Antalya. Wo kann man mit Leo Neugebauer besser über den American Dream sprechen als am Strand? Ein Spaziergang mit Deutschlands Zehnkampf-Star.
Der deutsche Zehnkampf-Star Leo Neugebauer ist nach seiner Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Paris eine Weile für Sponsorentermine in Deutschland geblieben. Kurz bevor er wieder in seine Wahlheimat Austin in Texas zurückfliegt, entspannt er noch im Sporthilfe Club der Besten in Antalya. In der Urlaubswoche für die Olympia- und Paralympics-Helden lässt es der 24-Jährige ruhig angehen, auch wenn zahlreiche sportliche Aktionen den Tag über für ganz schön viel Action sorgen. Ein Gespräch mit dem deutschen Rekorhalter (8961 Punkte) beim Spaziergang am Strand zum Lebensgefühl am College in den USA, darüber, wie es ist, plötzlich auf der Straße erkannt zu werden – und warum er gerade keine Zeit für Dates hat.
Herr Neugebauer, Sie trinken einen Americano. Weil Sie sich schon wie ein Amerikaner fühlen?
Leo Neugebauer: Ja, ganz genau (lacht). Nein, den trinke ich so, weil Kaffee ohne Milch supergesund ist. Er hat dann nur eine Kalorie und schmeckt mir besser. Außerdem hat ein Americano weniger Koffein als Filterkaffee. In Amerika gehe ich oft in diese typischen Coffee-Shops. Entweder mit meinem Coach oder ich habe ein Meeting mit meiner Mom. Sie ist meine Managerin.
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Eine gute Managerin?
Ja. Es ist das erste Jahr, dass sie das für mich macht. Ich habe noch andere Manager für verschiedene Sachen. Aber meine Mutter hält mir bei vielen Kleinigkeiten den Rücken frei.
Sie leben in Austin im Bundesstaat Texas der USA. Das ist mehr als 8000 Kilometer von Ihrer Heimat entfernt. Fehlt Ihnen Ihre Familie manchmal?
Ja, das ist weit weg. Meine Eltern wohnen noch bei Stuttgart, in Echterdingen am Flughafen. Da haben die schon immer gelebt. Wir sind aber ständig online in Kontakt. Und ich würde sogar sagen, dass sich unser Verhältnis durch die Distanz verbessert hat. Man hängt nicht mehr so aufeinander und schätzt die gemeinsame Zeit mehr.
Stichwort Wertschätzung: Fühlen Sie sich in Deutschland nach dem Erfolg von Paris und der Silbermedaille als Spitzensportler wertgeschätzt?
Ja, definitiv. Und ich werde überall wiedererkannt. Einmal kamen Fans vorbei, haben sich total gefreut, mich zu sehen, und wollten ein Foto machen. Das Foto haben sie sofort in einem Drogerieladen ausgedruckt und sind zurückgekommen, damit ich es unterschreiben kann. Dann kamen immer mehr Leute dazu und haben dasselbe gemacht. Das war schon verrückt. Irgendwann musste ich gehen, weil es zu viel wurde. Aber es war sehr witzig.
War es unvermeidlich für dich, in die USA zu gehen?
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Ein Freund von mir ist vor mir dorthin gezogen, ich fand das interessant. Danach habe ich einige Unis besucht. Mir war sofort klar, dass das eine Gelegenheit ist, die ich ergreifen muss. Es wäre ein Fehler gewesen, wenn ich nicht in die USA gegangen wäre.
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Hätten Sie auch eine Olympiamedaille gewonnen, wenn Sie damals in Deutschland geblieben wären?
Wer weiß, vielleicht hätte ich sogar Gold geholt (lacht). Das kann ich schlecht beantworten. Ich fühle mich dort in Amerika in dem System sehr wohl, es hat super für mich funktioniert. Für manche läuft es anders, aber ich hatte Glück mit dem Team und den Trainern. Und Austin ist traumhaft. Ich liebe heißes Wetter. Außerdem ist es eine Riesenstadt, die sich trotzdem nicht sehr groß anfühlt. Es gibt einen Fluss in der City, viele Parks, alles, was man sich vorstellen kann.
The American Dream. Wie lebt es sich denn dort?
Alle Leute sind sehr nett und sehr locker. Gar nicht gestresst wie zum Beispiel in New York. Und meine Uni ist eine der reichsten der Welt. Das sieht man zum Beispiel an der Mensa. Wir haben eine App, mit der wir uns Sandwiches, Pasta, Smoothies oder Wraps bestellen können. Und eine riesige Bar mit richtig gutem Essen. Das alles ist nur für uns Sportler an der Uni – verrückt. Die Universität hat einen hohen Standard, unser Sport-Team ist richtig gut. Für mich ist das alles top.
Was ist für Sie typisch deutsch und was typisch amerikanisch?
Deutsch ist geordnet und strukturiert. In Amerika ist das Motto: Having a good time. Einfach nur Spaß haben und im Moment leben.
Hedonismus also.
Ja, das kann sein. Ich versuche da aber eine Balance zu finden. Ich gehe nicht viel auf Partys – während der Saison sowieso nicht. Aber in der Offseason genieße ich auch. Ein anderer Unterschied zu den Menschen in Deutschland ist, dass Amerikaner nicht so klug sind, wenn es um Finanzen geht. Sie leben von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck. An die Zukunft zu denken und zu sparen, das ist noch sehr deutsch an mir.
