Gelsenkirchen. Der Name Raphael Brinkert fiel oft, wenn es auf Schalke um die Suche nach einem Vorstandsvorsitzenden ging. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.

Raphael Brinkert schaute persönlich vorbei, als der FC Schalke 04 in seiner Wahlheimat Hamburg spielte - und sah das 1:3 seines Lieblingsklubs S04 beim FC St. Pauli. Der 46-Jährige aus Haltern am See ist einer der bekanntesten Marketing-Experten Deutschlands, entwarf zum Beispiel die Kampagne, die Olaf Scholz und der SPD 2021 den Wahlsieg brachte. Zu seinem Kundenkreis gehören Sportverbände wie die Uefa und der DFB, aber auch Einzelsportler wie Leon Goretzka. Zuletzt fiel Brinkerts Name in Gelsenkirchen immer im Zusammenhang mit der Suche nach einem Vorstandsvorsitzenden. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.

Herr Brinkert, gab es Gespräche mit dem Aufsichtsrat des FC Schalke 04?

Raphael Brinkert: Richtig ist, dass es vor zwei Jahren einen intensiven Austausch gab. Zum damaligen Zeitpunkt, direkt nach dem erfolgreichen Comeback der SPD, hatte ich dem Verein auch angeboten, dass ich bis Ende der Saison ehrenamtlich helfen könnte, damit der Club zur Ruhe kommt und Zeit für die langfristig beste Lösung findet. Dieses Angebot habe ich in diesem Sommer, unter veränderten Rahmenbedingungen, erneuert, da sich unsere Agentur herausragend entwickelt und wir seit dem Erstkontakt nicht nur Agentur des Jahres geworden sind und die Mitarbeiterzahl in der Pandemie verdreifacht haben, sondern auch neue Kunden wie die Uefa für die Euro 2024 gewinnen konnten.

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Hat der Aufsichtsrat Ihnen kein konkretes Angebot für den CEO-Posten gemacht?

Brinkert: Nein. Dem Gremium obliegt es, die besten Personen für Schalke zu begeistern und zu gewinnen. Ich hoffe, dass der Verein eine exzellente Besetzung gefunden hat, der es gelingt, dass Schalke 04 so schnell wie möglich wieder auf Kurs kommt. Schalke und Fußball sind Mannschaftssport. Ich wünsche mir daher schon jetzt, dass wir alle den neuen Vorstand darin unterstützen, damit er erfolgreich sein kann. Ich bin bereit, als Mitglied und Experte meinen Beitrag dafür zu leisten.

Sie sind ein Marketing-Experte – hätten Sie sich auch die Sponsoren-Suche zugetraut?

Brinkert: Gerade bei Marketing und Sponsoring ist ein breites und belastbares Netzwerk in Wirtschaft, Sport, Gesellschaft und Politik überlebenswichtig. Dieses erfolgreich zu aktivieren, ist eine der zentralen Aufgaben unserer Agentur.

Wie bewerten Sie die aktuelle Situation des FC Schalke 04?

Brinkert: Kritisch und herausfordernd. Und genau deshalb braucht es keine warmen Worte, sondern Realismus, harte Arbeit und den Support aller. Der FC Schalke 04 hat in den letzten Jahren an Substanz verloren, aber geblieben ist die unfassbare Emotionalität, die Geschlossenheit und ein klares Leitbild. Wichtig ist, dass wir die aktuelle Situation nicht belächeln, sondern alles kritisch hinterfragen. Schalke muss man nicht nur wollen, sondern auch können. Schalke muss endlich wieder ein Club der Besten werden: der besten Köpfe und Ideen.

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Welche Aufgaben sind für den neuen CEO besonders dringlich?

Brinkert: Der Vorstandsvorsitzende muss ein erfolgreicher Krisenmanager sein, der eine Comeback-Mentalität versprüht. Ein Umsetzer, der die Ärmel hochkrempelt und die Stimmung auf der Geschäftsstelle, im Stadion und in den Medien und Netzwerken dreht. Wichtig ist nicht, ob der Name durchsickert oder nicht. Wichtig ist, dass es die beste Lösung ist.

Schmerzt es Sie, dass Union Berlin Champions League spielt, nicht Schalke?

Brinkert: Der Berliner Erfolg ist das Resultat harter Arbeit. Aber Schalke muss nicht nach Berlin gucken, auch wenn mit Oliver Ruhnert ein Vater des Berliner Erfolgs ein Schalker ist. Schalke muss sich in allen Gremien und an jeder Stelle hinterfragen: Haben wir genug erfahrene Sport-, Marketing-, Kommunikations-Kompetenz? Benötigen wir einen Wirtschaftsrat, wie es der FC Bayern oder der BVB haben? Binden wir Top-Sponsoren genug ein, um diese langfristig zu binden? Wie sehen die Verkaufsunterlagen aus? Wer in den letzten drei Jahren 200 Millionen Euro an Kaderwert verloren hat und dessen Marketing-Einnahmen stark rückläufig sind, der hat mehr als eine sportliche Herausforderung.

