Essen. Rafael Nadal hat sein nahendes Karriereende bekanntgegeben. Damit tritt einer der größten Tennisspieler der Geschichte ab.
Als Rafael Nadal im Frühling 2005 zum ersten Mal die French-Open-Trophäe erobert hatte, in der Pose des stürmischen Tennispiraten, sprach er später an jenem Pariser Finalsonntag voller Bescheidenheit über seinen Coup. „Ein Grand-Slam-Sieg ist das, wovon ich immer geträumt habe“, sagte der 18-jährige mallorquinische Sensationssieger, „auch wenn ich keinen großen Titel mehr gewinnen würde, wäre ich vollkommen zufrieden.“
Was in den nächsten knapp zwei Jahrzehnten passieren würde, konnte sich niemand in der Tenniswelt ausmalen, zuallerletzt wohl Nadal selbst. Der explosive Spanier prägte zunächst gemeinsam mit Roger Federer, später auch mit Novak Djokovic eine unvorstellbare Ära in seinem Sport, er schaffte mit allein 14 French-Open-Titeln eine Siegesbilanz wie aus Phantasialand, er war einer der Großen Drei, er war die Nummer 1, er gewann Olympiagold und den Davis Cup, auf und abseits des Platzes aber war er vor allem ein perfekter Botschafter des Tennisbetriebs.
Nun geht diese in jeder Beziehung großartige Karriere zum Saisonschluss zu Ende. „Der Abschied fällt mir schwer. Aber es ist Zeit, zu gehen und ein neues Kapitel aufzuschlagen“, sagte der inzwischen 38-jährige Familienvater, der sich auch in einer Videobotschaft an seine millionenstarke Fanschar überall auf der Welt wandte.
Am Ende konnte Rafael Nadal seinen Körper nicht mehr besiegen
Es war ein gefühlsbeladener, emotionaler, trauriger Moment, der sich allerdings schon länger abgezeichnet hatte in einem weiteren verletzungsgeplagten Jahr für den Superstar, der viele Beinamen wie „Matador“ oder „Stier von Manacor“ trug. Der aber zuletzt keine ganz großen Gegner besiegen konnte, weil er seinen geschundenen Körper nicht mehr besiegen konnte – etwa Alexander Zverev in der ersten Pariser Grand-Slam-Runde oder Novak Djokovic bei den Olympischen Spielen.
„Die letzten 24 Monate habe ich nur mit Einschränkungen gespielt“, sagte Nadal, nun nach Roger Federer der zweite aus dem Club der ehrenwerten Gentlemen aus der Tennis-Stratospäre, der die Centre Courts verlässt. Alles habe einen Anfang und ein Ende, so Nadal in seiner Nachricht – und das Ende für den stets stolzen Nationalspieler wird nun das Davis-Cup-Finale im November in Malaga sein, an der Seite vieler langjähriger Weggefährten.
Rafael Nadal testete seine körperlichen Grenzen aus wie kaum jemand
Kaum jemand im Tennis, sogar im Sport überhaupt, hat die Grenzen seiner körperlichen Ressourcen so ausgetestet wie der kämpferische Mann von der spanischen Ferieninsel – einer, über den sein Onkel, Mentor und früherer Trainer Toni Nadal sagte, er kenne niemanden, „der so viele Schmerzen aushalten kann wie Rafa.“ Tatsächlich hatte der 22-malige Grand-Slam-Champion insgesamt sechzehn größere Verletzungen wegzustecken, ob an der Schulter, den Händen, den Ellenbogen, der Hüfte oder an der Bauchmuskulatur.
Er fehlte nicht nur bei 17 Grand-Slam-Turnieren, sondern zusammengerechnet während seiner Karriere ganze vier Jahre. Als er 2022 noch einmal die French Open gewann, tat er es trotz einer degenerativen Fußerkrankung, des Mueller-Weiss-Syndroms. Die Bilder bei diesem kaum fassbaren Triumphzug waren vertraut: Nadal mit schmerzverzerrter Leidensmiene im roten Sand, irgendwie fit geworden dank Schmerzmitteln und Schmerztoleranz – und doch von niemandem, selbst den größten Rivalen, zu schlagen.
