Dortmund. Marco Reus verlässt Borussia Dortmund. Der BVB verliert sein Gesicht. Wer kann ihn ersetzen? Die Antwort darauf ist kompliziert.
Vor einiger Zeit saß Karim Adeyemi einmal bei einer Talkveranstaltung seines Klubs, dem BVB, und sprach über seine Aktivitäten bei Instagram. 1,1 Millionen Menschen folgen ihm dort. Dies sei okay, meinte Adeyemi. „Marco Reus hat aber ein paar mehr Follower als du. Drei Millionen“, sagte Moderator Norbert Dickel. „Ne, zehn Millionen, oder?“, antwortete Adeyemi. „Ja?“, fragte Dickel. „Gut. Ich freu mich für Marco.“
Es sind über 15 Millionen Follower, und dazu muss man wissen, dass auch Karim Adeyemi jemand ist, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht. 22 Jahre alt, spektakulär schnell, in einer Beziehung mit der Rapperin Loredana, an die Popularität von Marco Reus aber reicht er bei weitem nicht ran.
Marco Reus, längst eine BVB-Ikone, ist der einzige Dortmunder Weltstar
Reist man mit Borussia Dortmund ins Ausland, nach Asien oder die Vereinigten Staaten, dann nimmt auch dort die Aufmerksamkeit zu, werden Smartphones herausgekramt, drängeln sich die Fans, sobald der Name Reus erwähnt wird. Der gebürtige Dortmunder, 34, längst eine Ikone, ist der einzige schwarz-gelbe Weltstar.
In diesem Sommer aber verlässt er seinen Herzensklub. Die Folge: ein riesiges Aufmerksamkeits-Loch. Wer kann es füllen?
Es gibt zwei Antwortmöglichkeiten auf diese Frage. Einmal die sportliche, die sich bereits in dieser Saison geregelt hat. Julian Brandt hat Reus auf der 10 verdrängt, im Champions-League-Finale in nicht mal zwei Wochen gegen Real Madrid wird er auf dem Platz stehen. Dazu kommt Marcel Sabitzer als Achter, der sich durch das Mittelfeld buddelt, plötzlich vorne auftaucht, so Tore schießt, Treffer vorbereitet. Vielleicht schafft auch der bislang behäbige Felix Nmecha noch den Sprung nach vorne, den sich alle von ihm erhoffen.
Komplizierter stellt sich die Antwort dar, betrachtet man die Frage aus Marketingsicht. Ein weiterer großer Star fehlt derzeit im Kader. Karim Adeyemi müsste dafür ein entscheidenderer Faktor auf dem Rasen werden. Jadon Sancho mit immerhin über zehn Millionen Instagram-Follower ist nur ausgeliehen von Manchester United; dass er zurückgekauft wird, wirkt derzeit eher unwahrscheinlich. Brandt, Sabitzer, Torhüter Gregor Kobel, Nico Schlotterbeck und Niclas Füllkrug können alle eine Mannschaft führen, das grelle Scheinwerferlicht ziehen sie nicht an.
Julian Brandt über Marco Reus: „So große Füße hat noch keiner von uns“
Das Reus-Loch aufzufüllen sei die Aufgabe mehrerer Spieler, sagt Julian Brandt. „Ich bin kein Freund von „in die Fußstapfen treten“, denn es sind seine Fußstapfen. Jeder von uns hat seine eigenen Fußstapfen, seine sind sehr groß momentan, so große Füße hat noch keiner von uns.“ Die Mannschaft werde versuchen, den Verlust gemeinsam aufzufangen. „Wir werden Marco nicht kopieren, das ist nicht das Ziel. Wir werden versuchen, das über mehrere Schultern zu verteilen.“ Nico Schlotterbeck sei einer, meint Brandt, „der in den Vordergrund treten wird“.
Zwölf Jahre lang hat Reus das Geschehen in Dortmund geprägt, fünf Jahre lang zog er sich die Kapitänsbinde über. „Marco ist einer“, so Brandt, „bei dem die Mitspieler zuhören.“ Er sei kein Lautsprecher, kein „typischer Beißer“, aber „alle schauen zu ihm auf. Er ist ein Vorbild. So oft hat er ein Spiel mit dem 1:0 für uns aufgebrochen. Er ist ein Grund, warum ich damals hierhin gekommen bin.“
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Die Dortmunder Chefs wissen um die Bedeutung des Offensivfußballers, doch bei ihnen reifte die Erkenntnis, dass sein Abschied auch eine Chance für andere Charaktere sein kann, aus Reus‘ Schatten zu treten. Emre Can trägt bereits seit dieser Spielzeit die Kapitänsbinde, auch Kobel, Schlotterbeck und Füllkrug sollen vorweg gehen. Dass sich aber so schnell wieder ein gebürtiger Dortmunder findet, begnadet in seiner Technik, mitreißend in seinem Offensivspiel, der fast seine gesamte Karriere beim BVB verbringt und den Klub nach vorne trägt, dies deutet sich derzeit nicht an.
Am gefragtesten sei derzeit das Trikot von Marco Reus, verrät Carsten Cramer, BVB-Marketingchef und Mitglied der Geschäftsführung. „Marco ist nicht irgendein Spieler, er ist ein sehr markantes Gesicht. Ein Gesicht, das uns geprägt hat. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass Marco nicht fehlt. Den kann man nicht von einer Sekunde auf die andere ersetzen.“ Allerdings sei das schöne, so Cramer, „dass wir und Marco uns darüber im Klaren sind, dass er definitiv zurückkommen wird. Er wird ein schwarz-gelbes Gesicht bleiben.“