Mittersill. Schalke-Profi Cedric Brunner traut sich das Kapitänsamt zu – und spricht im großen Interview über den Umgang mit medialer Kritik und Egos.

Zwei harte Trainingseinheiten hat Cedric Brunner schon in den Knochen, als er die WAZ am Abend gut gelaunt zum Interview im Schloss Mittersill begrüßt. Dabei spricht der 29 Jahre alte Schweizer, der parallel zu seiner Profi-Karriere Psychologie studiert, unter anderem über den Umgang mit Enttäuschungen und seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Denn immer wieder fällt auf, dass der Profi von Schalke 04 unterschätzt wird.

Schalke-Profi Cedric Brunner: "Wir sind ja hier, um zu arbeiten"!

Cedric Brunner, Sie sind inzwischen neun Jahre Profi, haben schon einige Saisonvorbereitungen hinter sich. Sind Trainingslager für Sie eher Fluch oder Segen?

Cedric Brunner: Spaß haben sie alle nicht gemacht. (grinst) Die Trainingseinheiten sind oft sehr hart – auch dieses Jahr in Mittersill. Aber so muss es sein, wir sind ja hier, um zu arbeiten. Gut ist aber, dass wir zwischen den Einheiten ein bisschen mehr Zeit haben als sonst. Wir quatschen, trinken mal einen Kaffee oder zocken zusammen – so kann man als Team zusammenwachsen. Wenn ich aber zurückblicke, muss ich feststellen: Beim FC Zürich waren die Trainingslager sogar noch ein bisschen intensiver. Das hat mich überrascht, weil der Fußball in Deutschland deutlich intensiver ist.

Sie beschäftigen sich als Psychologie-Student viel mit der menschlichen Psyche. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, den Abstieg zu verarbeiten?

Brunner: Es heißt ja: Die Zeit halt alle Wunden. Die ersten Tage und Wochen waren sehr schwierig, da habe ich diese Enttäuschung nicht aus dem Kopf bekommen. Der Abstieg mit Schalke war noch viel emotionaler als im Vorjahr mit Arminia Bielefeld.

Schalkes Rechtsverteidiger Cedric Brunner.
Schalkes Rechtsverteidiger Cedric Brunner. © RHR-Foto

Warum?

Brunner: Was nach dem Abpfiff in Leipzig abgegangen ist, war unglaublich, kaum in Worte zu fassen. Die Reaktionen waren durchweg positiv, obwohl wir als Mannschaft nicht mehr geschafft haben. Daran merkt man, dass die Fans mit wenig zufrieden sind, solange wir kämpfen bis zum Umfallen. Für die Fans tut mir der Abstieg unfassbar leid, denn sie verdienen die Champions League, nicht die 2. Liga. Für viele Fans ist der FC Schalke 04 alles, es ist ihr Lebensmittelpunkt. Und wir als Spieler sind für ihr Lebensglück verantwortlich. Diese Menschen zu enttäuschen, ist belastend.

Gibt es Techniken, um mit derart großen Enttäuschungen umzugehen?

Brunner: In der Theorie gibt es Techniken, aber in der Praxis ist es sehr schwierig, das auch umzusetzen. Ein Abstieg ist eine Extremsituation, die schwer für die Psyche ist. Ein bisschen geholfen hat mir die Meditation. So finde ich mein inneres Gleichgewicht wieder und kann die Dinge etwas rationaler sehen.

Zuletzt haben Sie drei Jahre in der Bundesliga gespielt. Wie schwer ist es für Sie, sich auf die 2. Liga einzulassen?

Brunner: Wer gedanklich jetzt noch in der 1. Liga ist, ist hier falsch. Wie schnell es gehen kann, wenn die Einstellung nicht stimmt, sieht man bei meinem Ex-Club Bielefeld. Sie wurden von der Bundesliga bis in die 3. Liga durchgereicht – so etwas passiert, wenn man nicht bereit ist.

Interview in Mittersill: Cedric Brunner im Gespräch mit den Reportern Andreas Ernst (links) und Robin Haack (mitte).
Interview in Mittersill: Cedric Brunner im Gespräch mit den Reportern Andreas Ernst (links) und Robin Haack (mitte). © RHR-Foto

Stand für Sie immer fest, dass Sie Schalke auch in der 2. Liga treu bleiben?

Brunner: Zu 100 Prozent. Ich habe keinen Tag an einen Wechsel gedacht.

Dabei haben Sie bewiesen, dass Sie auch eine Liga höher mithalten können.

Brunner: Ich fühle mich hier extrem wohl. Ich bin kein Fan davon, in Interviews künstlich eine Bindung zum Verein aufzubauen und zu behaupten, ich hätte schon als Kind in Schalke-Bettwäsche geschlafen, das wäre gelogen. Aber der Club hat so viel Emotionen, so viel Energie. Schalke hat mich gepackt und etwas mit mir gemacht, der Verein tut mir gut. Nach nur einem Jahr fühle ich mich Schalke tief verbunden und wünsche mir, noch lange hier zu spielen.

Ist sogar ein Karriereende auf Schalke denkbar?

Brunner: (lacht) Ich bin zwar schon im Herbst meiner Karriere, aber so nah fühlt sich mein Karriereende mit 29 noch nicht an. Doch ich kann mir Schlimmeres vorstellen, als meine Laufbahn auf Schalke zu beenden.

Dabei reizt Sie doch eigentlich auch der englische Fußball.