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Ihre USA-Erfahrung scheint also durchweg positiv. Würden Sie jüngeren Athleten empfehlen, einen ähnlichen Weg zu gehen?
Auf jeden Fall. Allein zum Studieren in ein anderes Land zu gehen, ist eine riesige Erfahrung. Außerdem lernt man eine neue Kultur kennen und spricht danach perfekt Englisch. Das Team-Gefühl, wenn man zusammen an etwas arbeitet, ist einmalig. Ich habe schon viele Leute gesprochen, die es bereut haben, nicht in die USA gegangen zu sein.
Sprechen wir mal über Social Media. Nicht viele Athleten sind da so aktiv wie Sie. Für Sie scheint es sich zu lohnen, Sie haben mehr als eine halbe Million Follower auf Instagram. Ist es aus Ihrer Sicht heutzutage erforderlich für Athleten, das intensiver zu betreiben?
Ich denke, dass es vor allem in Sportarten, die nicht so viel Ansehen haben, sehr wichtig ist. Fußballer brauchen das nicht unbedingt. Die können von ihrem Gehalt sehr gut leben. Und sie bekommen auch ganz einfach Follower, weil eben viele Leute Fußball schauen. In Sportarten wie meiner muss man auf anderen Wegen versuchen, Aufmerksamkeit zu bekommen, deshalb ist Social Media schon wichtig. Marken wollen genauso Aufmerksamkeit haben. Gewinnst du eine Goldmedaille, ist das toll. Aber wenn da noch viele Follower dahinterstehen, ist die Resonanz am Ende noch viel größer. Deshalb würde ich sagen, dass das einfach Teil des heutigen Sportlerdaseins ist.
Haben Sie das irgendwann erkannt oder kam das aus einem natürlichen Hang dazu?
Mittlerweile mache ich schon sehr viel. Das war aber nicht immer so. Anfangs hatte ich einfach Lust, habe dann aber gemerkt, dass Zehnkampf nicht von vielen Menschen verfolgt wird. Das Publikum ist auf anderen Plätzen zu finden. Wenn man sich richtig damit auseinandersetzt und Social Media ernst nimmt, kann man an die Follower-Zahlen der Fußballer herankommen – und dadurch auch bekannter werden. Im Zehnkampf erfolgreich zu sein, ist die Grundlage. Wenn ich dazu noch richtig schönen Online-Content bringe, falle ich vielleicht der ein oder anderen Person auf.
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Manche Athleten lehnen das ab, weil ihnen ihre Privatsphäre wichtiger ist und sie sich eher auf ihren Sport konzentrieren wollen. Ist es das für Sie wert?
Es gehört dazu. Genau wie Filmstars, denen die Paparazzi hinterherrennen, ist das der Preis, den man zahlt. Ein bisschen muss man opfern, wenn das Leben öffentlich ist. Das ist schon ein Trade-Off, aber ich nehme den gerne an. Ich weiß, wo ich hin möchte in meinem Leben, und das ist Teil davon. Und wenn ich ehrlich bin, genieße ich es auch sehr.
Was ist denn die Schattenseite?
Also um ehrlich zu sein, es gibt immer viel Kritik. Nicht unbedingt Kommentare, aber viele sagen mir, ich würde zu viel posten und zu viel Zeit in Social Media investieren. Aber ich versuche das nicht zu beachten und mache einfach mein Ding. Das ist manchmal ein bisschen hart, aber am Ende hat es sich immer ausgezahlt. Ich habe gelernt, gewisse Leute zu ignorieren und mich auf die Menschen zu fokussieren, die mir nahestehen, wie Freunde und Familie. Es ist auch wichtig, auf sich selbst zu hören und dann zu machen, was sich richtig anfühlt.
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Der größte Beweis, dass es so funktionieren kann, ist die Silbermedaille aus Paris.
Genau. Aber genau genommen mache ich neben Sport und Social Media nicht mehr viel. Es bleibt keine Zeit für anderes, ich opfere dafür vieles. Mit Freunden etwas zu unternehmen oder zum Beispiel zu daten – da habe ich halt keine Zeit für. Aber das nehme ich in Kauf und stecke meine Zeit auch gerne da rein. Ich denke mir, dass wenn ich jetzt viel investiere, kann ich später die Lorbeeren ernten.
Leichtathlet Neugebauer kann sich Karriere im Fernsehen vorstellen
Also sobald Sie dann ein paar Millionen Follower haben, können Sie mit dem Daten wieder anfangen.
Ganz genau (lacht). Es ist eben so im Moment. Ich fände es auch unfair, wenn ich eine Freundin hätte, für die ich mir keine Zeit nehmen könnte. Ich will es im Moment auch nicht. Ich habe einfach zu viel zu tun. Jetzt durch den Olympia-Erfolg gibt es weitere Sachen, um die ich mich kümmern muss – neben Sport und Social Media. Fürs Daten ist es da schwer, Zeit zu finden. Manche Dinge muss man aufgeben, damit man in anderen besser werden kann.
Es ist noch weit hin, aber was machen Sie in 20 Jahren?
Also ich könnte es mir schon vorstellen, irgendwas im Fernsehen zu machen. Ich weiß nicht genau welche Richtung, aber ich rede gerne vor der Kamera und quatsche gerne. Das könnte ich mir vorstellen.