Essen. Jürgen Klopp hat einen neuen Job, zum Unverständnis vieler BVB-Fans ausgerechnet bei Red Bull. Aus seiner Sicht gibt es dafür Gründe.
Für Hans-Joachim Watzke war die Nachricht am Mittwochmorgen „keine Überraschung, weil wir persönlich darüber gesprochen haben“, und damit stand der Geschäftsführer von Borussia Dortmund ziemlich allein da. Für die übrige Fußball-Öffentlichkeit in Deutschland war die Nachricht mindestens überraschend, für manchen auch erschütternd: Jürgen Klopp wird ab Januar 2025 weltweiter Fußballchef des Red-Bull-Konzerns. „Ich wünsche Jürgen, wie eigentlich immer“, sagte Watzke, 65, im Gespräch mit dieser Redaktion, „eine glückliche Hand in seinem neuen Job.“
Das war ziemlich nüchtern für einen Mann, der sonst gerne überschwänglich vom acht Jahre jüngeren Klopp schwärmt. Beide fanden im Jahr 2008 zusammen, als Watzke einen neuen Trainer für seinen BVB suchte, und in Person von Klopp mehr als das fand. Sieben Jahren arbeitete Klopp nicht nur in Dortmund, sondern wirkte. Zweimal wurde er Deutscher Meister mit dem Klub, er holte 2012 auch noch den DFB-Pokal, führte den BVB ins Champions-League-Finale und gab den Fans nach vielen dunklen Jahren wieder einen Grund, stolz auf ihre Farben zu sein. Zu Watzke wuchs in jener Zeit ein freundschaftliches Verhältnis heran.
Jürgen Klopp stand bisher im Widerspruch zu Red Bull
Mindestens genauso geliebt und noch erfolgreicher war er beim FC Liverpool. Und nun? Nun hat Klopp eine Aufgabe übernommen, die im großen Widerspruch zum BVB und Liverpool steht, und eigentlich auch zu allem, mit dem viele Fans den Namen Klopp, Bundestrainer der Herzen, in Verbindung gebracht haben. Red Bull, das ist der Gegensatz zu Tradition, ein rotes Tuch für viele Anhänger. Der deutsche Vertreter des österreichischen Brausekonzerns, RB Leipzig, konnte nur bis in die Bundesliga vordringen, weil die Verbände einige Regeln umdeuteten oder sehr weit auslegten. Bei Klopp klingt das nun so: „Nach fast 25 Jahren an der Seitenlinie könnte ich nicht aufgeregter sein, mich an einem Projekt wie diesem zu beteiligen.“ Marketing-Sprech aus dem Lehrbuch.
Klopp wird nicht nur für Leipzig verantwortlich sein, sondern auch für Zweigstellen in Österreich, Brasilien, New York, Japan, und in England bei Leeds United, wo Red Bull eine Minderheitsbeteiligung hat. „Gemeinsam können wir entdecken, was möglich ist. Ich sehe meine Rolle in erster Linie als Mentor für die Trainer und das Management der Red Bull Clubs, aber letztendlich bin ich Teil einer Organisation, die einzigartig, innovativ und zukunftsorientiert ist. Wie gesagt, nichts könnte mich mehr begeistern.“ Für den immer noch recht neuen Konzern-Boss Oliver Mintzlaff, 49, ist Klopp die „herausragende und sicherlich stärkste Verpflichtung in der Fußball-Historie“ seine Unternehmens.
Es gibt Kritik an Jürgen Klopp
Erstens aufgrund seiner Expertise. Mit dem FC Liverpool gewann Klopp die Champions League und feierte die erste englische Meisterschaft nach 30 schweren Jahren. Sein Wort im Weltfußball hat seit Jahren Gewicht. Zweitens, weil mit Klopp Red Bulls Fußballsparte aus der Schmuddelecke gerückt werden soll. Der Charismatiker ist eine der stärksten Marken im Geschäft, viele Unternehmen bezahlen ihn bisher als Werbeträger für ihre Produkte. Ist er nun also dem Ruf des Geldes gefolgt und hat er eigene Prinzipien über den Haufen geworfen, wie ihm gleich vorgeworfen wurde? Zumal er doch nach seinem Abschied aus Liverpool eine Pause einlegen wollte.
Klopp erklärte sich. Nicht erst am Mittwoch, sondern schon einmal vor zwei Jahren. „Die ganze Idee ist eine Fußball-Idee, keine Geld-Idee“, sagte er damals über den RB-Kosmos – und verwies auf den Gedanken, junge Spieler entwickeln zu wollen. Er sei selbst Traditionalist, wisse, dass Red Bull und Rasenball in der Kritik stünden. „Nur finde ich, dass Leipzig keinem Traditionsverein irgendwas weggenommen hat, sondern dass Leipzig einfach einen neuen Weg gegangen ist“, meinte Klopp. Der Gehaltsetat sei geringer als der von Dortmund und Bayern München. Was er nicht sagte: dass Red Bull mit einem Fingerschnips alle finanziellen Sorgen seiner Klubs verschwinden lassen könnte.
Jürgen Klopp und Red Bull: Das hat auch Auswirkungen auf die DFB-Elf
Es fällt schwer, sich nun Jürgen Klopps Motivation anzunähern. Er muss nichts mehr beweisen, ist eine Legende. Besonders wenn man bedenkt, wie viele Tränen in Mainz, Dortmund und Liverpool flossen, als nicht ein, sondern ihr Trainer die Klubs verließ. Auf der Südtribüne hing am 23. Mai 2015 sein Konterfei mit dem Schriftzug „Danke, Jürgen“. Eine Ehre, die Ultras nicht jedem Hans-und-Franz-Fußballlehrer zuteilwerden lassen. Er selbst sagte mal: „Es ist nicht wichtig, was die Leute von dir denken, wenn du kommst. Es ist wichtig, was sie von dir denken, wenn du gehst.“ Viele werden am Mittwoch ihre Meinung überdacht haben.
Andererseits hat Klopp Wort gehalten, keinen Trainer-Job übernommen. Und frei von jeder Romantik bietet die neue Aufgabe sehr viele reizvolle Aspekte, natürlich auch viel Geld – Klopp wird nicht in Getränkedosen bezahlt. Dem 57-Jährigen wird ein großes Machtgefüge übertragen. Als Vereinstrainer hatte er alles erreicht, nun kann er anders formen und führen, wie einst Ralf Rangnick. „Ich möchte wieder lernen“, sagt er in einer Videobotschaft. Und zwar außerhalb des Alltagsgeschäfts als Trainer. Klar ist auch, dass Geflechte wie jenes von Red Bull mit vielen Klubs in vielen Ländern die Zukunft des Fußballs sind. Auch die Scheichs in den Emiraten und amerikanische Firmen betreiben diese Modelle, die ob Wettbewerbsverzerrung in der Kritik stehen.
Klopps Red-Bull-Engagement wurde am Mittwoch auch bei der Nationalmannschaft in Herzogenaurach interessiert zur Kenntnis genommen. DFB-Sportdirektor Rudi Völler sagte ja erst im September: „Wenn Julian Nagelsmann sich irgendwann entscheiden würde, dass er lieber wieder einen Topklub trainieren würde – dann geht natürlich kein Weg an Jürgen Klopp vorbei. Wenn er es denn möchte.“ Und nun müsste es auch ein Entgegenkommen von RB geben, um einen Job anzutreten, den Hans-Joachim Watzke sicher euphorischer kommentieren würde.