach dem Spiel in Fürth hat er sich erstmals klar positioniert und gesagt, dass er bleiben will. Für mich war die Sache aber schon länger klar. Er hat in den vergangenen Monaten sehr gute Arbeit geleistet, ist ein junger Trainer, der zu Schalke passt. Also warum sollten wir ihn abgeben? Karel hat hier einen Vertrag und wir planen mit ihm.
Karel Geraerts hatte auf Schalke keinen leichten Start.
Wilmots: Fremdes Land, fremde Liga, fremde Sprache, Amtsantritt mitten in der Saison – ich muss zugeben: Bei seiner Unterschrift auf Schalke war auch ich zunächst skeptisch. Seit Januar arbeiten wir zusammen und haben es geschafft, Schalke in der Liga zu halten. Das war im ersten Schritt das Wichtigste. In seiner täglichen Arbeit erinnert mich Karel mittlerweile ein bisschen an Huub Stevens, ich habe meine anfängliche Meinung revidiert.
Inwiefern?
Wilmots: Karel ist hier jeden Tag der erste auf dem Gelände, lebt Schalke, denkt 24 Stunden an Schalke – er ist ein Arbeitstier genau wie Huub. In der kommenden Saison hat er die Aufgabe, die Mannschaft fußballerisch weiterzuentwickeln. Wir wollen Ballbesitz in unserem Spiel haben, mehr kombinieren und weniger auf lange Bälle setzen. Im Kampf und den Klassenerhalt ging es nicht anders, das war jedoch nur ein kurzfristiges Modell für uns. Wir sind uns einig, welchen Weg wir gehen wollen.
Schalke plant 2024/25 eine veränderte Grundausrichtung
Ist das eine Vorgabe der sportlichen Leitung oder kam der Impuls vom Trainer?
Wilmots: Unser Ziel ist es, dass der Verein die Grundausrichtung und die Spielerprofile vorgibt, die wir brauchen. Natürlich spricht der Trainer da mit, Ben Manga und ich wollen aber in den nächsten Jahren eine klare spielerische Linie etablieren – unabhängig vom Trainer. Zentraler Bestandteil sollen junge Spieler sein. Wir wollen talentierte Jungs weiterentwickeln. Und die Wahrheit ist doch: Wenn wir nur lange Bälle schlagen, entwickelt sich kaum ein Spieler weiter.
Ben Manga hat weite Teile der Kaderplanung übernommen, die zuvor in Ihrer Hand lag. Wie genau sehen Ihre Aufgaben als Sportdirektor jetzt aus?
Wilmots: Das ist Ihre Interpretation, nicht unsere. Wenn es um Transferentscheidungen geht, setze ich mich immer mit Ben zusammen und wir gehen gemeinsam alle Möglichkeiten durch. Nehmen wir den Transfer von Adrian Gantenbein. Wir haben ausführlich über ihn gesprochen. Es gab einige Scoutingberichte und auch ich habe ihn mir persönlich im Stadion angeschaut. Er passt perfekt zu Schalke. Wenn genug Personen in einen Transfer eingebunden sind, machen wir weniger Fehler, das muss unser Ziel sein.
Trotzdem müssen Sie Verantwortung abgeben.
Wilmots: Diese Diskussion ist nicht zielführend. Wir haben Ben geholt, weil er viel Expertise mitbringt und zusätzlich über ein gutes Team mit vielen Scouts verfügt. Ich persönlich habe dafür gekämpft, dass er zu Schalke kommt. Es geht nicht darum, ob Ben Manga oder Marc Wilmots den Transfer eingefädelt haben, es geht um Schalke 04. Wir teilen die Arbeit, mit Macht-Debatten kann ich nichts anfangen. Das haben wir auch am Montag in einer großen Runde mit dem Vorstand ganz klar besprochen und sind uns einig. Ich bin nicht auf Schalke, um möglichst viel Macht zu haben, es geht nur um das Beste für den Verein.
Schalke-Sportchef Wilmots: „Klub voller Ja-Sager der Untergang“
Sie sind meinungsstark. In solch einer Konstellation wird es doch sicher zu Streit kommen.