Die Vereinsführung hat gute Kontakte zur aktiven Fanszene. Ist das Ihrer Meinung nach ein Problem?

Brinkert: Ich würde mir wünschen, dass wir nicht nur gute, sondern auch exzellente Kontakte haben: Zur aktiven und passiven Fanszene, zu den Top-Unternehmen in Deutschland, zu Vereinen, Verbänden und Spielerberatern, zu Politik, Gesellschaft und Kultur sowie zu Meinungsführern, Multiplikatoren und Medien.

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Schalke hat mehrfach Angebote von Clemens Tönnies abgelehnt. Können Sie das verstehen?

Brinkert: Clemens Tönnies ist mit Marken wie Böklunder aktiver Sponsor und Logenpartner. Wenn die Angebote gut waren, dann wäre es sogar vereinsschädigend, sich nicht damit auseinanderzusetzen. Es geht nicht darum, wer mit wem gut kann, sondern einzig und allein um das Richtige für den FC Schalke 04.

Kann es sich der FC Schalke 04 erlauben, aktuell gar nicht über eine Ausgliederung der Profiabteilung zu diskutieren?

Brinkert: In den letzten Spielzeiten war nicht die Rechtsform entscheidend, sondern die Spieltagsform. Auch sieht man bei Hertha oder beim HSV, dass die Ausgliederung nicht zwangsläufig ein Erfolgsgarant ist, sondern in erster Linie eine Einmalzahlung zur Stärkung der Finanzen. Mindestens so wichtig wie die Rechtsform sind daher die handelnden Personen.

Sie haben die DFB-Kampagne „Fußballzeit ist die beste Zeit“ entworfen – ist der DFB auf dem Weg aus der Talsohle?

Brinkert: Fußballzeit war, ist und bleibt für viele Millionen Menschen in Deutschland die beste Zeit. Der DFB tut mit mutigen Entscheidungen wie zuletzt beim Kinderfußball und den Anstellungen wie der von Julian Nagelsmann, Hannes Wolf und Andreas Rettig alles dafür, dass es auch so bleibt. Ich bin fest überzeugt davon, dass wir bei der Heim-EM gut abschneiden und diese inhaltlichen und personellen Änderungen dazu beitragen, dass wir in Zukunft wieder erfolgreich sein werden. Kurz- und langfristig.

Machen Sie sich Sorgen um den deutschen Fußball?

Brinkert: Der deutsche Fußball besteht nicht nur aus den Leistungsmarken wie den Nationalmannschaften oder den Bundesligisten, sondern auch aus den 24.000 Vereinen mit 135.000 Mannschaften. Während die Leistungsmarken eine Ergebnis-Herausforderung haben, ist die Lage bei den Amateuren vielfältiger, da diese nicht nur im sportlichen Wettstreit stehen, sondern auch im zeitlichen Wettbewerb mit Schule, Beruf und alternativer Freizeitgestaltung. Wichtig ist, dass wir den Fußball als sozialen Kitt der Gesellschaft stärken und wieder wettbewerbsfähiger machen, dass wir den Mut haben, neue Wege zu gehen, wie es beim Kinderfußball der Fall ist.

Beim letzten Länderspiel zwischen Deutschland und Frankreich waren viele junge Fans anwesend, die Mbappé sehen wollten, aber eher nicht die DFB-Mannschaft. Sehen Sie die Gefahr, dass der Fußball die Generation Spielkonsole verliert?

Brinkert: Es gibt seit Jahren bei jüngeren Zielgruppen den Trend, vom Vereins- zum Superstar-Support zu beobachten. Hintergrund sind die Globalisierung des Sports und die Relevanzsteigerung der sozialen Netzwerke durch die Digitalisierung. Hier müssen Vereine mit Ideen und mutigen Lösungen gegensteuern.

Die Basketballer haben die Nation so begeistert wie der DFB lange nicht mehr. Was kann der Fußball davon lernen?

Brinkert: Die Basketball-Begeisterung ist geprägt vom sportlichen Erfolg und hat uns gezeigt, wie wichtig Dreier fürs Weiterkommen sind. Wenn wir uns daran halten, insbesondere bei WM- und EM-Endrunden, dann sollten wir auch im Fußball keine Angst vor der Zukunft haben.