Gelsenkirchen. Schicksalsspiel für Schalke gegen Hannover, Mirko Slomka war Trainer bei beiden Klubs. Wie er Schalkes Situation und Neu-Trainer Geraerts sieht.
Was macht eigentlich Mirko Slomka? Der ehemalige Cheftrainer von Schalke 04 (2006 bis 2008) und Hannover 96 (2010 bis 2013 sowie 2019) operiert derzeit etwas abseits der Fußballbranche – als Sportmanagement-Student an der Uni St. Gallen, wo auch die Ex-Schalker Heiko Westermann und Hans Sarpei zu seinen Kommilitonen zählen.
„Ich will meinen Horizont erweitern und den Sport aus einer anderen Perspektive kennenlernen“, erklärt Slomka, der zusätzlich als Taktik-Experte bei Sky tätig ist. Auch zur aktuellen Lage auf Schalke hat der 56-Jährige eine messerscharfe Analyse parat.
Schalke 04 - Hannover 96: Mirko Slomka betrachtet das Spiel aus analytischer Sicht
Mirko Slomka, werden Sie sich Schalkes Schicksalsspiel gegen Hannover am Samstag (13 Uhr/Sky) live ansehen, vielleicht sogar im Stadion?
Mirko Slomka: Live ja, im Stadion leider nicht. Ich bin am Sonntag wieder bei Sky im Studio und muss bereits am Samstag meine Analysen vorbereiten. Aber ich werde mir das Spiel am Bildschirm angucken, vor allem natürlich aus analytischer Sicht.
Für welchen Ex-Klub schlägt denn Ihr Herz?
Mirko Slomka: Schwierig. Ich lebe in Hannover. Aber ich habe mit beiden Vereinen unfassbar schöne Zeiten erlebt, Schalke in der Champions League und 96 in der Europa League betreut. Für Königsblau wäre es enorm wichtig, einen Dreier zu holen. Andererseits: Wenn Hannover aufsteigen will, muss es bei einem Klub aus dem unteren Drittel gewinnen. Das ist die momentane Realität.
Ein großer Klub in der 3. Liga? Beispiel 1860 München
Kann S04 wirklich absteigen?
Mirko Slomka: Wenn du in der 2. Liga viermal in Folge verlierst, musst du dir schon Sorgen machen. Man denkt immer: Ein so großer Klub in der 3. Liga, das kann nicht sein. Doch! Ich nenne nur mal 1860 München.
Was sind die Gründe für Schalkes Absturz auf Rang 16?
Mirko Slomka: Ich kann die Dinge nur von außen betrachten. Für Zweitliga-Verhältnisse stehen viele Stars im Kader, aber Schalkes Team ist offensichtlich dysfunktional, es harmoniert nicht auf dem Platz. Vielleicht passen die Typen nicht zusammen.
Wie lässt sich das reparieren?
Mirko Slomka: Die Herausforderung ist, aus den Stars ein Star-Team zu formen, in dem jeder Verantwortung trägt, selbstreflektiert ist, Loyalität und Respekt aufbringt. Ich hatte 2006/07 auf Schalke auch keine einfachen Typen: Bordon, Krstajic, Lincoln, Özil, Kuranyi, Bajramovic … Da gab es viele Reibereien. Aber alle haben sich das, was zu sagen war, stets ins Gesicht gesagt. So hat’s funktioniert.
„Gemengelage auf Schalke extrem“
Damals wären Sie mit S04 fast Meister geworden, jetzt ist die Situation eine ganz andere.
Mirko Slomka: Natürlich ist die aktuelle Gemengelage auf Schalke extrem. Es gab schon früh in der Saison eine Trainerdiskussion und einen Wechsel. Zusätzlich scheint es bei Schalke momentan ein wenig an klarer Führung zu mangeln, auch weil der neue CEO erst im Januar sein Amt antreten kann. Gerade jetzt bräuchte der Klub starke Persönlichkeiten. Und noch etwas ist problematisch: Einerseits war zu hören, dass man während der Trainersuche große Namen des Weltfußballs wie Raúl oder Van Nistelrooy anfragte. Dann kam ein eher unbekannter Mann, der ganz sicher ein Toptrainer ist – das hat Karel Geraerts bei Union Saint-Gilloise bewiesen. Aber er kennt die Liga nicht wirklich und spricht die Sprache nicht. Nun ist die Frage: Kann er seine Ansprachen in der Klarheit vermitteln, die nötig ist? Verstehen die Spieler ihn alle?
Sollte heutzutage nicht jeder ein bisschen Englisch sprechen?
Mirko Slomka: Ich selbst habe kürzlich einen Trainerjob im Ausland abgelehnt, den ich auf Englisch hätte durchziehen müssen. Ich spreche einigermaßen gut Englisch, aber ich bin ein Trainer, der Spieler gern mal verbal anpackt und viel kommuniziert. Das kannst du nicht so tiefgreifend tun, wie du es vielleicht willst, wenn du eine Sprache nur halbwegs gut beherrschst.
Schalke kann sich keine Minusserie leisten
Schalkes Gegner Hannover hat ebenfalls Krisen hinter sich – auf dem Platz und im Umfeld. Plötzlich gilt 96 als Aufstiegsanwärter.
Mirko Slomka: Ich glaube, dass die Mannschaft tatsächlich aufsteigen kann. Sie ist sicher nicht schlechter als St. Pauli oder der HSV. Stefan Leitl ist ein toller Trainer, der die schwierigen Phasen in seiner Anfangszeit mit großer Gelassenheit überstanden hat und jetzt seine Handschrift einbringt. Außerdem hat man mit Ron-Robert Zieler einen Torwart, der sein Team in engen Spielen auf Siegkurs hält und mit Abwehrchef Marcel Halstenberg eine echte Integrationsfigur, die unbedingt aus Leipzig zurück in die Heimat wollte. Halstenberg ist ein Geschenk des Himmels für 96.
Schalke-Trainer Geraerts dagegen scheint sein Gerüst noch nicht gefunden zu haben.
Mirko Slomka: Wenn du im ersten Spiel das System und dazu die Aufstellung auf sieben Positionen veränderst, dann aber bereits in der Halbzeit dreimal wechselst, ist das natürlich ein Eingeständnis. Andererseits: Manchmal ist eine Niederlage zum Auftakt gar nicht schlecht, insbesondere wenn es anschließend ein reinigendes Gewitter gibt. Meine erfolgreiche Zeit in Hannover begann 2010 mit sechs Pleiten in Folge. Aber so eine Minusserie kann sich Schalke aktuell nicht leisten. Jetzt geht es darum, die richtigen Schlüsse aus dem 0:3 in Karlsruhe zu ziehen und schnell die Lösungen zu finden, die zum Kader passen.
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Noch mal: Kann Königsblau absteigen?
Mirko Slomka: Möglich ist alles im Fußball. Umso wichtiger ist es, jetzt Stabilität in die Mannschaft zu bekommen. Dazu gehören auch gewisse Stützpfeiler, zum Beispiel auf der Torwartposition. Ein Torhüter hat eine immense Wirkung auf eine Mannschaft. Insofern war die Entscheidung für Ralf Fährmann vielleicht genau richtig. Die Nummer 1 muss Souveränität ausstrahlen, das überträgt sich auf die Vorderleute – siehe Zieler in Hannover.
Wer gewinnt am Samstag, Schalke oder 96?
Mirko Slomka: Ich tippe auf ein 2:2.