Frankfurt/Main. Pascal Groß könnte im DFB-Team bei der EM ein Schlüsselspieler sein. Ob er ein Straßenfußballer ist? Ja, aber kein Typ Musiala. Ein Interview.
Zwischen Trainingseinheit und Mittagessen nimmt Pascal Groß (32) im Café des noblen Kempinski-Hotels in Frankfurt Platz, um über seinen ungewöhnlichen Weg in die deutsche Nationalmannschaft zu sprechen. Der Mittelfeldspieler von Brighton & Hove Albion könnte bei der Europameisterschaft eine Schlüsselrolle einnehmen. Vorher geht es aber an diesem Samstag in Lyon gegen Frankreich (21 Uhr/ZDF) darum, die sportliche Wende einzuleiten.
Herr Groß, Ihren Spitzennamen aus Brighton können Sie bei der deutschen Nationalmannschaft eher nicht tragen, oder?
Pascal Groß: In England wussten sie nicht, dass der Begriff Kaiser in Deutschland fußballerisch mit Franz Beckenbauer in Zusammenhang gebracht wird, einer absoluten Legende, die als Trainer und Spieler Weltmeister geworden ist. Das habe ich ihnen dort auch schon das eine oder andere Mal erklärt, weil mich so zu bezeichnen? Das steht doch in keinem Verhältnis. Doch Kaiser ist eben eines der wenigen deutschen Wörter, das man dort kennt – unabhängig vom Fußball. In ihren Augen ist das nur positiv gemeint.
Und ein Zeichen der Wertschätzung, wenn man von Mitspielern so genannt wird?
Absolut. Jedoch muss ich kurz klarstellen: Das kam damals aus unserer Social-Media-Abteilung, so werde ich von der Mannschaft oder vom Trainer nicht genannt.
DFB-Team: Pascal Groß über Hassnachrichten in den sozialen Netzwerken
Die Sozialen Netzwerke sind ein gutes Stichwort. Sie halten sich davon fern. Warum?
Eigentlich ist das gar keine große Sache. Manchmal schickt man mir auch Inhalte, die ich mir dann anschaue. Ich habe einfach für mich entschieden, dass ich das nicht benutzen möchte. Nicht falsch verstehen: Ich bin kein Gegner von Social Media und denke, dass es positiv ist, wenn man es richtig nutzt. Andererseits kann es auch gefährlich beziehungsweise nicht förderlich sein, wenn man es falsch nutzt. Ich komme jedenfalls gut ohne klar. Ich habe genug zu tun in meinem Leben: meine Familie, Freunde, den Fußball.
Spielt dabei auch eine Rolle, dass man im Internet mit Hassnachrichten konfrontiert werden kann?
Nein, allgemein bin ich ein Typ, der sich auf die Einschätzung der Menschen fokussiert, mit denen ich täglich arbeite. Ich glaube, unser Leben ist durch Siege und Niederlagen ohnehin schon voller Wellen. Die versuche ich so klein wie möglich zu halten.
Bei Brighton & Hove Albion gehören Sie zu den wichtigsten Spielern. Ihr Trainer Roberto de Zerbi wird hochgeschätzt. Die Kaderplanung ist datenbasiert. Was zeichnet den Klub aus?
Das haben Sie gut zusammengefasst. Der Verein kauft immer wieder junge Spieler, die dann – leider – verkauft werden müssen. Das ist Brighton, das ist die Philosophie. In der Premier League wird oft gekauft, gekauft, gekauft. Viel Geld bezahlt. Auch bei uns werden natürlich Ablösen gezahlt, für Premier-League-Verhältnisse jedoch sind wir da untypisch.
Untypisch war auch Ihr Weg in die Nationalmannschaft über den Karlsruher SC, den FC Ingolstadt und Brighton. Haben Sie stets gedacht, dass Sie gerade am richtigen Ort für Ihre Entwicklung sind oder kamen zwischendurch auch Sorgen: Für die DFB-Elf könnte es nicht reichen?
Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Ich glaube, dass ich mich oft mit dem Verein weiterentwickelt habe. Zu einer gewissen Zeit, so ehrlich muss ich sein, war ich auch noch nicht auf dem Niveau, um höher zu spielen.
DFB-Team: Pascal Groß über seinen Umweg in die Nationalelf
Als Sie im September zum ersten Mal zur Nationalelf eingeladen worden sind, hat Sie Ihr Wegbegleiter aus Ingolstadt, Michael Henke, bei uns im Interview als „Inbegriff eines Straßenfußballers“ bezeichnet. Hatte er Recht?
Das kommt drauf an, was man darunter versteht. Wenn man sich Spieler wie Jamal Musiala anschaut, die ins Eins gegen Eins gehen, kann man die ja auch als typische Straßenfußballer bezeichnen. So bin ich nicht. Ich glaube aber schon, dass ich eine gute Mentalität habe, immer gewinnen möchte. Den Fußball habe ich von klein auf geliebt: Nach der Schule heimgekommen, den Ranzen abgelegt und raus zum Spielen gegangen. Das war noch die Zeit, in der man auf dem Haustelefon seine Freunde angerufen oder einfach an der Tür geklingelt hat – da war nichts mit Handy! Auch heute habe ich noch die Liebe zum Sport, für mich ist das keine Arbeit. Wenn ich nicht Profi geworden wäre, würde ich nun halt auf anderem Niveau spielen. Wenn man es so sieht: Dann ja, dann bin ich Straßenfußballer mit Leib und Seele.
