Essen. Hockey-Weltmeister Lukas Windfeder, Speerwurf-Weltmeisterin Steffi Nerius und Sporthilfe-Vorständin Karin Orgeldinger im Gespräch über Förderung.

Lukas Windfeder konnte jüngst einen wichtigen Haken machen: Der 29-Jährige gehört zu jenen Hockeynationalspielern, die in Paris bei den Olympischen Spielen (26. Juli bis 11. August) für Deutschland um die Medaillen kämpfen. Der Weltmeister aus Mülheim investiert eine Menge und verzichtet auf Vieles: alles für den Traum von einer Olympia-Medaille. Unterstützt wird er auf diesem Weg von der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Deren Förderkonzept hat sich seit ihrer Gründung 1967 immer wieder verändert. Steffi Nerius (51), ehemalige Speerwurf-Weltmeisterin, hat als ehemalige Athletin und aktuelles Mitglied im Gutachterausschuss diese Entwicklung hautnah mitverfolgt. Als Trainierin von Prothesenweitspringer Markus Rehm und Internatsleiterin bei Bayer Leverkusen hat sie ein Ohr an den Bedürfnissen der Athleten. Sporthilfe-Vorständin Karin Orgeldinger (56) weiß diese Expertise zu schätzen. Ein Gespräch aus drei Perspektiven.

Ganzheitliche Förderung – was bedeutet das, Frau Orgeldinger?

Karin Orgeldinger: Sie ist für uns der Schlüssel zum Erfolg. Die Sporthilfe steht seit 55 Jahren als verlässlicher Partner für die Athletinnen und Athleten ein, wir sind die größte unabhängige Sportstiftung Europas und sind als solche davon überzeugt, dass die Erfolge des deutschen Spitzensportes nicht so möglich wären, wenn es die Sporthilfe mit ihren Partnern nicht gäbe. Ganzheitliche, transparente Förderung ist uns wichtig, weshalb wir im ständigen und engen Austausch mit den Athletinnen und Athleten, den Spitzenverbänden, regionalen Stiftungen, den Laufbahnberatern der Olympiastützpunkte aber auch mit Ehemaligen wie Steffi Nerius sind, die dann auch in unserem Gutachterausschuss ihre Expertise einbringen. Für uns stehen die Athletinnen und Athleten und ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt – sie sind für uns nicht nur Empfänger von Geld, sondern Partner, mit denen wir auf Augenhöhe diskutieren und daran arbeiten, wie wir sie am besten auf dem Weg zur Spitzenleistung unterstützen.

Karin Orgeldinger, Vorständin für Athletenförderung bei der Stiftung Deutsche Sporthilfe.
Karin Orgeldinger, Vorständin für Athletenförderung bei der Stiftung Deutsche Sporthilfe. © Steffi Nerius | Steffi Nerius

Und wie kommt das bei den Athleten an, Herr Windfeder?

Lukas Windfeder: Ich kann das aus meiner Perspektive für die letzten rund zehn Jahre, die ich gefördert werde, nur bestätigen. Wir als Hockeynationalmannschaft sind in regem Austausch mit der Sporthilfe, haben eine Ansprechpartnerin, können Themen einbringen, werden aber auch so auf dem Laufenden zu aktuellen Förderangeboten gehalten.

Steffi Nerius: Ich bin seit 2011 im Gutachterausschuss und habe wirklich das Gefühl, dass es eine partnerschaftliche Kommunikation auf Augenhöhe gibt. Zu meiner aktiven Zeit habe ich das noch nicht so empfunden. Das lag sicher auch an mir, aber für mich stand im Vordergrund, die Sporthilfe als eine stabile und zuverlässige Stütze zu haben. Seit meiner aktiven Zeit hat sich inzwischen Vieles verändert.

Zum Beispiel?