Verletzungen spielten immer eine große Rolle bei Rafael Nadal
Es war fast ein symbolischer Coup an der Stätte seiner größten Erfolge, denn auch zu Beginn seiner sagenhaften Profilaufbahn spielten Verletzungen eine Rolle zwischen dem blutjungen Nadal und Roland Garros. 2003 konnte er wegen eines Sturzes auf den Ellenbogen daheim in Manacor nicht starten, 2004 zog er sich in früh in der Sandplatzsaison in Estoril einen Ermüdungsbruch zu, wieder war es nichts mit dem Auftritt unterm Eiffelturm.
Nach seinem Hurra-jetzt-komm-ich-Gastspiel 2005 begann eine Dominanz, die beispiellos nicht nur im Tennis war – mit seinen 14 Pariser Erfolgen gewann er allein dort so viele Majorpokale wie einst der Amerikaner Pete Sampras in seiner ganzen Karriere. Er wurde schon zu Lebzeiten eine historische Figur, wurde zum Liebling der Pariser Fans, die ihn anfangs wegen seiner schier ewigen selbstverständlichen Siege eher geachtet als gefeiert hatten.
Rafael Nadal entwickelte sich stets weiter – wie Roger Federer und Novak Djokovic
Nadal war genau wie seine beiden legendären Rivalen Federer und Djokovic eine Macht auf allen Courts der Welt, er war ein starker Allrounder und mehr als nur der alles überragende Sandplatzkönig. Wie Federer und Djokovic zeichnete ihn aus, Stillstand als Rückschritt zu begreifen und sich stets weiterzuentwickeln, sein Spiel zu modellieren und zu modernisieren. So eroberte er auch die Grand-Slam-Schauplätze in Melbourne, Wimbledon und New York, holte Goldmedaillen und triumphierte auch auf schnelleren Hallenböden. Stand jetzt lautet seine eindrucksvolle Gewinnrechnung auf 1080:227-Siege, bei 92 Titeln und einem Preisgeld von 135 Millionen Dollar.
Aber sein Tennis-Vermächtnis sind nicht zuallererst diese Zahlen, Daten und Fakten, sondern seine Persönlichkeit. Seine Statur, sein Charakter. „Er ist ein Mann für die Ewigkeit, einer, der oft größer als dieser Sport war“, sagt Tenniskanzler Boris Becker, der schon im Frühjahr ahnte, „dass der Moment des Abschieds für Rafa sehr nahe ist.“
Rafael Nadal war ein uneitler und vernunftgeleiteter Akteur in einer oberflächlichen Glitzerbranche
Nadal war eine insbesondere für Sandplatzturniere geradezu mythisch umrankte Figur, ein Seriengewinner wie aus einem Paralleluniversum. Und doch wirkte er zugleich in ganzer Erscheinung und Macht als bodenständiger, uneitler und vernunftgeleiteter Akteur in dieser oft oberflächlichen Glitzerbranche. Einer, der nie die richtigen und wichtige Dinge vergaß, der gerade in den Wirrnissen der Corona-Zeit darum warb, dem Sport keine Sonderrechte zuzuweisen.
Es passte zu seinem vorsichtigen Wesen, das ihn letztlich auch auf dem Court prägte: Nadal konnte wie ein Donnergott auf dem Centre Court erscheinen, voller Leidenschaft und Ehrgeiz. Aber nichts geschah ohne Bedacht, ohne Sinn und Verstand. Und eine Maxime galt, über allem anderen: „Ich gebe immer 100 Prozent – das bin ich nicht nur mir, sondern meinen Fans schuldig.“ Der englische Journalist Simon Cambers schrieb dazu auf X: „Wenn du jemanden aussuchen musst, der für dich um dein Leben spielen soll, dann gibt es nur – Nadal“.
In Carlos Alcaraz steht ein Nachfolger aus Spanien bereit
Längst hat er schon für die Zeit nach dem Tennis vorgesorgt. Gemeinsam mit dem Team Nadal hat er ein internationales Netz von Akademien aufgebaut, in dem Nachwuchs gefordert und gefördert wird – neben dem imposanten Schulungszentrum in Manacor. Aber mehr Zeit für die Familie wird nun bleiben, für seine Frau Xisca und Söhnchen Rafael, auch für seine geliebten Angelausflüge daheim in Manacor, für die Abende mit alten Kumpels aus der Heimat.
Kurios genug, dass ihm in Carlos Alcaraz ein Erbfolger aus dem eigenen Land erwachsen ist, der drauf und dran ist, eine eigene Ära im Tennis zu schaffen. In ihm, dem zupackenden Burschen mit der draufgängerischen Mentalität, lebt Nadal als Tennisgestalt weiter. Nach dem eigenen letzten Tanz demnächst in Malaga.