Madrid. Frust statt Champions-League-Finale für den FC Bayern: Spannend wird nun, wie es nach dem bitteren Ende einer verkorksten Saison weitergeht.
Die innere Leere war den Spielern anzusehen, als sie nach dem dramatisch verpassten Finale der Champions League beim Bankett saßen und Löcher in die Luft starrten. Dem Aufruf des Vorstandsvorsitzenden Jan-Christian Dreesen, den Blick rasch nach vorne zu richten, konnten sie zumindest so kurz nach der 1:2 (0:0)-Niederlage im Halbfinal-Rückspiel bei Real Madridacht Tage nach dem 2:2 aus der ersten Verabredung noch nicht nachkommen.
Auszeichnen sollte den FC Bayern, „dass wir nach so bitteren Niederlagen stärker als zuvor zurückkommen“, sagte Dreesen in der Nacht auf Donnerstag. Als er diesen „Mia-san-mia-Reflex“ beschwor, erinnerte er daran, was Thomas Müller 2012 nach dem verlorenen „Finale dahoam“ gegen Chelsea in den Mannschafts-Chat geschrieben habe: „Kopf hoch, Jungs. Das, was gestern passiert ist, tut extrem weh, aber nächstes Jahr schlagen wir zurück.“ Das soll auch diesmal gelten, zumal das Endspiel 2025 wieder in der Münchener Arena steigt. „Das ist jetzt unser großes Ziel“, rief Dreesen. Und zwar, es dann auch erfolgreich zu bestreiten, wie er ergänzte.
Erste titellose Saison für den FC Bayern seit zwölf Jahren
Dieser Appell wirkte wie der gut gemeinte Versuch einer Aufmunterung, um eine Perspektive zu schaffen. Ob sich eine solche Zielsetzung angesichts des Zustands des FC Bayern und des Bildes, das er in der jüngeren Vergangenheit abgegeben hat, an der Realität orientiert, ist eine andere Frage. Zumal ein Umbruch angedacht ist, der nicht nur den Kader betrifft, sondern auch den Trainerstab. Bei der Suche nach einem Nachfolger für Thomas Tuchel haben sich die Münchener schon einige Absagen eingehandelt. Ob sie noch eine Premiumlösung finden, erscheint zunehmend fraglich.
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Für den Moment aber war für diese übergeordneten Themen ohnehin wenig Raum. Zu tief saß der Frust beim FC Bayern, für den die erste titellose Saison seit zwölf Jahren nun amtlich ist. Im DFB-Pokal hatten sich die Münchener in der zweiten Runde beim Drittligisten Saarbrücken blamiert und waren ausgeschieden. In der Bundesliga hatten sie gegenüber dem neuen Meister Leverkusen klar das Nachsehen. Nun müssen die Bayern am Ende ihrer verkorksten Saison mit ihrem auf Kante konstruierten Kader, vielen Verletzungen sowie hausgemachten Problemen und Debatten auch noch ertragen, dass es nichts wird mit der Neuauflage des deutschen Finales von 2013 gegen Dortmund. Stattdessen gehen sie komplett leer aus, während die Borussia am 1. Juni in Wembley auf Real trifft. „Ich fühle mich schlecht gerade wie alle anderen“, sagte Torwart Manuel Neuer.
Bayern-Kapitän Manuel Neuer wird zum tragischen Helden
Zum tragischen Helden war der Kapitän geworden. Mit mehreren herausragenden Paraden hatte er die Bayern zunächst vorm Rückstand bewahrt. Nach der schmeichelhaften Führung durch den Rechtsschuss von Alphonso Davies (68.) unterlief Neuer aber kurz vor Schluss jener Fehler, der die insgesamt verdiente Wende zu Reals Gunsten brachte. Einen Aufsetzer von Vinicius Júnior schätzte Neuer falsch ein, der Ball sprang ihm an den Hals und prallte ab, Joselu traf zum 1:1 (88.).
Es war eine Szene, die an Oliver Kahns Fehler im WM-Finale von 2002 gegen Brasilien erinnerte, der damals zuvor ein überragendes Turnier gespielt hatte. Dass diesmal Aleksandar Pavlovic nach einer Behandlung noch nicht wieder auf das Spielfeld zurückkehren durfte, machte das Gegentor noch etwas ärgerlicher. Drei Minuten später vollendete der in Stuttgart geborene Joselu, der einst für Hoffenheim, Frankfurt und Hannover gespielt hatte, nach Antonio Rüdigers Pass zu Reals Siegtreffer. Es war ein später Doppelschlag, wie ihn die Bayern in ihrem verlorenen Finale von 1999 gegen Manchester United erlebt hatten.
Doch die wohl bitterste Szene sollte noch folgen in der 13. Minute der Nachspielzeit, als Matthijs de Ligt zum vermeintlichen 2:2 traf. Kurz vor seinem Schuss hatte das Schiedrichtergespann um Szymon Marciniak aber auf Abseits entschieden und sofort gepfiffen. Die Bayern ließ das fassungslos zurück. „Aberwitzig“ und „unerklärlich“ nannte Müller die Aktion, „ich weiß nicht, was ihn da geritten hat“. Durch das sofortige Heben der Fahne und den umgehenden Pfiff hatten die voreiligen Unparteiischen eine VAR-Überprüfung der sehr knappen und überdies wohl auch falschen Abseitsentscheidung unmöglich gemacht. „Höchst kurios und dubios“, nannte Sportvorstand Max Eberl das Vorgehen.
Bayern wütend über entscheidenen Abseitspfiff
Dass Marciniak später um Verzeihung bat, half den Bayern nicht. „Da können wir uns einen Scheißdreck für kaufen“, polterte Eberl. „Es ist Halbfinale, es ist nicht der Moment für Entschuldigungen“, schimpfte auch Tuchel. Er klagte, das Schiedsrichtergespann habe „gegen alle Regeln“ verstoßen, so etwas dürfe auf diesem Niveau nicht passieren. Bitternis lag in Tuchels Stimme.
Diese Tonlage unterfütterte wie ein Klangteppich jene Bilder, die blieben vom Aus im Estadio Santiago Bernabéu. Schon kurz nach dem Abpfiff hatte man bei den Spielern viele leere Blicke gesehen, ob beim weiterhin titellosen Harry Kane, dem erneut verletzten Serge Gnabry oder dem ganz allein auf der Bank versunkenen Leon Goretzka. Es waren Bilder, die zu dieser Bayern-Saison der Enttäuschungen passten. Ins große Bilderbuch dieses Abends fügte sich auch, dass sich Reals deutsche Nationalspieler Toni Kroos und Rüdiger freudig umarmten, während ihr Trainer Carlo Ancelotti Reals Vereinshymne inbrünstig mitsang. Tags zuvor hatte der Italiener erstaunlich offen erzählt, dass er beim FC Bayern einst keine Rückendeckung erhalten habe. Auch das gehört nun zum großen Bilderbogen des Münchener Dramas von Madrid.