Madrid. Harry Kane hat noch keinen Mannschaftstitel gewonnen. In der Champions League geht es für den Bayern-Stürmer um eine große Geschichte.
In Harry Kanes Fußballerleben gibt es zwei große Geschichten, und das Gute an der ersten Geschichte ist, dass sie über die Jahre hinweg aus seiner Sicht immer besser wurde. Traurig fing sie für ihn an, entwickelte sich aber erfreulich und fand zuletzt ihr vorläufiges Happy End. Aussortiert worden war der heutige Mittelstürmer des FC Bayern ja beim FC Arsenal mit neun Jahren, weil er klein, etwas pummelig und nicht gerade schnell war. Danach wollte er es dem FC Arsenal immer zeigen, wenn er gegen seinen Verein aus der Kindheit spielte. Mit vielen Toren und Siegen gegen die Gunners ist ihm das schon mit Tottenham Hotspur sehr ordentlich gelungen. Besonders gut klappte das aber zuletzt mit dem FC Bayern im Viertelfinale der Champions League, als Kane zum 2:2 im Hinspiel seinen verwandelten Elfmeter zum 2:1 beisteuerte und nach dem 1:0-Sieg im Rückspiel den Einzug ins Halbfinale bejubeln konnte.
An diesem Mittwoch (21 Uhr/DAZN) geht es für den FC Bayern im Rückspiel eben jenes Halbfinals bei Real Madrid erneut darum, weiterzukommen nach einem 2:2 im Hinspiel samt Elfmetertor von Kane zum 2:1. Den Einzug ins Finale am 1. Juni in Wembley haben sich alle in der Münchner Belegschaft zum Ziel gesetzt. Für Kane aber geht es zusätzlich noch um seine zweite große Geschichte, die im Gegensatz zur ersten gemeinerweise über die Jahre hinweg aus seiner Sicht immer schlimmer geworden ist. Nie hat der 30 Jahre alte Engländer in seiner Laufbahn ja einen nennenswerten Mannschaftstitel gewonnen, nicht im Vereinsfußball und auch nicht mit der Nationalelf.
Damit das endlich ein Ende nimmt, ist Kane im vergangenen Sommer für rund 100 Millionen Euro Ablöse von seinem langjährigen Verein Tottenham zum FC Bayern gewechselt. Doch es ist wie verhext: Mit Kane verpassten die Münchener nach zuvor elf Meisterschaften in Serie den Bundesligatitel, den stattdessen ausgerechnet Leverkusen gewann, das zuvor als „Vizekusen“ firmierte. An Kane lag das nicht. Das Kuriose an seiner Geschichte ist ja auch, dass er eine herausragende erste Saison für den FC Bayern hinlegt. In seinen 44 Pflichtspieleinsätzen hat er 44 Tore erzielt, 36 davon in der Bundesliga und acht in der Champions League. Doch weil sich die Bayern auch noch beim Drittligisten Saarbrücken früh aus dem DFB-Pokal verabschiedet haben, kämpfen sie nun im Estadio Santiago Bernabéu zu Madrid um den Erhalt ihrer letzten Titelchance der Saison. Für Kane geht es damit auch um die Frage, ob er vorerst der beste unvollendete Angreifer der Welt bleibt oder sein ersehntes Finale in Wembley bekommt.
Erst ein Sieg bei Real Madrid, dann in Wembley
Wann immer Kane auf dieses Endspiel in Englands Nationalstadion angesprochen wird, schwingt auch seine persönliche Titelgeschichte mit. Wohl auch deshalb klang sein Wunsch nach dem Hinspiel gegen Real etwas umständlich, er formulierte ihn so: „Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass es kein Traum von mir ist, ein Champions-League-Finale in Wembley zu spielen.“ Das war ohnehin nur die halbe Wahrheit. Denn Kanes tatsächlicher Traum ist es ja, erst das Rückspiel in Madrid zu gewinnen und dann in Wembley seinen ersten Mannschaftstitel. Bisher steht in seiner Karrierebilanz nur der Gewinn zweier unbedeutender Vorbereitungsturniere. Im Sommer 2018 holte Kane mit Tottenham den Titel beim International Champions Cup, ein Jahr später folgte der Gewinn des Audi Cups in München. Der Finalsieg glückte damals gegen den FC Bayern im Elfmeterschießen, übrigens nach Kanes Tor zum 1:0-Erfolg im Halbfinale gegen Real Madrid.
Abgesehen davon stehen in seiner Vita aber nur Einzeltitel und Auszeichnungen, darunter als Rekordtorschütze der englischen Nationalmannschaft, als Torschützenkönig der WM 2018 und der Premier League 2016, 2017, 2021. Vermutlich könnte man dem vierfachen Familienvater Kane auch noch guten Gewissens den Ehrentitel als Großbritanniens treuestem Ehemann verleihen. Zudem kann er als wohl einziger Engländer behaupten, dass seine Frau ihn anstrahlte und nicht David Beckham, während er die Hand des Posterboys schüttelte. Vor 19 Jahren hatte Kane das als pausbackiger Elfjähriger geschafft, als er mit seiner damaligen Freundin und heutigen Ehefrau Katie den damals berühmtesten Kicker des Königreichs traf. Zu jener Zeit war Beckham übrigens Teil der Galaktischen von Real Madrid. Eigentlich hat Kane also alles erreicht. Nur dieses eine und für einen Profifußballer wichtigste Berufsziel, ein großer Mannschaftstitel, fehlt ihm noch. Auch darum geht es jetzt bei den Königlichen. Für solche Spiele, sagt Kane, sei er zu Bayern gekommen. Hinzudenken lässt sich: Und vor allem, um sie zu gewinnen – und dann auch den Titel. Anders als in der ersten großen Geschichte seiner Karriere wartet Kane in der zweiten noch auf ein Happy End. Immerhin kann er mit seinen Toren erneut selbst dazu beitragen.