Paris. Jaroslawa Mahutschich ist Olympiasiegerin im Hochsprung und die größte Botschafterin der Ukraine in Paris. Ihre Medaille steht für mehr.
Jaroslawa Mahutschich hat sich in die ukrainische Fahne gehüllt. Die 22 Jahre alte Hochspringerin sitzt nach ihrem Sieg bei den Olympischen Spielen in Paris auf dem Podium in den Katakomben des Stade de France und beantwortet Fragen. Die Verbindung zu ihrer Heimat spürt sie auf ihren Schultern. So wenig die Fahne auch wiegt, so schwer ist die Last, für die sie steht. Mahutschichs Schultern mögen schmal sein, aber sie sind stark. Die Weltrekordhalterin hat in den letzten zwei Jahren nicht nur den Hochsprung auf ein neues Level gehoben, sie ist auch die größte Friedensbotschafterin des ukrainischen Sports.
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist die Welt für das Land in Osteuropa nicht mehr die gleiche. Regelmäßige Bombenangriffe sollen die Bevölkerung zermürben, die Regierung zur Aufgabe der Unabhängigkeit zwingen. Auch Jaroslawa Mahutschich erlebte die Attacken in ihrer Heimat Dnipro. Um weiter ihrem Sport nachzugehen, ihr Land auf der großen Bühne zu repräsentieren, floh sie. Sie trainierte seitdem unter anderem in Deutschland und in Belgien. Und sie wird nicht müde, jeden öffentlichen Auftritt zu nutzen, um auf die Situation in ihrer Heimat aufmerksam zu machen. „Es ist gut, dass ich die Möglichkeit habe, mein Land bei Olympia zu präsentieren, um zu zeigen, dass wir stark sind und bis zum Ende für unsere Freiheit und die Unabhängigkeit unseres Landes zu kämpfen“, sagt sie.
Der Kampf für ihr Land hat ihr eine zusätzliche Kraft verschafft. Seit 2022 wurde sie Welt- und Europameisterin, im vergangenen Monat brach sie den Uralt-Weltrekord und schraubte ihn auf 2,10 Meter in die Höhe. In Paris gehört sie zu den 140 Athletinnen und Athleten, die die Ukraine entsandt hat. Es ist die kleinste Delegation, die die gelb-blauen Farben je bei Olympia vertreten hat. Es hätten so viele mehr sein sollen, doch der Krieg verhinderte dies.
+++ Olympia: Alle Nachrichten und Entwicklungen in unserem Blog +++
Unzählige Sportstätten wurden zerstört, gerade die Männer hatten Schwierigkeiten, sich zu qualifizieren: Das Land durften sie nur mit Sondergenehmigungen verlassen. Doch diese zu bekommen, dauerte manchmal so lange, dass sie wichtige Wettkämpfe verpassten. Und das Schlimmste: Viele von ihnen ließen ihr Leben im Kampf für ihre Heimat. Jaroslawa Mahutschich sagt nach ihrem Olympiasieg: „Diese Medaille ist wichtig, aber in meinem Land hat Russland Menschen getötet. Fast 500 Sportler starben im Krieg und können nie an Wettkämpfen teilnehmen. Sie werden nie feiern, sie werden diese Atmosphäre nie spüren, deshalb freue ich mich besonders über diese Medaille. Sie ist für sie alle.“
Ukraine: Goldmedaillen sind für Putin ein Schlag ins Gesicht
Neben Mahutschich gewann am Sonntag ihre Teamkollegin Iryna Heraschtschenko genauso Bronze wie der Hammerwerfer Mychajlo Kochan. Von bislang insgesamt sieben ukrainischen Medaillen glänzen bei diesen Spielen zwei golden. Jede einzelne ist ein Triumph für sie – und ein Schlag ins Gesicht von Russlands Machthaber Wladimir Putin, der das Land versucht, in die Knie zu zwingen. Die Hochspringerin dankte daher den Menschen, die ihre Heimat verteidigen. „Dank ihnen haben wir die Möglichkeit, hier zu sein, unsere Titel zu verteidigen, unser Land auf dem richtigen Weg zu halten und das Beste von uns allen zu zeigen.“ Natürlich wünsche sie sich Frieden, „aber das ist leider nicht möglich. Nicht einmal während der Olympischen Spiele hört Russland auf, meine und andere Regionen zu attackieren.“
Für Jaroslawa Mahutschich wäre es eine Katastrophe gewesen, hätte sie in Paris gegen russische oder belarussische Athleten antreten müssen. Doch der Leichtathletik-Weltverband hatte sich für einen Komplettausschluss dieser Nationen entschieden. In anderen Sportarten treten sie in Paris nur als neutrale individuelle Athleten unter der Bezeichnung AIN an. Unter strengen Auflagen: So dürfen sie keine Verbindung zum Staatsystem oder Militär haben. 32 Teilnehmer umfasst diese Gruppe, 15 kommen aus Russland. Drei Medaillen haben sie bisher gesammelt – sie spielen eine untergeordnete Rolle, treten kaum in Erscheinung, russischen Fahnen sieht man anders als bei vorherigen Teilausschlüssen nirgends. Die Mehrzahl sind ohnehin Tennisspieler, die auch auf der Tour an internationalen Wettbewerben teilnehmen. „Für mich ist es nichts Besonderes mehr. Ich spiele die Turniere, an denen ich teilnehmen darf. Dort präsentiere ich sowieso nur mich und kein Land und keinen Verein“, hatte Tennis-Profi Daniil Medwedew gesagt. Er war nur nach Paris gekommen, um eine Medaille zu gewinnen. Es gelang ihm nicht.
Sie vergesse manchmal, dass sie erst 22 Jahre alt ist, sagte Mahutschich nach ihrem Olympiasieg. So viel habe sie nun einmal schon erlebt – große Erfolge im Sport und schlimme Erlebnisse in ihrer Heimat. Sie hat einen starken Blick, nur ihre Hände knetet sie manchmal nervös, wenn sie Worte findet, die nicht viele in ihrem Alter finden. Es ist erstaunlich, wie sie den Druck verpackt, Hochleistung zu springen und ein Symbol für ihre Landsleute zu sein. Doch sie sei gerne eine Inspiration für die junge Generation. Es sei zu hart, „nicht über das nachzudenken, was in der Ukraine passiert, nicht drüber nachzudenken, was zu Hause passiert“. Ihre Familie lebt in der Ukraine, Freunde von ihr kämpfen für ihr Land. „Vor dem Krieg war der Sport das Wichtigste in unserem Leben“, sagt sie und stockt.
Irgendwann ist an diesem Abend alles gesagt. Jaroslawa Mahutschich zieht die Fahne um ihre Schultern vorne an den Zipfeln mit ihren Händen zueinander. Als wolle sie ihre ganze Nation zusammenhalten.