Paris. Paris liegt zwar in weiter Ferne, aber Tahiti ist selbst für Surfer ein besonderer Ort. Camilla Kemp verknüpft viele Hoffnungen damit.
Es ist nicht so, dass Frankreich wenig Küste zu bieten hätte. Und auch surfen lässt es sich da ganz ordentlich. Biarritz und Hossegor zählen zu den bekanntesten Orten, an denen dieser Sport eine feste Basis besitzt. Genau an diese dachte Camilla Kemp, als sie die Olympischen Spiele von Paris mit Surfen kombinierte. Damit aber lag sie weit weg von dem entfernt, was ihr nun bevorsteht.
Sehnsuchtsziel in 15.000 Kilometer Entfernung
Über 15.000 Kilometer musste sie bei der Anreise zurücklegen, 30 Stunden fliegen, um nach Tahiti zu kommen. „Es war auf jeden Fall ein Schock“, sagt sie über den Moment, als ihr gewahr wurde, wo der olympische Spot verortet ist. In Französisch-Polynesien, fernab der Spiele, alles andere als mittendrin. Aber dafür ein Sehnsuchtsziel mit Traumstränden und einzigartigen Wellen.
Besteht da nicht die Gefahr, kaum etwas von der Olympiaatmosphäre mitzubekommen?
Camilla Kemp: Ich kann mir schon vorstellen, dass es für uns mehr wie ein normales Surfevent wird. Das fühlt sich ein bisschen an wie in unserer Bubble, was natürlich nicht der Sinn von Olympia ist.
Es wirkt etwas, als hätten die Veranstalter nach Extremen gesucht für diese Spiele. Freiwasserschwimmen in der Seine, Surfen vor Tahiti auf einer sehr heiklen Welle, unter der ein Riff liegt. Wie verantwortungsbewusst ist das?
Ich glaube, ich bin beim Training noch nie so an meine Grenzen gekommen. Einmal mental, da ist natürlich sehr viel Druck, aber auch physisch. Diese Welle holt wirklich das Krasseste aus dem Körper. Es gehört sehr, sehr viel Überwindung dazu. Ja, es ist sehr viel mehr Risiko im Spiel. Darauf, glaube ich, haben die Organisatoren abgezielt. Es zeigt Surfen als extreme Sportart, und ich denke, das wollen die meisten Menschen sehen.
Zweimal war die 28-Jährige gemeinsam mit Kollege Tim Elter (20) auf Tahiti, um sich mit der Teahupo‘o genannten Welle anzufreunden. Kemp ist die erste deutsche Frau, die sich für das olympische Surfen qualifiziert hat. Es war ein langer Weg bis dorthin mit vielen Widerständen in einer männerdominierten Sportart. „Ich musste so viele Jahre durchhalten, mich durchkämpfen“, erzählt sie. Allein die Teilnahme an den Spielen ist daher schon der größte Erfolg für sie.
Hartnäckig verfolgte Kemp, die in Portugal als Tochter einer deutschen Mutter geboren und aufgewachsen ist, ihre Ziele, eiferte dem Bruder nach, verbrachte jede freie Minute am Strand auf dem Board. Sie biss sich als Außenseiterin durch in einem Sport, der sehr viel fordert von den Athleten. Der trotz Traumkulissen auch seine Schattenseiten hat, in dem man zuweilen viel mit sich selbst beschäftigt ist, weil Heimat und Freunde oft fern sind.
Wie schwierig ist es im Surfen, sich Ziele zu setzen?
Es ist eine sehr schwierige Sportart, weil man wenig kontrolliert. Das Meer ist immer anders, man muss sich immer wieder anpassen, jeden Tag die Konditionen so gut wie möglich lesen und die Wellen verstehen. Nie ist irgendwas garantiert, es kann ein Traum sein, der kann aber auch in Sekunden zerbrechen. Es ist sehr emotional.
Welche Rolle spielt die Angst beim Surfen?
Es ist der Ozean, wir spielen mit der Natur. Man muss immer auf alles vorbereitet sein, Angst und Respekt vor dem Meer gehören immer dazu. Natürlich ist auf so einer Welle wie Teahupo’o der Faktor Angst auf jeden Fall da. Damit muss man so gut wie möglich umgehen. Es ist eine Riesenherausforderung, aber auch wirklich ein Privileg, dort surfen zu können.
Gerade als Frau, denn viele Wettkämpfe gab es dort auf Tahiti für Frauen noch nicht. Es ist ein Schritt in Richtung Gleichberechtigung. „Ich möchte zeigen, dass die Frauen auch auf solchen Wellen surfen können“, sagt Kemp, die mittlerweile häufig in München in der dortigen Surftown trainiert und von einer Sportpsychologin aus Berlin betreut wird. Sie will mit ihren Auftritten die Akzeptanz der Frauen in diesem Sport erhöhen.
Kemp ist stolz auf die Entwicklungen im Frauensport
Deshalb lohnt es sich, die Gefahren auf sich und allen Mut zusammen zu nehmen. „Das ist das Wichtigste an diesen Spielen, dass die Wettkämpfe am selben Ort wie bei den Männern ausgetragen werden“, so Kemp, die ein immer besseres Niveau bei den Frauen sieht und ihren Sport auch in Deutschland stärker in den Vordergrund rücken will.
Der Frauensport wächst gerade überall. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Ich bin wirklich froh, dass ich dabei sein darf und dass ich dazugehöre. Dass ich jetzt als erste deutsche Surferin bei Olympia dabei bin, ist ein großer Schritt für das Surfen in Deutschland. Das möchte ich nutzen und zeigen, dass alles möglich ist. Es ist einfach spannend, gerade in dieser Zeit im Sport zu sein. Alle Frauen-Sportarten werden größer, werden gesehen. Das ist einfach schön, es kommt dem näher, was wir wollen.
Was könnte möglich sein auf Tahiti?
Ich glaube, dass alles möglich ist. Mein Fokus liegt auf meiner Performance, ich möchte mein Bestes geben und für Deutschland wirklich das Beste rausholen. Wenn das passiert, dann bin ich happy.
In drei Runden können sich die jeweils 24 Frauen und Männer ab Sonnabend für das Viertelfinale qualifizieren, was aufgrund der Zeitverschiebung von zwölf Stunden teils in der europäischen Nacht passiert. Das Flair der Spiele werden Camilla Kemp und Tim Elter erst nach ihren Wettkämpfen richtig erleben. Sie dürfen dann nach Paris ins olympische Dorf. „Das ist unsere Zeit, diese große Erfahrung mitzubekommen, uns auszutauschen mit anderen Sportlern, ein bisschen loszulassen und das zu genießen“, sagt Kemp. Also endlich mittendrin zu sein.