Brunner: Stimmt, England war ein Traum von mir. Aber ich bin Realist und weiß schon länger, dass es für die Premier League kaum reichen wird. Dort gibt es zu viel Geld und Qualität. Die Championship hatte ich immer mal wieder im Kopf. Mit meiner Spielweise und Härte würde ich dort hinpassen, aber ich weiß nicht, ob mein Körper den intensiven Spielstil wirklich 50 bis 55 Pflichtspiele pro Saison mitmachen würde. Deutschland passt da schon besser.

Will bei Schalke 04 mehr Verantwortung übernehmen: Cedric Brunner.
Will bei Schalke 04 mehr Verantwortung übernehmen: Cedric Brunner. © RHR-Foto

Was erzählt Ihr guter Freund und Ex-Teamkollege Stefan Ortega Ihnen über den englischen Fußball?

Brunner: Zum FA-Cup-Finale hat er mich kürzlich ins Wembley Stadion eingeladen. Mit Manchester City hat er das Triple gewonnen, besser hätte es nicht laufen können. Wir sprechen oft miteinander und für mich ist es sehr spannend zu hören, wie es in der Kabine einer solchen Weltklasse-Mannschaft zugeht. Da geht es viel weniger ums Team als bei uns, sondern um Individualisten. Je höher die Qualität der Spieler ist, desto größer sind deren Egos – das macht es nicht leichter.

Das war in den vergangenen Jahren auch auf Schalke zu beobachten. Zu Champions-League-Zeiten waren die Charaktere im Team ganz anders als jetzt.

Brunner: "Auf Schalke hat niemand Allüren"

Brunner: Aktuell fühlt es sich familiär an. Alle sind zusammengerückt, wir sind eine Einheit, kommen gut miteinander aus. Auf Schalke hat niemand Allüren, in dieser Truppe sind alle normal geblieben.

Was sind Ihre persönlichen Ziele für die kommende Saison?

Brunner: Ich bin ein Teamplayer, das Wohl der Mannschaft steht im Vordergrund und der Aufstieg über allem. Persönlich ist es mein Ziel, Stammspieler zu bleiben und eine Führungsrolle im Team einzunehmen. Ich will mehr Verantwortung übernehmen, das muss mein Anspruch sein.

Auch Sie werden nach dem Rücktritt von Danny Latza als Kandidat für das Kapitänsamt genannt.

Brunner: Von den Jungs, die auf Schalke geblieben sind, bin ich einer derjenigen, die in der vergangenen Saison am meisten gespielt haben. Ich bin bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen. Der Trainer wird einen guten Kapitän finden, da bin ich sicher. Sollte er auf mich zukommen, werde ich nicht nein sagen. Es ist aber auch nicht so, dass ich mich groß darum bewerbe.

In Aktion: Schalkes Rechtsverteidiger Cedric Brunner.
In Aktion: Schalkes Rechtsverteidiger Cedric Brunner. © RHR-Foto

Kritisch wird mit Blick auf die Kapitäns-Wahl gesehen, dass Sie ein eher ruhiger Spieler sind.

Brunner: Bin ich das?

Lautstarke Ansagen nimmt man von Ihnen nur selten wahr.

Brunner: Wenn Sie täglich in der Kabine dabei wären, würden Sie ein anderes Bild von mir haben. Ich bin kein ruhiger Typ, sondern jemand, der viel spricht und in der Kabine, zur guten Stimmung beiträgt. Auch auf dem Platz gebe ich Kommandos und spreche. Da werde ich womöglich ein bisschen unterschätzt. Für mich ist es aber wichtig, dass es einen Grund gibt, um laut zu werden. Man sollte nicht laut werden, um etwas spielen zu wollen, es muss Sinn ergeben.

Was macht einen guten Kapitän für Sie aus?

Brunner: Am wichtigsten ist, dass er Leistung bringt und seine Mitspieler und die Fans mitreißen kann. Entscheidend ist aber auch, dass er in jedem Training Gas gibt – auch, wenn niemand hinschaut. Ein Kapitän hat Signalwirkung. Im Fußball gibt es Spieler, die vorangehen, indem sie quatschen, andere, indem sie Gas geben – letzteres muss ein Kapitän tun.

Ex-Kapitän Danny Latza wurde in den vergangenen beiden Jahren auf Schalke medial sehr kritisch gesehen. Wie schwer ist es für Profi-Fußballer, mit negativer Berichterstattung umzugehen?

Brunner: Es ist komplett typabhängig. Es gibt Jungs, die sich jeden Artikel durchlesen und wirklich jeden Kommentar von Fans lesen – das kann verunsichern und belasten. Andere kann so etwas aber auch motivieren. Es heißt ja oft, dass Cristiano Ronaldo am besten ist, wenn er von 80.000 im Stadion ausgepfiffen wird.

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Thomas Reis hat der Mannschaft während der Rückrunde mal kritische Zeitungsartikel präsentiert, in denen Ihnen die Bundesligatauglichkeit abgesprochen wurde. Was hat das mit der Mannschaft gemacht?

Brunner: Solche Artikel können persönliche Angriffe auf einzelne Spieler sein. Ich persönlich fühle mich nicht gut, wenn ich negative Dinge über mich lese, es lässt mich nicht kalt. Wie würden Sie denn damit umgehen, wenn ich Ihnen sagen würde, Sie seien ein schlechter Journalist und sollten besser für eine Schülerzeitung schreiben?

Freuen würde ich mich darüber nicht.

Brunner: Völlig klar. Kritik kann verletzend sein – gerade, wenn sie unberechtigt ist. Mich pusht es nicht, wenn ich zu Unrecht kritisiert werde, mich ärgert es eher.

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