Wilmots: Meinungsverschiedenheiten können uns stärker machen, solange sie sachlich bleiben. Wir müssen inhaltlich intensiv und auch hart diskutieren, um gute Ergebnisse zu erzielen. Wenn es in einem großen Klub wie Schalke 04 nie kracht, läuft etwas falsch, dann fehlt die Energie. Es ist extrem wichtig, Fehler und Differenzen offen anzusprechen, nur dann kann sich etwas ändern. Ein Klub voller Ja-Sager wäre der Untergang.
Auf Schalke wird gerade ein großer Umbruch eingeleitet. Sie tauschen fast den kompletten Kader aus. Warum ist ein solch drastischer Weg nötig?
Wilmots: Es ist ohne Zweifel ein großer Umbruch, aber wir haben gutes Personal und sind sicher, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Wir wollen eine junge, entwicklungsfähige Mannschaft, die in der 2. Bundesliga konkurrenzfähig ist und um die oberen Plätze mitspielen kann. Wir brauchen Stabilität und keine große Klappe. Deshalb wäre es viel zu früh, jetzt schon wieder vom Aufstieg zu sprechen.
Waren die vielen älteren und meinungsstarken Spieler in der vergangenen Saison ein Problem?
Wilmots: Vorweg: Ich habe kein Problem mit älteren Spielern. Wir wollen und werden die Vergangenheit nun hinter uns lassen. Viele von den Jungs haben hier drei Jahre gespielt – mit guten und schlechten Momenten. Jetzt braucht es frisches Blut und Spieler, die hungrig sind auf ein neues Schalke. Manche Entscheidungen tun weh, aber wir gehen diesen Weg bewusst, setzen auf junge Fußballer, die ihren Marktwert entwickeln sollen. Sie sollen schnell sein, ins Dribbling gehen, Torgefahr ausstrahlen. Wir wollen unseren Fans wieder Spaß bereiten.
Wie Marc Wilmots hoffnungsvolle Talente zu Schalke locken will
Aber diese Spieler sind auf dem Markt hart umkämpft. Wie gelingt es Ihnen, hoffnungsvolle Talente für Schalke 04 zu begeistern?
Wilmots: Gucken Sie doch mal aus dem Fenster. (Wilmots zeigt auf die Arena unweit der Geschäftsstelle). Sie werden überrascht sein, wie viele Spieler auch in der 2. Liga zu Schalke wechseln wollen. Der Verein hat so viel zu bieten: Emotionen, Leidenschaft, ein tolles Stadion und natürlich die Fans. Klar ist aber: Wir haben nicht mehr das Geld, um Spieler für drei oder vier Millionen Euro zu kaufen. Bei der Suche nach Neuzugängen müssen wir deshalb mit Blick auf Ablösezahlungen kreativ sein. Auf den Listen von Ben stehen auch Jungs, die aktuell in ihren Clubs Schwierigkeiten haben, die aber den Sprung zu Schalke schaffen können.
Viele Verträge wurden nicht verlängert, einige Profis sollen den Klub noch verlassen und sind nicht mehr eingeplant. Wie wollen Sie es schaffen, den Kader bis zum Start der Vorbereitung am 24. Juni komplett zu haben?
Wilmots: Wir arbeiten eine Baustelle nach der anderen ab, die Richtung stimmt. Zu viele Details will ich noch nicht verraten, aber mit sieben bis acht Spielern sind wir in unseren Gesprächen schon sehr weit.
Marius Müller steht vor einem Wechsel zum VfL Wolfsburg. Warum geben Sie Ihren Stammtorwart ab?
Wilmots: Ich kann verstehen, dass sich viele Fans wünschen, dass Marius bleibt. Aber wenn ein Spieler gehen will, finden wir einen anderen guten Torwart. Seine und unsere Vorstellungen sind klar.
Bei möglichem Verkauf: Schalke hofft auf Leihe von Assan Ouédraogo
Wollen Sie weiterhin mit Marius Müller verlängern?
Wilmots: Unser erstes Vertragsangebot hat er abgelehnt, es hat nicht seinen Vorstellungen entsprochen. Wenn ein anderer Verein mit besseren finanziellen Möglichkeiten kommt, können wir ab einem gewissen Punkt nicht mehr mithalten. Noch hat er aber ein Jahr Vertrag, die Verhandlungen laufen.
