Mainz. RB Leipzig begegnet den Mainzer Fanprotesten gegen den Klopp-Deal mit einem Ausrufezeichen gegen dessen Ex-Klub. Blick geht Richtung Liverpool.
Es ist erst fünf Wochen her, da machte der Mainzer Stadionsprecher Andreas Bockius lauthals auf einen besonderen Tribünengast in der rot getünchten Arena am Europakreisel aufmerksam. Fast schon hymnisch wurde die Anwesenheit von Jürgen Klopp vor dem Heimspiel gegen Werder Bremen (1:2) verkündet, Sprechchöre auf den an diesem Standort besonders verehrten Mann folgten. Wie sehr dessen bevorstehender Einstieg als Fußballchef beim Red-Bull-Imperium die Fankurven erzürnt, war nun bei der Heimniederlage der Nullfünfer gegen RB Leipzig (0:2) zu besichtigen. Auf mehreren Transparenten war das Unverständnis verschriftlicht. „Alles was wir Dich haben werden lassen, hast Du vergessen“ stand in Versalien auf einer Banderole. Und auf einem anderen Plakat: „Bist Du bekloppt?“
Der Mainzer Vorstand Christian Heidel, der einst inmitten des närrischen Treibens aus dem Spieler Klopp den Trainer machte, hätte ein großes Problem damit, sollte die bis 2008 hier tätige Kultfigur beim nächsten Besuch ausgepfiffen werden, denn den Verein gäbe in der heutigen Ausprägung „nicht ohne Jürgen Klopp.“ Gleichwohl fand auch Heidel, 61, in lächerlich anmutenden 600 Gästefans den Beleg erbracht, dass das Rasenballsport-Konstrukt „noch ganz, ganz weit entfernt von einem großen Klub“ sei.
RB Leipzig erster Bayern-Verfolger in der Liga
Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, dass Leipzig als Aushängeschild aus dem RB-Kosmos nun mit dem FC Liverpool in der Champions League (Mittwoch, 21 Uhr/DAZN) gleich den nächsten von Klopp, 57, geprägten Gegner bespielt. Trainer Marco Rose kann aus der gemeinsamen Mainzer Zeit auf noch so gute Kontakte verfügen, eines werde er jetzt bestimmt nicht tun: ihn anrufen. „Der Kloppo ist auf Mallorca und kümmert sich um seine Frau, um seinen Hund, um seine Kinder“, sagte Rose, 48, mit einem breiten Grinsen: „Der braucht seine Ruhe.“
Und vielleicht benötigt er auch gar nicht dessen Hilfe. In Leipzig ist nämlich ganz ohne den künftigen Vordenker eine energetische Attitüde in der Arbeit gegen den Ball entstanden. Der viereinhalb Jahre bei den Rheinhessen arbeitende Sportdirektor Rouven Schröder beschrieb das RB-Merkmal so: „Wir hatten Bock auf Defensive.“ Die Sachsen sind nicht zufällig als Tabellenzweiter punktgleich mit den Bayern. Abwehrchef Willi Orban sieht jetzt auch gute Chancen, gegen ein größeres Kaliber erstmals in der Königsklasse zu punkten: „Liverpool spielt nicht mehr so wild wie unter Klopp. Die haben ordentlich Respekt vor uns.“ Das habe ihm zumindest der ehemalige Klubkollege Dominik Szoboszlai bei der ungarischen Nationalmannschaft geflüstert.
Bester Saisonstart: RB Leipzig entdeckt die Lust am Verteidigen
Leipzig ist tatsächlich noch nie so gut in eine Bundesliga-Saison gestartet, in den letzten fünf Begegnungen gab es nicht mal ein Gegentor. Torwart Peter Gulasci sieht in der defensiven Stabilität „eine Grundidee“, um mehr Konstanz in den Alltag zu bekommen. Fünf Minuten fehlen dem in Jugendzeiten in Liverpool ausgebildeten Gulacsi, 34, noch für einen neuen Vereinsrekord ohne Gegentreffer. Vordermann Orban brachte es am Samstag sogar auf 100 Prozent gewonnene Zweikämpfe. Hinten wie vorne stand der gebürtige Pfälzer immer richtig, der seine omnipräsente Vorstellung mit dem Abstauber zum 2:0 krönte (37.).
Zuvor hatte Xavi Simons nach einem unwiderstehlichen Antritt den Ball durch die Beine von Keeper Robin Zentner gejagt (20.). Dass der Irrwisch später am eigenen Strafraum grätschte, machte Orban, 31, besonders glücklich: „Man hat gesehen, dass die Jungs, die nicht die Paradedisziplin Verteidigen haben, trotzdem auch Lust zum Verteidigen haben.“ Und wenn Benjamin Sesko nicht aus unerfindlichen Gründen den mitgelaufenen Xavi missachtet hätte (70.), wäre der Sieg noch klarer ausgefallen.
RB-Coach Rose nimmt Klopp in Schutz
Intern müsste es für den slowenischen Torjäger noch eine Kopfwäsche für diesen egoistischen Alleingang geben. Trainer Rose redete lieber über die kollektiven Lernfortschritte gegen den früheren Angstgegner: „Wir waren in allen Bereichen sehr solide, ordentlich bis sehr gut. Ich habe den Jungs vor dem Spiel gesagt: Ich brauche heute keine 70 Prozent Ballbesitz.“ Nur weil zwei Bullen auf dem Trikot prangen, müssen die Protagonisten kein bedingungsloses Pressing aufführen.
Den Stilwechsel hatte Rose also bewusst vorgenommen, der angeblich die Anti-Klopp-Plakate an ehemaliger Wirkungsstätte gar nicht bemerkt haben wollte. Seine Meinung zu einer Thematik, die bis zum offiziellen Amtsantritt des Übervaters anhalten dürfte: Auch in Mainz müsste man Klopp doch dafür lieben, „dass er hier eine Ära geprägt hat: Jeder hat sein eigenes Leben und das Recht, sich frei und selbst für Dinge zu entscheiden.“