Paris. Der Entzünder des olympischen Feuers wird in Paris zum vierten Mal Olympiasieger. Ein Grand Triomphe für die Grand Nation.
Marschall Joseph Joffre hat schon einiges gesehen. Hoch zu Ross besitzt er einen guten Überblick über den Champ de Mars in Paris und neuerdings auch den Grand Palais Éphémère, der ihm ohne vorherige Nachfrage über den Stahlhelm gebaut wurde. Für das, was am Freitag um 17.58 Uhr unter seinen wachsamen Augen geschah, wäre der Held des Ersten Weltkriegs, so er es denn könnte, vom Pferde gestiegen und hätte sich verneigt vor einem viel, viel größeren französischen Helden.
Es ist kaum möglich, eine Karriere auf einen einzigen Tag zuzuspitzen. Vor allem, wenn sie so lang und so unfassbar erfolgreich ist wie die von Teddy Riner. Doch was ist für Frankreichs Superman schon unmöglich? Drei Olympiasiege, zwei im Einzel, einen mit der Mannschaft, hatte der 2,04-Meter-Gigant bereits gewonnen. Doch diese Goldmedaille im Judo bei den Olympischen Spielen in Paris, seinen Spielen in seiner Stadt, die hatte mehr Bedeutung für den mittlerweile 35-Jährigen, für ganz Frankreich.
Frankreichs emotionalstes Gold bei Olympia in Paris: Judoka Teddy Riner endgültig der Größte
Riner, geboren auf Guadeloupe, aufgewachsen in Paris und mittlerweile im marokkanischen Marrakesch lebend, war ohnehin längst der Allergrößte seines Sports. Elfmal Weltmeister, von 2010 bis 2020 in 154 Kämpfen in Folge unbesiegt. So etwas geht eigentlich gar nicht.
Bei der Eröffnungszeremonie wurde ihm die gewaltige Ehre zuteil, gemeinsam mit der dreifachen Sprint-Olympiasiegerin Marie-José Perec das olympische Feuer zu entzünden. Aktive Athleten dürfen das in der Regel nur in Ausnahmefällen. Riner ist eine Ausnahmeerscheinung.
Der „terreur des tatamis“ schlägt zu, wendet Kim Min-jong wie einen Pfannkuchen
Gold in Paris sollte zum vorzeitigen Aufstieg in den Olymp der Sportgötter werden. Alle wollten zusehen. Basketball-Legende Tony Parker saß in der ersten Reihe, Biathlon-Idol Martin Fourcade war dabei, Staatspräsident Emmanuel Macron. Dementsprechend war die elektrisierende Spannung vor seinem Finale gegen Kim Min-jong greifbar.
3:44 Minuten hielt der Südkoreaner Riners 140 Kilogramm stand, kuschelte mit Teddy. Dann schlug der „terreur des tatamis“, der Schrecken der Judomatten, zu, wendete Min-jong mit einem Harai-Goshi unter dem ohrenbetäubenden Jubel des Publikums wie einen Pfannkuchen.
Ein ganz, ganz großer Sportler: Riner erwischt den perfekten Tag
Riner blieb cool, ballte nur kurz die Faust und zeigte eine Drei mit seinen Fingern für drei Einzel-Goldmedaillen im Schwergewicht. Überflüssig zu erwähnen, dass kein Judoka mehr hat. In diesen frühen Sekunden des Grand Triomphe der Grand Nation wendete sich Riner, in jeglicher Hinsicht ein ganz, ganz großer Sportler, zuerst seinem Rivalen zu, reckte dessen Arm in die Höhe. Erst dann sank er jubelnd zu Bogen, während ein ganzes Land aufsprang.
Die Wortbedeutung verbietet eigentlich die Steigerung von perfekt, aber hier geht es um Riner. Der erwischte in einer Karriere voller perfekter Tage den perfektesten, dominierte alle vier Kämpfe. „Ich bin sehr stolz. Es ist wie im Traum, wie in einem wahr gewordenen Traum“, sagte Riner.
Olympiasieger denkt bereits an Los Angeles, dann wäre er 39 Jahre alt
Selbst eine Legende wie er hatte Zweifel verspürt, Druck. Nachdem er in Tokio 2021 „nur“ Bronze gewann, veränderte er sein Training. „Es ist schwierig, immer so hart zu arbeiten, vor allem wenn man Familie hat“, sagte der zweifache Vater. „Wenn du aber Siege einfährst wie heute, dann verstehst du, warum du das machst.“
Nun denkt Riner bereits an Los Angeles 2028, natürlich an Gold. „Aber vorher muss ich mich erholen“, sagte er. Und Frankreich muss ihm zuvor ein Denkmal bauen. Viel größer noch als das von Marschall Joseph Joffre.