Paris. Alexander Zverev verpasste zum zweiten Mal einen großen Titel. Der Hamburger Tennis-Star scheitert nicht nur an einem großen Gegner.
Als Rafael Nadals Herrschaft über die roten Plätze von Roland Garros langsam unheimlich wurde, verpassten ihm die Pariser Blätter martialische Spitznamen. „Oger“ wurde er in den Schlagzeilen nach seinen schier ewigen Triumphen genannt, „das Ungeheuer“. Aber auch mal „Kannibale“, weil er, wie selbst die Sportbibel L´Equipe behauptete, „seine Gegner buchstäblich vom Court frisst“. Alexander Zverev (27) wird das vermutlich gar nicht gewusst haben, aber als er am Abend seiner frustrierenden French-Open-Niederlage im Fünf-Satz-Marathon gegen Carlos Alcaraz (21) über seinen spanischen Spielverderber sprach, fand auch er ebenso grimmige wie herzhafte Worte. Der neue Sandkönig, Nadals Erbe, sei „ein Tier“, „ein Biest“, er spiele mit einer „Intensität“ wie kein anderer in der Tenniskarawane.
Tennis: Sinner und Alcaraz geben den neuen Ton an
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Der Finaltag unter blauem Himmel war für Zverev und seine Parteigänger gleich aus mehreren Gründen frustrierend. Zuallererst, weil niemand weiß, ob sich eine Pokalchance für den Olympiasieger an seinem Lieblingsschauplatz unter den Grand Slams so schnell wieder ergibt. Nach dem Endspieleinzug im Herbst 2020 bei den US Open hatte es nun dreieinhalb Jahre gedauert, bis Zverev erneut in Nahdistanz zu einem Titelgewinn stand – und zwar keineswegs zufällig. Denn während sich die glorreiche Epoche der Großen Drei in diesem Zeitraum so allmählich ihrem Ende zuneigte, übernahm nicht etwa die Generation um Zverev und Co. das Zepter von Roger Federer, Rafael Nadal oder Novak Djokovic, sondern Himmelsstürmer wie Alcaraz oder der neue Weltranglisten-Erste Jannik Sinner (22) aus Italien.
Alcaraz, der Muskelmann aus Murcia, gibt dabei das Kommando an, wenn es um Grand-Slam-Meriten geht. Seine ersten drei Major-Finals hat er ausnahmslos gewonnen; 2022 in New York, 2023 in Wimbledon. Und nun auch das Pariser Endspiel gegen einen sehr guten, aber schließlich nicht genügend entschlossenen, nicht ausreichend zupackenden Zverev. „Carlos ist ein Kämpfer vor dem Herrn, einer, der das Duell da draußen mit jeder Faser liebt“, sagt Boris Becker, der sechsmalige Grand-Slam-Sieger, „wenn es brenzlig wird, geht es bei ihm in den höheren Gang.“ Fakt ist: Die vier aktuellen Grand-Slam-Titel werden entweder von Youngstern wie Alcaraz (French Open, Wimbledon) und Sinner (Australian Open) oder von einem der alten Meister wie Djokovic (US Open) gehalten. Die mittelalte Generation schaut in die Röhre.
Alexander Zverev lässt das Turnier in Stuttgart sausen
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Zverev, der bittere Verlierer, will sich jetzt erst einmal ein paar Tage vom Ärger der Schluss-Inszenierung von Paris erholen, nicht gleich wieder ins Wettkampfgeschehen einsteigen. Das Turnier in Stuttgart sei für eine Rückkehr an die Arbeitsstätte Centre Court unwahrscheinlich, ließ er durchblicken, stattdessen gehe es für ihn nach Berlin, „weil ich dort eine wichtige Person habe, die ich sehen möchte“. Mutmaßlich seine dreijährige Tochter Mayla, mutmaßlich auch Freundin Sophia Thomalla, die Zverevs Abenteuer im Sandkasten Roland Garros wegen Dreharbeiten in Thailand nicht live hatte verfolgen können. Nächster Stopp Zverevs wäre nun das ATP-Turnier in Halle ab dem 17. Juni, bei dem er schon zwei Mal als Teenager im Endspiel stand, aber noch auf den ersten Titelgewinn wartet.
In den kurzen Wochen der Rasensaison muss sich Zverev nicht so sehr um das Energiemanagement bei seinen Auftritten kümmern wie gerade bei den abgeschlossenen Pariser Rutschübungen. Denn dass ihm auf der Zielgeraden des Turniers die Puste ausging, war ein ärgerliches Déjà-vu zu vorangegangenen French-Open-Fehlschlägen. Oft war der Deutsche, wie er selbst mal sagte, „brutal einkassiert worden“, weil er sich in Auftaktrunden lang und länger herumgequält hatte. 2018 hatte Zverev als Pokalkandidat sogar einmal drei Matches hintereinander in fünf Sätzen gewonnen, bevor er im Viertelfinale nur ganze sieben Spiele bei einer kräftigen Abreibung durch Freund Dominic Thiem holte.
Alexander Zverev will aus der Niederlage lernen
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2024, im Hier und Jetzt, brauchte Zverev fast 20 Stunden für den Finaleinzug, er hatte auch mit Konzentrationslücken und einer zwischenzeitlich zu defensiven Grundausrichtung zu tun. Und bloß mit physischen Defiziten war Zverevs Einbruch in den Sätzen vier und fünf des Finales gewiss nicht zu erklären. Gegen einen angeschlagenen Alcaraz, der in Satz drei einen 5:2-Vorsprung vergeigt hatte, durfte Zverev nie und nimmer sofort 0:4 im nächsten Akt ins Hintertreffen geraten. Er selbst sagte, ihm hätten „da die Beine gefehlt“. Aber vielleicht auch die paar Prozent Mentalität, um trotz allem das Momentum für sich zu nutzen und als Erster ins Ziel zu gelangen. „Ich werde aus diesem Endspiel lernen“, sagte Zverev, „und nicht aufgeben, meine Chance zu suchen.“