Hamburg. Nach van Basten war es im Volksparkstadion diesmal Weghorst, der Oranje in Ekstase versetzte. Polen reichte ein gutes Spiel nicht.
Als die Mitspieler bereits auf dem Weg in die Kabine waren, drehte sich Wout Weghorst noch einmal um. Mit beiden Fäusten in der Luft lief er ein weiteres Mal auf die Wand in Oranje zu und ließ sich bejubeln. 2:1 hatten die Niederlande gerade ihr EM-Auftakspiel gegen Polen in Hamburg gewonnen – und zweifelsohne war der Hoffenheimer Stürmer der Star des Tages.
In der 81. Minute beim enttäuschenden Spielstand von 1:1 eingewechselt, in der 83. Minute den umjubelten Siegtreffer zum 2:1 erzielt – so werden nicht nur in Holland Fußballhelden geboren. „Wir waren schon ein wenig nervös, dann kam Wout und wir konnten ihn alle umarmen“, sagte Cody Gakpo, der später zum Spieler des Spiels ausgezeichnet wurde, nach der Partie.
Niederlandes Weghorst drehte ein 0:1 in ein 2:1
Dabei stand auch der polnische Fußballheld Robert Lewandowski knapp zwei Stunden zuvor auf dem Rasen. Allerdings nur vor dem Anpfiff, als er trotz seines Muskelfaserrisses fröhlich lächelnd mit einigen Mit- und Gegenspielern am Mittelkreis stand, ein polnisch-niederländisches Schwätzchen hielt und immer wieder beeindruckt auf die vollen Tribünen zeigte.
„Het Volksparkstadion is van Oranje!“, hieß es auch am Sonntagnachmittag im Volkspark. „Das Volksparkstadion gehört Oranje.“ Das hatte der niederländische Fernsehreporter Evert ten Napel bereits vor 36 Jahren ins Mikrofon gerufen, als Holland das letzte Mal ein EM-Spiel in Hamburg bestritten hatte. Die Niederlande siegten damals 2:1 im EM-Halbfinale gegen Deutschland – und holten sich wenige Tage später auch den Titel.
Dreieinhalb Jahrzehnte später war bereits Stunden vor dem Anpfiff ganz Hamburg in Oranje getaucht. Die Reeperbahn, das Schanzenviertel und alle Straßen in Richtung Stadion bildeten eine große, hüpfende, feiernde, fröhliche, orange Masse. Hier und da aufgehübscht durch einige rot-weiße Farbtupfer aus Polen.
Polen musste auf den verletzten Lewandowski verzichten
Auf dem herrlich-grünen Rasen dominierte zu Beginn des Spiels aber vor allem dunkelblau. In ihrem Auswärtsdress wirbelte die Elftal von Anfang an Polens Lewandowskilose Hintermannschaft ordentlich durcheinander. Besonders die holländischen Offensivkräfte Cody Gakpo und Memphis Depay sorgten im natürlich ausverkauftem Stadion für gesteigerten Unterhaltungswert.
Nach einer Viertelstunde des höflichen Staunens verstand aber auch Polska, dass man bei einer Europameisterschaft auch auf dem Platz hier und da einen rot-weißen Farbtupfer einstreuen konnte. Und mit dem ersten ernstzunehmenden Angriff war es schließlich Adam Buksa in der 16. Minute, der sogar eine echte Farbbombe warf.
Buksas Führungstreffer überraschte
Der Frankreichlegionär vom RC Lens setzte sich nach einer maßgeschneiderten Ecke von Piotr Zielinski gegen die Twintower Virgil van Dijk (1,95 Meter groß) und Denzel Dumfries (1,88 Meter) durch und köpfte aus kurzer Distanz zum überraschenden 1:0 ein.
Holland war geschockt – allerdings nicht einmal für vier Minuten. Dann machte Ronald Koemans Offensivmaschine genau da weiter, wo sie kurz vor dem 0:1 aufgehört hatte. Doch van Dijk (20.) und Depay (22./23.) hatten zunächst nicht das Glück, das Liverpools Gakpo nach einer knappen halben Stunde dann doch hatte – oder in Fußballdeutsch: sich erarbeitet hatte.
Gakpos 1:1 sorgte erneut für „Hup, Holland, hup!“
Sein Schuss wurde vom bereits 33 Jahre alten Bartosz Salamon so unglücklich abgefälscht, dass Polens Torhüter Wojciech Szczęsny keine Abwehrchance mehr hatte. 1:1 nach nicht einmal 30 Minuten: Hup, Holland, hup!
Auf der orangen Südtribüne des Volksparkstadions wurden umgehend Erinnerungen an 1988 wach, als die Niederländer schon einmal ein 0:1 (damals durch Lothar Matthäus) in Hamburg in ein 2:1-Sieg drehten. Riesige Plakate der Helden von damals mit Marco van Basten, Ruud Gullit und Frank Rijkaard hüpften auf der Tribüne hoch und runter.
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Und auch auf dem Platz ging es jetzt hoch und runter. Die zuvor sehr zurückhaltenden Polen hatten erkannt, dass trotz des Ausgleichstreffers im Hier und Jetzt etwas möglich war. Und Hollands rotierende Offensivkräfte wirbelten bis zum Pausenpfiff einfach weiter in bester 1988-Gullit-van-Basten-Manier.
2:1: Hollands Wout Weghorst setzte den Schlusspunkt
Im zweiten Durchgang durften sich die Holländer dann zwar über ähnliche Ballbesitzphasen wie der heimische HSV in der Zweiten Liga freuen, hatten allerdings auch nur zweitklassige Ideen im Strafraum der Polen.
Dann passierte das, was eben nur im Fußball passiert. Hoffenheims Stürmer Weghorst wurde eingewechselt, kam, sah und siegte. Sein Schuss zum 2:1 (83.) versetzte ganz Niederlande in Verzückung und sorgte 36 Jahre nach dem letzten Triumph für erneute Titelträume in oranje. „Er brachte das rein, was wir gebraucht haben“, lobte Bondscoach Koeman. Hup, Holland, hup!