Auch der Vertrag von Kenan Karaman läuft noch ein Jahr. Wie stehen die Chancen auf eine Verlängerung?
Wilmots: Wir wollen mit Kenan verlängern, die Gespräche laufen. Ich habe ein gutes Gefühl, die Signale von Kenan waren positiv. Wir werden ihm ein gutes Angebot vorlegen und dabei bis an unsere Schmerzgrenze gehen, damit er ein Schalker bleibt.
Heftig umworben wird Assan Ouédraogo. Wie realistisch ist das Szenario, dass er in diesem Sommer bei einem Top-Klub unterschreibt und dann direkt zurück an Schalke 04 ausgeliehen wird?
Wilmots: Seine Familie und sein Berater sind in Verhandlungen mit großen Klubs. Es ist kein Geheimnis, dass wir ihn gern noch länger auf Schalke sehen würden. Wegen einer schweren Verletzung hat er leider in der Saison einige Spiele verpasst und ich glaube, Assans Entwicklung würde es guttun, wenn wir ihn noch ein oder zwei Jahre ausleihen könnten. Sein neuer Verein muss damit aber einverstanden sein.
Schalke-Trio spielt in den Profi-Planungen keine Rolle mehr
Könnte die komplette Ouédraogo-Ablöse in den Kader investiert werden?
Wilmots: Nein, das ist aber von vornherein klar besprochen gewesen. Der Rest des Geldes wird woanders gebraucht, das ist auch okay so.
Keine Zukunft auf Schalke haben Lino Tempelmann, Henning Matriciani und Tobias Mohr – trotz laufender Verträge. Warum hat das Trio erst während des Abschlussbrunchs am vergangenen Montag erfahren, dass sie gehen sollen?
Wilmots: Wir wollten es den Spielern vor der Sommerpause unbedingt noch persönlich sagen, aber vor dem Spiel in Fürth war dafür keine Zeit, alles ging sehr schnell. Der Zeitpunkt am Montag war nicht der richtige, das gebe ich zu. Aber es gab leider keine andere Lösung, es sonst noch vor dem Urlaub zu klären. Trotz ihrer Verträge spielen sie in den Planungen für nächste Saison keine Rolle, diese Transparenz war uns wichtig.
Auch langjährige Mitarbeiter wie Physiotherapeuten, Co-Trainer Mike Büskens oder Torwart-Trainer Simon Henzler haben nach Saisonende erfahren, dass sie Schalke verlassen müssen. Teilweise sind sogar Tränen geflossen.
Wilmots: Das Timing war nicht gut. Wir wollen einen gezielten Cut machen, um mit frischem Personal einen Neuanfang auf und neben dem Platz zu starten. Wir wissen, dass wir auch gute Leute verlieren. Uns ist es bewusst, dass wir ins Risiko gehen – aber wir sehen vor allem die Chance.
Schalke-Sportdirektor Wilmots gibt Fehler bei Simon Henzler zu
Stimmt es, dass Sie Simon Henzler noch vor wenigen Wochen in Aussicht gestellt hatten, auf Schalke bleiben zu können?
Wilmots: Ja, das stimmt. In dem Prozess der vielen Entscheidungen ist dieser Fall nicht gut gelaufen, mehr möchte ich an dieser Stelle nicht sagen. Wir haben die Situation intern nachbesprochen, das müssen wir ohne Zweifel besser lösen.
Schalke: Fährmann, Baumgartl und Drexler können gehen
Wie schwer ist es, sich mit Ralf Fährmann, Timo Baumgartl oder Dominick Drexler in Zukunftsfragen zu einigen? Zahlungen von Abfindungen scheinen wahrscheinlich.
Wilmots: Wenn sich ein Verein für einen neuen Weg entscheidet, gibt es neben Gewinnern immer auch Verlierer. Wir haben den Spielern früh gesagt, dass wir nicht mehr mit ihnen planen. Sie haben Zeit, sich neue Vereine suchen. Die Gespräche mit den Beratern laufen. Auch mit den drei Spielern haben wir gesprochen.