Paris/Barcelona. Nie zuvor ging der Ballon d’Or für die beste Spielerin und den besten Spieler in ein Land. Nur Real Madrid sorgt für einen Eklat.

Am Ende standen sie im Pariser Théâtre du Chatêlet nebeneinander, eine Spanierin und ein Spanier, in den Händen jeweils ein goldener Ball. Aitana Bonmatí und Rodri Hernández hießen die Gewinner bei den Auszeichnungen der Fußballerwahl des Jahres. Die 26-Jährige vom FC Barcelona und der 28-Jährige von Manchester City gaben ein historisches Fotomotiv ab: Noch nie gingen die beiden Hauptpreise in dasselbe Land. Und noch nie gingen beide ins Mittelfeld.

Spaniens Fußball wird im Zentrum geprägt

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Eine in vielerlei Hinsicht historische Wahl bedeutete insofern auch eine Hommage an eine Fußballkultur. Der spanische Stil wird im Zentrum geprägt, und von dort aus erwies er sich zuletzt als überwältigend dominant. Aktuell hält Spanien den Europameistertitel der Männer, den WM-Titel der Frauen, die Nations-League-Titel beider Auswahlen und die Champions-League-Pokale der Männer (Real Madrid, allerdings überwiegend mit Ausländern) und Frauen (Barcelona).

Die jüngste EM illustriert die Entwicklung sehr gut. Die Turnierfavoriten Frankreich, England und Portugal mochten Talent in vielen Mannschaftsteilen mitbringen – aber ihnen fehlte ein Weltklasse-Stratege, der die Fäden zusammenhielt. Einer wie Rodri, oder auch wie Toni Kroos. Nicht umsonst zeigten Spanien und Deutschland den attraktivsten Fußball, nicht umsonst galt ihr Viertelfinale als eigentliches Endspiel. Hätte Deutschland gewonnen, stünde jetzt womöglich der nach der EM abgetretene Kroos mit dem Goldenen Ball da. So kam er als bester Deutscher auf Platz neun.

Rodri führte Spanien im Sommer bei der EM in Deutschland zum Titel.
Rodri führte Spanien im Sommer bei der EM in Deutschland zum Titel. © dpa | Tom Weller

Rodri bei Manchester City: Bollwerk vor der Abwehr und Anspielpartner im Aufbau

Im Vergleich zu Kroos spielt Rodri noch einige Meter weiter hinten, direkt vor der Abwehr. Sechser nennt man die Position in Deutschland, Mediocentro heißt sie in Spanien. Als Scharnier oder Relais lässt sie sich auch bezeichnen. Einer wie Rodri fungiert als letztes Bollwerk vor der Abwehr und erster Anspielpartner im Aufbau. Er muss mit Körper und Kopf überall sein können, zumal wenn er wie der Spanier ohne zweite Absicherung agiert.

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Rodri lässt sich zur Spieleröffnung bis in die Innenverteidigung fallen, verfügt aber vorn trotzdem über einen gefährlichen Schuss. Kenner lieben seinen perfekt getimten, intelligenten Fußball, für sie kann es keinen Zweifel an Rodris Meriten geben. Alle anderen mag eine Statistik dienen, um seine Bedeutung für ein Team zu verstehen: Zwischen Februar 2023 und Mai 2024 verlor sein Klub kein Spiel, bei dem er auf dem Platz stand. 74 Matches in Serie, Europarekord.

Aitana Bonmati bejubelt einen Treffer für den FC Barcelona.
Aitana Bonmati bejubelt einen Treffer für den FC Barcelona. © AFP | THOMAS COEX

Sein Handwerk lernte Rodri zunächst bei Villarreal, einem der spielstärksten spanischen Teams, ehe er zu seinem Jugendklub Atlético zurückging, wo er unter Trainer Diego Simeone lernte, „eine Drecksau auf dem Platz zu sein“, wie er es mal ausdrückte. In seiner ganzen Klasse entfaltete er sich dann ab 2019 bei Manchester City unter Pep Guardiola, der als Aktiver einst dieselbe Position bekleidete. Auch er durfte sich also angesprochen fühlen, als Rodri auf Krücken nach einem jüngsten Kreuzbandriss die Bühne betrat und seinen Goldenen Ball nicht nur zu einer Art historischen Gerechtigkeit erklärte, weil ihn seit Luis Suárez 1960 – Mittelfeldspieler, auch er – kein Spanier mehr gewonnen hatte. Sondern auch zur Auszeichnung seiner ganzen Spezies: „Wir Mediocentros arbeiten sonst im Schatten. Heute kommen wir mal ans Licht.“

Aitana Bonmatí: Mittelfeldspielerinnen mit hoher Torquote

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Demgegenüber feierte Aitana bei den Frauen eine gelungene Titelverteidigung, nachdem in den Jahren zuvor schon zweimal ihre Klubkollegin Alexia Putellas ausgezeichnet worden war. Beide sind offensivere Mittelfeldspielerinnen mit hohen Torquoten. Beide stehen zudem auch für Europas beste Fußballausbildung. Von ihrem Lebensverein Barcelona wurde auch der 17-jährige Lamine Yamal geehrt, als bester Jungprofi.

Spanien räumte also groß ab, aber ein Teil von Spanien schmollte auch ganz gewaltig: Aus Protest gegen die Abstimmungsniederlage seines Vorzeigeangreifers Vinícius Júnior blieb Real Madrid der Gala spontan fern, nachdem im Gefühl seines sicheren Sieges bereits ein Privatjet für 50 Personen gechartert worden war. Die Preise für den besten Trainer (Carlo Ancelotti), den besten Goalgetter (Kylian Mbappé, zusammen mit Harry Kane) und den besten Klub blieben so unabgeholt. Reals beleidigter Kollektiv-Boykott sorgte für viel Kritik selbst in klubnahen Medien, für kübelweise Spott darüber hinaus und für einen schwer reparablen Imageschaden. Für den Ballon d’Or bedeutete er dagegen eher einen Prestigezuwachs. Die Jury von 100 Journalisten erwies sich ausnahmsweise als resistent gegen den üblichen Reiz von Toren und Glamour. Sie entschied sich für einen Spieler, der auf dem Platz die anderen glänzen lässt.