Nerius: Als ich damals von Rostock nach Leverkusen kam, war es für mich elementar wichtig, eine Förderung von 100 Euro von der Sporthilfe zu bekommen. Die Summe ist zu meiner Zeit nicht utopisch gestiegen, auch als ich zehn Jahre in der Weltspitze war – deshalb habe ich die Förderung irgendwann nicht mehr als grundlegend wahrgenommen. Heute ist die Förderung ganz anders aufgebaut – nicht nur durch die Höhe und Staffelung, sondern auch durch Weiterbildungsangebote oder Unterstützung bei der dualen Karriere. Das war damals noch kein Thema. Für mich ist es sehr spannend, an dieser Entwicklung beteiligt zu sein.

Steffi Nerius 2002 als aktive Speerwerferin.
Steffi Nerius 2002 als aktive Speerwerferin. © Getty Images Sport/Getty Images | Getty Images

Windfeder: Allein in den vergangenen zehn Jahren ist ein riesiger Schritt passiert. Als ich das erste Mal von der Sporthilfe gehört habe, ging es darum jeden Monat ein bisschen Geld zu bekommen. Heute kann ich beispielsweise Unterstützung für Nachhilfe in Anspruch nehmen, um meine duale Karriere voranzutreiben, bekomme besondere Konditionen, um mir ein Auto zu leasen. Es gibt eine App, die über neue Unterstützungsangebote informiert.

Gibt es einen Bereich der Förderung, der in der Karriere besonders wichtig ist?

Windfeder: Bei mir ist das schnell beantwortet: Ohne die Sporthilfe könnte ich meinen Traum nicht leben. Ich hätte ohne die finanzielle Unterstützung nicht zu Hause ausziehen können, hätte nicht bei meinem Herzensverein HTC Uhlenhorst in Mülheim bleiben können, sondern hätte mich einem mit mehr Finanzkraft anschließen müssen.

Nerius: Eine Gewichtung würde ich nicht vornehmen. Die finanzielle Unterstützung ist am Anfang erstmal sehr bedeutend. Je erfolgreicher man wird, vielleicht Sponsoren bekommt, werden die Angebote wie Medientraining, Netzwerkaufbau oder Altersvorsorge relevanter.

Orgeldinger: Aus Befragungen der geförderten Athletinnen und Athleten wissen wir zum Beispiel auch, dass ihnen die Aufnahme in die Sporthilfe-Förderung Selbstbewusstsein gibt. Durch die Förderung haben sie das Gefühl, dass sie auf einem Niveau sind, das unterstützenswert ist, sie sind Teil einer Elite, wenn sie das erste Mal den Adler auf der Brust tragen und Sporthilfe-Förderung erhalten. Uns ist es wichtig, auch durch Dinge wie den Ball des Sports oder den Sporthilfe Club der Besten den Athletinnen und Athleten diese Wertschätzung zu geben, ihnen zu signalisieren: Ihr seid uns und unseren Förderern wichtig und es ist toll, dass ihr mit eurer Leistung unser Land repräsentiert.

Das eine sind die Athleten an der Spitze, aber muss Förderung nicht schon bei denen ansetzen, die noch in die Karriere starten, beim Nachwuchs?

Nerius: Meiner Meinung nach kann die Sporthilfe nicht alles abdecken. Ich bin selbst im Vorstand der Sportstiftung NRW und finde, die regionalen Stiftungen sollten sich mehr auf die Förderung des Nachwuchses konzentrieren. Da sind sie in der Verantwortung. Grundsätzlich ist es schon wichtig, früh gefördert zu werden. Andererseits gibt es bei 13-, 14-Jährigen trotzdem immer noch so viele Fragezeichen, ob sie es in die Spitze schaffen. Gerade ich als Internatsleiterin kann nicht oft genug betonen, wie wichtig es ist, die Schule vernünftig zu beenden, einen Plan B zu haben, der auch zu den eigenen Stärken passt.

Windfeder: Im Hockey kommst du ohnehin nicht ohne einen Plan B für die berufliche Karriere nach der sportlichen aus. Du kannst keine großen Rücklagen bilden, du musst quasi direkt in den Beruf übergehen.

