Gelsenkirchen. Sven Vermant spielte für Schalke 04, kennt den neuen S04-Trainer Karel Geraerts gut – und spricht im Interview über seinen belgischen Landsmann.
Von 2001 bis 2005 trug Sven Vermant (50) das königsblaue Trikot. Heute ist er Assistenz-Coach der belgischen U17 und sieht die Verpflichtung seines Landsmanns Karel Geraerts (41) aus drei verschiedenen Perspektiven: als Trainerkollege, als Schalker und als Belgier.
Sven Vermant, was war Ihr erster Gedanke, als Sie erfuhren, dass Schalke Karel Geraerts verpflichtet hat?
Sven Vermant: Ich dachte mir: Geraerts? Super, das könnte passen. Ich war mit Schalke Vizemeister und Pokalsieger, sehe den Klub bis heute mit dem Herzen, und mein Herz hat zuletzt geblutet. Jetzt ist es wichtig, dass Schalke wieder eine Struktur und Stabilität bekommt. Dafür könnte Karel der Richtige sein. Dass er obendrein ein Landsmann ist, macht das Ganze für mich noch erfreulicher.
Sie haben 2000/01 sowie 2007/08 mit Geraerts beim FC Brügge gespielt. Konnten Sie damals erahnen, dass er mal Trainer wird?
In unserer ersten gemeinsamen Saison war er gerade mal 19. Dennoch hat er seine Meinung geäußert, auf respektvolle Weise. Als wir uns in Brügge wiedertrafen, war er 25 – ein gestandener Profi und ein Mitspieler, auf den man sich verlassen konnte, der stets um die Organisation auf dem Platz bemüht war, offensiv wie defensiv. Aber ob jemand eines Tages Coach wird, weiß man nie. Bei mir war das auch nicht der erste Gedanke nach der Spielerkarriere, dennoch bin ich seit 2008 ununterbrochen im Trainergeschäft tätig.
FC Schalke 04: Auch S04-Aufsichtsrat Youri Mulder an Geraerts-Verpflichtung beteiligt
An der Verpflichtung von Geraerts beteiligt war S04-Aufsichtsrat Youri Mulder, mit dem Sie noch auf Schalke gespielt haben. Hatten Sie auch Ihre Finger im Spiel?
Nein, ich war nicht involviert. Ich stehe zwar mit Youri in Kontakt, und natürlich spricht man mal über den einen oder Spieler oder Trainer. Aber die meisten Infos hat Youri selbst eingeholt. Er ist ja beruflich oft in Belgien, arbeitet als Experte fürs hiesige Fernsehen. Also hat er Karels Arbeit bei Union Saint-Gilloise genau verfolgt, wobei man nicht vergessen darf: Karel hat erst eine Saison als Chefcoach hinter sich, die war allerdings sehr erfolgreich.
Wie würden Sie ihn als Trainer charakterisieren?
Er war bekanntlich Co-Trainer in Saint-Gilloise, ehe er das Team zur Saison 2022/23 übernahm. Karel ließ ähnlich spielen wie sein Vorgänger Felice Mazzu, der bereits 2021/22 Vizemeister geworden war. Aber der Spielstil war nicht identisch. Karel setzt auf hohe Intensität, seine Spieler waren ständig in Bewegung – auch in dem Sinne, dass sie nicht starr am 3-5-2-System festhielten. Dennoch hatten sie stets eine gute Struktur, haben das Spiel von hinten aufgebaut und dann, im letzten Drittel, schnell in die Spitze gespielt. So wurde Karel vergangene Saison fast Meister, stand im Pokalhalbfinale und im Europa-League-Viertelfinale.
Motivator oder Stratege? – Sven Vermant: „Als Trainer musst du beides sein“
Umso überraschender, dass es keine Fortsetzung der Zusammenarbeit gab.
Ja, das hat in Belgien alle überrascht, auch mich. Vielleicht war das Schalkes Glück.
Ist Geraerts eher Motivator oder Stratege?
Als Trainer musst du beides sein. Nur wenn du das Team hinter dich bringst, kannst du – vielleicht – längerfristig arbeiten. Das wäre natürlich sehr gut für Schalke. Ich bin überzeugt, dass Karel einen mittelfristigen Plan für den Klub hat, aber auch eine klare Idee, wie er kurzfristig die Resultate verbessern kann.
Geraerts stammt aus der vom Bergbau geprägten Region Limburg, ebenso wie ein gewisser Huub Stevens.
Schmunzelt) Ja, aber der eine ist Belgier, der andere Niederländer. Die Mentalität in der grenzübergreifenden Region Limburg passt sicher gut zu Schalke, wobei man Karel nur bedingt mit Huub vergleichen kann: Karel ist emotional etwas kontrollierter.
Offene Kommunikation
Wie sieht denn seine tägliche Trainingsarbeit aus?
Er kommuniziert sehr offen mit den Spielern. Ich würde nicht sagen, dass das Verhältnis freundschaftlich ist, aber doch positiv. Und letztlich ist auch sein Fußball nach vorne ausgerichtet. Das passt ebenfalls zu Schalke.
Bei seiner ersten Pressekonferenz in Gelsenkirchen sprach Geraerts ausschließlich Englisch. Ist die Sprachbarriere ein Handicap?
Das glaube ich nicht. Zum einen wird er rasch Deutsch lernen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell das geht. Karel beherrscht die Sprache ja jetzt schon ein bisschen. Zum andern funktioniert die Kommunikation im Fußball sehr gut auf Englisch – weil die Mannschaften so international sind. Das Englische bietet präzise Fachbegriffe und war schon zu meiner aktiven Zeit in Brügge Kabinensprache.
Mit Co-Trainer Tim Smolders hat S04 einen weiteren Belgier in den Stab geholt – kennen Sie auch ihn persönlich?
Ja, auch mit Tim habe ich beim FC Brügge noch zusammengespielt. Später war er Co-Trainer der 2. Mannschaft. Dort hat er meinen in Gelsenkirchen geborenen Sohn Romeo betreut, der mittlerweile Profi in Brügge ist.
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Schafft Schalke mit Geraerts und Smolders den Klassenerhalt?
Das hoffe ich sehr. Karel wird die S04-Profis mithilfe von Datenbanken bereits eingehend analysiert haben. Nun geht es darum, dass er auf dem Platz die Feinheiten spürt: Wer braucht welche Freiheiten, wer fühlt sich auf welcher Position am wohlsten, wie kann man all das so zusammenfügen, dass flüssige Abläufe, gute Resultate und Selbstvertrauen entstehen? Ausgehend von diesen Fragen wird Karel das optimale Spielsystem ermitteln. Ich habe ein positives Gefühl.
Kann Schalke sogar noch aufsteigen?
Das Wort Aufstieg würde ich momentan nicht in den Mund nehmen. Eine Mannschaft kann man mit einem kleinen Kind vergleichen: Zuerst heißt es: krabbeln. Dann folgen einzelne kleine Schritte. Schließlich lernt das Kind, erfolgreich zu laufen. Ich würde sagen: Bis Dezember sollte Schalke so viele Punkte wie möglich holen und dann, nach eingehender Analyse, das Ziel für die Rückrunde ausrufen.