Gelsenkirchen. Schalke 04 kann ein weiteres Jahr in der zweiten Liga planen. Ein Grund zum Feiern ist das nicht gerade, es drängen viele Fragen. Ein Kommentar
Hand aufs Herz: Noch vor weniger als zwei Monaten, Schalke hatte am 17. März gerade mit 2:5 in Berlin verloren, schien der Klassenerhalt in der Zweiten Liga ganz weit weg zu sein. Die bestimmenden Diskussionsthemen: Gibt es sofort einen Trainerwechsel? Wie geht es nach dem Abstieg weiter? Droht die Insolvenz? Dass nun bereits am drittletzten Spieltag der Ligaverbleib sicher ist, spricht dafür, dass diese zerstrittene Mannschaft allen Schwierigkeiten zum Trotz in der Lage war, sich zusammenzureißen, als es am nötigsten war. Aber das Erreichen des Minimalziels ist kein Grund für eine große Party mit Feuerwerk, Pyrotechnik, Freibier. Sondern der Startschuss für eine ausführliche Analyse: Wie konnte diese Saison so schiefgehen?
Natürlich dürfte die aktuelle Vereinsführung wieder das altbekannte Lied der Altlasten anstimmen, die sie vor drei Jahren von der ehemaligen Klubleitung erbte: horrende Schulden, eine hohe Zinslast, die den Verein zu erdrücken drohte, Wetten auf die Zukunft, die nicht aufgingen. Ja, das stimmt – aber in den fast drei Jahren, in denen Axel Hefer und Moritz Dörnemann an der Spitze des Aufsichtsrats stehen, gab es einen sehr guten finanziellen Rahmen, um die sportlichen Ziele zu erreichen. Das gelang aber nur im ersten Jahr mit dem Wiederaufstieg. Im zweiten (Klassenerhalt) und dritten (Aufstieg) wurden die Ziele verfehlt.
Schalkes Fehlplanung: Zwischen Personalentscheidungen und dem „Schalker Weg“
Und das liegt nicht an Hat-eben-nicht-sein-sollen-Pech, sondern zunächst an etlichen katastrophalen personellen Fehlentscheidungen. Es war falsch, Bernd Schröder im Januar 2022 zum Vorstandschef zu machen. Das kostete Millionen. Es war falsch, Frank Kramer im Juli 2022 nach dem Wiederaufstieg zum Cheftrainer zu machen. Schalke verschlief den Saisonstart, stieg vor allem deshalb am Ende ab. Auch das kostete Millionen. Es war falsch, im Juni 2023 André Hechelmann zum Sportdirektor zu machen. Der Schritt vom Chefscout zum Sportdirektor war zu groß für ihn, ihm fehlte vor allem die Fähigkeit, den Charakter von Spielern korrekt einzuschätzen. Resultat war eine in Grüppchen zerfallene, zerstrittene Mannschaft.
Es war zudem zweimal falsch, einen „Schalker Weg“ auszurufen. Im Juli 2022 wollte der Klub unbedingt Aufstiegstrainer Mike Büskens als Co-Trainer behalten – und vergraulte Trainerkandidaten, die besser zu Schalke gepasst hätten als Kramer. Im Juni 2023 setzte der Verein auf eine Kaderwert-Strategie und verbot Hechelmann, Profis ohne Kaufoption auszuleihen. Auch das: ein Fehler.
Nach dem Aufstieg 2022 griffen die jeweils sportlich Verantwortlichen – von Rouven Schröder über Peter Knäbel bis André Hechelmann – zu oft daneben. Spieler wie Jordan Larsson, Sebastian Polter, Alexander Schwolow, Florent Mollet, Timothée Kolodziejczak, Eder Balanta, Niklas Tauer, Michael Frey (alle 2022/2023) sowie Brandon Soppy, Lino Tempelmann, Timo Baumgartl, Darko Churlinov (alle 2023/2024) kosteten viel, brachten aber wenig.
Schalke: Es drängen noch weitere Fragen
Altlasten plus falsches Personal plus falsche Transfers – das sind nur die gröbsten Fehler, die für diesen großen Verein mit rund 180.000 Mitgliedern, einem wunderbaren Stadion, reisefreudigen, verrückten, lauten Fans beinahe im Abgrund geendet hätten. Es gibt auch noch kleinere Themen, die Bestandteil einer ausführlichen Analyse sein müssen: Warum lässt der Aufsichtsrat der Königsblauen seit Monaten den Konflikt mit Ex-Chef Clemens Tönnies köcheln? Ist Aufsichtsrats-Chef Axel Hefer zu selten präsent? Ist die aktive Fanszene der Königsblauen zu mächtig?
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Die Analyse und Beantwortung dieser Fragen eilt: In der kommenden Saison, auch wenn der Klub eine Zweijahres-Strategie ausgerufen hat, soll die Rückkehr in die Bundesliga gelingen. Die Kaderplanung übernehmen Sportdirektor Marc Wilmots und der neue Kaderplaner Ben Manga – Manga fängt auf Schalke neu an, Wilmots hat in bisher vier Monaten Amtszeit seine Eignung für seine Position noch nicht nachgewiesen. Gelingt es diesem ungleichen Duo, einen aufstiegsreifen Kader zusammenzustellen?
Schalke braucht schnell Klarheit bei Geraerts und Co.
Schalke giert nach Fixpunkten. Ist Trainer Karel Geraerts einer davon? Die Vielleicht-vielleicht-auch-nicht-Diskussion muss der Klub schnell beenden, da Fans, aber vor allem mögliche neue Spieler sowie die Leistungsträger der aktuellen Mannschaft (Marius Müller, Tomas Kalas, Kenan Karaman) wissen wollen, ob es sich lohnt, ein Schalker zu bleiben. Die kommende Zweitliga-Saison wird nicht einfach, große Vereine werden die Liga weiter prägen: Hertha BSC, Hannover 96, Karlsruher SC, mutmaßlich der Hamburger SV und der 1. FC Köln. Alle haben Ambitionen.
Im Fußball kann es schnell gehen, Beispiele dafür gibt es viele. Das jüngste ist der VfB Stuttgart, der beinahe statt Schalke im Sommer 2023 abgestiegen wäre, sich nur über die Relegation rettete und dank kluger Entscheidungen bald in der Champions League spielt. Die SV Elversberg (2023), der SSV Ulm und vielleicht Preußen Münster (2024) marschierten dank cleverer Personalpolitik von der Regionalliga in die Zweite Liga durch. Deshalb ist es nicht ausgeschlossen, dass es Schalke auch gelingt, auf diese katastrophale eine überragende Saison folgen zu lassen.
Misslingt allerdings auch die dritte Kaderplanung, die dritte Sommervorbereitung und damit die dritte Saison in Folge, sollte im Sommer 2025 auch die Vereinsführung über Konsequenzen nachdenken. Und sich dem in diesem Jahr auch bewusst sein.
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