Nerius: Für die Jugend ist es elementar, einen verlässlichen Partner zu haben.

Orgeldinger: Mir ist an der Stelle wichtig zu betonen: Wir sind Förderer in einem Gesamtsystem. Gute Abstimmung mit Partnern und Verbänden ist entscheidend, um den Spitzensport weiterzuentwickeln. Wir bringen da gerne unsere Expertise ein. Wichtig ist, dass die Athletinnen und Athleten und was sie brauchen im Fokus stehen. Wenn alle das berücksichtigen, können viele Dinge noch leichter und unbürokratischer laufen.

Klingt so, als wäre das noch nicht so einfach.

Orgeldinger: Es ist schon komplex. Es sind sehr, sehr viele Player im System, aber wir sehen schon, dass kleine Schritte Veränderungen voranbringen. Ich nehme uns da auch nicht raus: Wir können uns alle noch optimieren – das ist ja etwas, das dem Leistungssport innewohnt. Vielleicht müssen wir öfter einen Runden Tisch machen und Dinge diskutieren, eine Lobby für Athletenanliegen sein. Aber wir müssen schauen, dass wir ständig hinterfragen. Gerade wenn wir sehen, dass die Leistungen im Spitzensport abnehmen, sollten wir uns überlegen: Fördern wir überhaupt noch richtig?

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Sie sprechen es an: Die großen Erfolge bei internationalen Meisterschaften sind zurückgegangen, es droht ein schwaches deutsches Abschneiden bei Olympia. Spielt das Fördersystem dabei eine Rolle?

Nerius: Ich sehe eher die Entwicklung unserer Gesellschaft kritisch. Wenn ich mir den Fußball-Bereich anschaue, der ja nun eher nicht über zu wenig Fördermittel klagen muss, denke ich schon manchmal, es ist sogar zu viel Unterstützung. Klar, das hört kein Sportler gerne, aber manche Jugendspieler bekommen schon unverhältnismäßig viel, obwohl sie eigentlich noch nicht wirklich was geleistet haben. Auch in der Arbeitswelt erlebt man es immer häufiger: Da gibt es Menschen, die wollen am liebsten nur noch drei oder vier Tage die Woche arbeiten, aber genauso viel Gehalt wie vorher. Und wenn von unseren Leistungssportlern auch 50 Prozent so denken, wenn sie nicht mehr intrinsisch motiviert sind, sich nicht erstmal aus Überzeugung voll reinhängen, bevor sie überhaupt an Geld denken, dann sehe ich darin ein Problem: Wir ziehen uns eine verweichlichte Generation heran, die einfach nicht mehr kämpfen und beißen kann. Gott sei Dank gibt es immer noch viele Ausnahmen und gerade bei uns im Sportinternat in Leverkusen glaube ich schon, dass mehr als die Hälfte richtige Kämpfer und auf dem Boden der Tatsachen sind. Die, die erfolgreich sind denken auch so – aber es ist nicht mehr die breite Masse.

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Windfeder: Ich erlebe das auch im Hockeysport. Da sind junge Athleten, bei denen ich denke: Investiere doch erstmal, bevor du darüber nachdenkst, was du bekommst. Viele wollen immer erst eine Sicherheit, dass sich ihre Leistung auch lohnt. Aber im Leistungssport hast du keine Sicherheit. Ich weiß auch noch nicht, ob ich bei Olympia spiele – ob wir eine Medaille gewinnen. Ich sehe das Thema Förderung aber auch noch von einer anderen Seite.

Erzählen Sie.

