Paris. Um Weltmeisterin zu werden, musste die Schwimmerin hohe Hürden und ein Trauma überwinden. Nun greift sie nach einer olympischen Medaille.

Ablenkung hat Angelina Köhler ganz gern. Sie braucht sie sogar, um sich entfalten zu können. Wenn Dinge anders laufen, als erwartet, wird es nicht langweilig. Das ist an sich gut. Doch die Umstände in Paris nervten schon ein wenig vor den ersten Wettkämpfen. Kaum ein Durchkommen zur La Defense Arena. „Es ist alles ein bisschen chaotisch“, so die Berlinerin zum Transportsystem bei den Olympischen Spielen.

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Chaotisch geht es bei der 23-Jährigen durchaus öfter zu. Sie ist kein sehr geordneter Mensch. Trotzdem schaffte sie es in den vergangenen Jahren, ihre Fähigkeiten immer weiter zu spezifizieren, stetig stärker zu werden. Weshalb sie in der olympischen Schwimmarena nun als Weltmeisterin über 100 Meter Schmetterling an den Start geht. Ohne daraus gleich zu viel abzuleiten. „Es werden die härtesten Wettkämpfe der vergangenen Jahre“, sagt Köhler.

Hinter der Berlinerin liegt ein Tokio-Trauma

Die Zeiten der Konkurrentinnen sind immer besser geworden zuletzt, die US-Amerikanerin Gretchen Walsh stellte sogar einen Weltrekord auf in 55,18 Sekunden. Fast eine Sekunde schneller als Köhler (56,13) beim WM-Gold im Februar, wo in Doha einige Gegnerinnen fehlten, war sie. Was die Berlinerin eher positiv bewertet. „Es hat mir ein bisschen Druck genommen“, erzählt Köhler, die im Halbfinale am Sonnabend die viertschnellste Zeit schwamm (56,55), während Walsh einen olympischen Rekord aufstellte (55:38).

Paris sind ihre ersten Spiele, entsprechend begleitet die Berlinerin auch etwas Nervosität. An sich hätte es bereits ihre zweite Teilnahme sein sollen, doch Tokio verpasste sie als beste Schmetterlingschwimmerin wegen einer Erkrankung in der Qualifikation. Daraus erwuchs ein Trauma. „Ich konnte nicht in die Schwimmhalle gehen, ich habe die Schwimmhalle gehasst. Wenn ich reingegangen bin, musste ich weinen, weil das alles so schlimm für mich war“, erzählt sie. Sie brauchte lange, um das zu verarbeiten.

„Ich habe mich viele Jahre verstellen müssen, weil ich mich anpassen wollte aufgrund meiner Vergangenheit.“

Angelina Köhler
Schwimm-Weltmeisterin

Der Umzug nach Berlin 2022 half ihr dabei, diese Episode hinter sich zu lassen. Ebenso dabei, sich als Schwimmerin und als Mensch viel besser zu entwickeln. „Ich habe mich viele Jahre verstellen müssen, weil ich mich anpassen wollte aufgrund meiner Vergangenheit“, so Köhler. Sie spricht sehr offen über alles. Mobbing erlebte sie als Kind, weil sie oft ein bisschen schusselig ist. Mit ADHS fallen ihr manche Dinge nicht leicht. Doch in Berlin spielte das alles keine Rolle mehr.

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In der Trainingsgruppe von Lasse Frank kam sie schnell an. „Ich werde zum ersten Mal einfach so genommen, wie ich bin“, sagt Angelina Köhler, die sich nie besser aufgehoben fühlte. Menschlich wie sportlich. Gemeinsam mit Frank und dessen Team konnten viele Potenziale gehoben werden. Die komplette Technik stellte der Coach um, Köhler wurde im Eiltempo schneller und sieht sich noch längst nicht an ihrer Grenze.

Köhlers Trainer erwartet eine Leistungssteigerung im Vergleich zur WM

Die muss sie wohl schon in Paris verschieben, wenn sie unter die Besten schwimmen will. Trainer Frank sagt, „wir erwarten eine Leistungssteigerung zum Februar“. Damals dachte die Schwimmerin, „wenn man Weltmeisterin ist, hat man alles geschafft“. Doch vieles veränderte sich stärker als erwartet, sie fühlte sich zu sehr über den Titel definiert, zu wenig als Mensch.

Als solcher hat es Angelina Köhler nach wie vor nicht so mit organisatorischen Dingen. Insofern wird die Berlinerin den Veranstaltern der Spiele den etwas holprigen Start in Paris nicht lange nachtragen.