Paris. Alexander Zverev und Rafael Nadal treffen in der ersten Runde der French Open aufeinander. 2022 überschattete eine Verletzung das Halbfinalduell.
Am 23. Mai 2005 hatte auch Lars Burgsmüller nur so ein dumpfes Gefühl. Er hatte gerade in der ersten French Open-Runde 1:6, 6:7 und 1:6 gegen einen jungen Spanier verloren, von dem man, wie Burgsmüller anschließend in einem kleinen Presseraum im Stadion Roland Garros berichtete, „schon einiges Interessantes“ gehört habe. Was der deutsche Profi aus eigener Erfahrung, nach dem Grand Slam-Duell gegen den Roland Garros-Debütanten mitzuteilen hatte, war dann etwas aufschlussreicher: „Der Bursche spielt mit unglaublicher Wucht und verrückter Leidenschaft.“ Er sei sicher, so Burgsmüller, „dass der Junge hier bald auch Großes schaffen kann.“
Jener 23. Mai vor 19 Jahren war im Nachhinein ein historisches Tennisdatum. Nicht, weil es Burgsmüller letztes Spiel als Profi war, das weiß der heutige Oberarzt am Evangelischen Klinikum Essen-Mitte auch. Sondern weil es der Beginn einer Grand Slam-Geschichte war, die ihresgleichen sucht – der Geschichte von Rafael Nadal bei den French Open. Der Startschuss für eine Dominanz bei einem Major-Wettbewerb, die in unfassbare Dimensionen vorstieß. Seit dem Rendezvous mit Burgsmüller, dem Mann aus dem Pott, hat Nadal nur drei von 115 Matches verloren – 14 Mal ist er als König aus Paris abgereist, als Triumphator nach zweiwöchigen Rutschübungen im roten Sand, zuletzt 2022. Ein Spielverderber für ganze Generationen, selbst für die allergrößten seiner Rivalen. „Die French Open sind Nadals Reich, sein Paradies“, sagt TV-Experte Boris Becker, der selbst nie in Paris gewinnen konnte, „hier setzt er manchmal Kräfte frei, die er eigentlich gar nicht hat.“
Rafael Nadal nur noch an Stelle 276 der Weltrangliste
Und nun, nach all den Jahren von Nadals Tennis-Schreckensherrschaft, steht wieder ein Deutscher dem Matador gegenüber. Nach einer Laune des Schicksals, die fast schon absurd erscheint. Denn das vor zwei Jahren wegen einer schweren Verletzung von Alexander Zverev abgebrochene Halbfinale gegen Nadal erlebt bei den Offenen Französischen Meisterschaften 2024 nun eine Neuauflage in der ersten Runde. Und eine der vielen Fragen zu diesem Auftakt-Kracher lautet: Schickt nun der deutsche Olympiasieger den Stierkämpfer aus Manacor in den Ruhestand – jenen Nadal, der einst im Piraten-Outfit und mit jugendlichem Ungestüm die Welt des Wanderzirkus eroberte und in Paris das erste dicke Ausrufezeichen im Sandkasten festschrieb? Der aber nun, gezeichnet nach den verschleißreichen Touren über die Kontinente und Zeitzonen, nach vielen Verletzungen und vielen Comebacks nicht mehr der alte unverwüstliche und beinahe unschlagbare Fighter ist? Und als Nummer 276 der Weltrangliste ins Rennen geht.
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Aber, wie gesagt, bei Nadal und Paris weiß man nie. Auch 2022 war der inzwischen 37-jährige Spanier ohne große Erwartungen in die französische Kapitale gekommen, die Vorbereitungsturniere waren enttäuschend verlaufen, er selbst, der notorische Pessimist, gab „ziemlich wenig“ auf seine Titelchancen. Doch dann stand er plötzlich wieder im Halbfinale, stand Zverev gegenüber. Es war ein Kampf auf Augenhöhe, auf höchstem Niveau. Zverev war der etwas bessere Spieler, vergab aber zu viele Chancen, er verlor dann auch beinahe widersinnig den ersten Satz. Bei 6:6 im zweiten Satz dann der Schockmoment: Zverev knickt um, ein grässlicher Anblick. Sieben Bänder reißen im rechten Fuß, erst 2023 geht das Tennisleben weiter, für Zverev, ein mühsamer Marsch zurück an die Weltspitze beginnt. Was sich aus diesem letzten der zehn Matches zwischen Nadal und Zverev einbrennt, ist das Bild von Zverev im Rollstuhl auf dem Centre Court. „Vergessen kann man das nie so ganz“, sagt Zverev, der sich im letzten Jahr in einem der stärksten Comeback-Momente mehr als respektabel bis ins Pariser Halbfinale vorspielte.
Novak Djokovic glaubt an Favoritenrolle von Nadal
Was allerdings auch geblieben ist bei Zverev, das ist das Gefühl, in jenem Unglücksmatch im Juni 2022 wie nie zuvor „auf Augenhöhe“ mit dem Sandplatzkönig mitgehalten zu haben: „Ich war wirklich nahe dran.“ Zverev ist sicher, dass Nadal trotz aller Schwierigkeiten im Countdown zu den French Open „wieder in anderer Form und Verfassung“ ins Turnier gehen wird – und damit gleich gegen ihn selbst. Novak Djokovic, der selbst leicht strauchelnde Spitzenmann, geht ja sogar noch einen Schritt weiter. Sei Nadal in Paris am Start, „ist er automatisch Favorit, davon bin ich überzeugt“: „Es ist, als ob ein anderer Mensch aus ihm wird.“