Windfeder: Jetzt in den Monaten vor den Olympischen Spielen sind wir perfekt aufgestellt, da haben wir unglaubliche Unterstützung. Ein Problem ist aber der Zeitraum dazwischen. Es ist nachvollziehbar, dass die Förderung in einem Vier-Jahres-Zyklus nicht immer gleich hoch sein kann, sondern man die Leistung auch immer wieder bestätigen muss. Allerdings: Auch wenn die Förderung runter geht, habe ich ja immer noch die gleichen Kosten – ich wohne in der gleichen Wohnung, ich muss mein Auto, mein Leben finanzieren. Da muss man dann schon gucken, wie man sich das reinholt. Und oft geht es Zulasten der Trainingszeit, weil man arbeiten geht, seine berufliche Karriere vorantreibt. Andere Topnationen wie Belgien haben solche Phasen nicht.

Digitales Gespräch zum Thema Sportförderung: Hockey-Nationalspieler Lukas Windfeder (oben links), die ehemalige Speerwurf-Weltmeisterin Steffi Nerius (unten links), Sporthilfe-Vorständin Karin Orgeldinger (unten rechts) mit Redakteurin Melanie Meyer (oben rechts).
Digitales Gespräch zum Thema Sportförderung: Hockey-Nationalspieler Lukas Windfeder (oben links), die ehemalige Speerwurf-Weltmeisterin Steffi Nerius (unten links), Sporthilfe-Vorständin Karin Orgeldinger (unten rechts) mit Redakteurin Melanie Meyer (oben rechts). © Steffi Nerius | Steffi Nerius

Orgeldinger: Es ist tatsächlich so, dass wir aktuell eine Förderung von bis zu 2750 Euro mit Monat ermöglichen, diese aber nach den Spielen wieder etwas runtergefahren wird. Unsere Zielsetzung ist aber, dass wir auch die Förderung auf einem hohen Niveau halten können, daran arbeiten wir gerade. Es ist eine Frage des Budgets, aber natürlich ist es richtig, dass ein Leistungssportler eigentlich über einen Zyklus von vier Jahren konstant gefördert werden sollte. Es müssen Athletinnen und Athleten, Trainerinnen und Trainer sowie Sportstätten in den Fokus gerückt werden, dann, davon sind wir fest überzeugt, kann sich der Leistungssport weiterentwickeln.

Gibt es denn Länder, von denen sich die Sporthilfe etwas abschaut?

Orgeldinger: Wir sollten schon mit offenen Augen durch die Welt gehen – und das tun wir auch. Wir müssen aber berücksichtigen: Wir leben in einem föderalen System, das lässt sich nicht immer mit anderen Gegebenheiten vergleichen. Aber wir sind da zum Beispiel im Austausch mit den Sporthilfen aus Österreich, der Schweiz und Belgien.

Nerius: Es ist nicht so, dass woanders alles besser ist. In Holland werden alle in ein System gedrückt. Sie kommen dafür zentral in Papenburg zusammen – das funktioniert, aber sie haben auch nichts anderes. Duale Karriere spielt da keine Rolle.

Orgeldinger: Dazu vielleicht eine kleine Anekdote: Ein Kollege aus Korea hat mal bei mir angefragt, wie unsere Förderung funktioniert. Danach kam sofort das Argument, dass die duale Karriere in Korea keine Rolle spiele – wer eine Top-8-Platzierung macht, hat ausgesorgt. Das ist Staatssport – aber wer es eben nicht schafft, der fällt gnadenlos durchs Raster.

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Windfeder: Bei uns im Hockey ist es ganz normal, dass es auch in der Vorbereitung immer ein Lernzimmer gibt, in das man sich mal fürs Studium oder die Ausbildung zurückziehen kann. Das ist auch gut für den Kopf, sich mal mit was anderem zu beschäftigen. Andere Nationen kasernieren sich immer eine halbe Woche ein –wir gehen mit unserem dezentralen System einen anderen Weg.

Nerius: Man darf auch nicht vergessen, dass wir immer noch die Breite der Sportarten fördern. Wenn wir in Deutschland sagen würden, wir unterstützen ab jetzt nur noch Hockey und Leichtathletik, dann könnte man auch ganz andere Prämien ausschütten. Aber das ist nicht das Ziel unserer Förderung.