Er meinte auch Spielintelligenz und die Fähigkeit, unter Druck Lösungen zu finden.
Antizipation ist ein wichtiges Thema, besonders im Mittelfeld. Ein Spiel zu lesen, es zu verstehen, kann helfen, weil man oft schon vorher da sein kann, wo andere vielleicht erst dann hinlaufen wollen. Auf der Position muss man keine langen Wege gehen, sondern kurze: fünf, zehn Meter. Gerade wenn es um zweite Bälle geht, hilft ein gutes Spielverständnis extrem.
Hatten Sie das Glück, einen guten Platz in der Nähe Ihres Hauses vorzufinden?
Das war entweder der Käfig im Park oder der Platz meines Heimatvereins VfL Neckarau. Da waren die Bodenverhältnisse allerdings nicht so gut wie heute. Mir wurde immer gesagt: Wenn du da spielen kannst, dann kannst du überall spielen. (lacht)
Ihr Vater war bei Ihrem Heimatverein auch Ihr Trainer. Was hat er Ihnen mitgegeben?
Umgangsformen. In unserer Mannschaft durfte man nicht spielen, wenn man nicht Guten Tag und auf Wiedersehen, Danke und Bitte sagte. Oder nicht pünktlich kam. Das war noch die alte Schule. Wichtig war auch, dass man Schiedsrichterentscheidungen kommentarlos akzeptiert. Manchmal hat mein Vater absichtlich schlecht gepfiffen, um uns zu provozieren. Ziel war, dass wir uns nicht aus der Ruhe bringen lassen. Denn die Regel hieß: Ein Pfiff wird nie zurückgenommen. Ich glaube, dass es heutzutage kein Nachteil ist, wenn man gewisse Werte vertritt. Wobei: Sich nicht aufzuregen, gelingt mir nicht immer. Fußball ist schließlich ein emotionales Spiel. (lacht)
DFB-Team: Pascal Groß über Rückkehrer Toni Kroos
Schon häufiger haben Sie betont, dass Sie sich in den Dienst der Mannschaft stellen wollen, Ihre vorgesehene Rolle akzeptieren.
Ich habe schon eine gewisse Bescheidenheit, aber auch ein Selbstvertrauen. Ich habe ein extremes Vertrauen in meine Qualitäten und glaube, dass ich der Mannschaft helfen kann – auch auf diesem Level. Aber egal wie viel oder wann ich gebraucht werde: Ich werde 100 Prozent mit allem, was ich habe, probieren, Spiele zu gewinnen. Und selbst wenn nicht, unterstütze ich das Team. Für mich ist das selbstverständlich. Und klar ist auch: Hier bei der Nationalelf zu sein, ist besonders.
In diese ist auch Toni Kroos zurückgekehrt. Die richtige Entscheidung?
Für mich ja! Mit ihm zu trainieren, war beeindruckend. Ihm unterlaufen nahezu keine Fehler, die Sauberkeit im ersten Kontakt – links wie rechts – ist herausragend. Seine Entscheidungsfindung ist nahezu perfekt. Da sind wir wieder beim Thema Antizipation: Wenn du gegen ihn spielst, kommst du kaum in Zweikampfsituationen, weil er seine Lösung schon vorher im Kopf hat. Ich stelle mir gerade das erste EM-Spiel im eigenen Land vor. Da ist ein Spieler auf dem Platz, dem du immer den Ball geben kannst, weil du weißt, dass er da gut aufgehoben ist. Das ist das allerhöchste Level.
Wo spielen Sie dann? In der Casemiro-Rolle von Real Madrid als zweikampstarker Sechser hinter Kroos?
Ich glaube, da gibt es verschiedene Optionen. Wir haben sehr gute Spieler.
DFB-Team: Pascal Groß über Erinnerungen ans Sommermärchen
Apropos Eröffnungsspiel in München. Wo haben Sie das WM-Auftaktmatch gegen Costa Rica 2006 erlebt?
In Mannheim mit meinen Freunden in der Stadt, da gab es eine große Leinwand. Das war eine schöne Zeit, ein unglaublicher Sommer – auch wenn mir das Halbfinal-Aus gegen Italien das Herz gebrochen hat, weil ich als Fan mit Herz und Seele dabei war.
Was macht Sie optimistisch, dass auch die EM erfolgreich werden kann? Die letzten Eindrücke lassen nichts Gutes erahnen.
Ich bin ein positiver Mensch. Mir macht es Mut, wenn ich sehe, wie wir trainieren. Wir haben eine gute Mischung verschiedener Typen, verschiedener Charakteristika. Trotzdem müssen wir auch Bescheidenheit und Demut an den Tag legen. Zum Turnierstart zählen Namen nichts mehr. Auch als deutsche Nationalmannschaft müssen wir uns alles erarbeiten. Ich bin überzeugt: Wenn wir eine gute Mischung aus Mentalität und Qualität auf den Platz kriegen, dann sind wir gut.
Sie tragen beim DFB nun die Trikot-Nummer Fünf. Haben Sie ein besonderes Verhältnis dazu?
Mir wurde sie angeboten, ich würde nie eine Nummer einfordern – aber sie ist toll. Mein Vorbild Zinedine Zidane hatte bei Real Madrid auch die Fünf. Und Franz Beckenbauer hat sie bei der Nationalmannschaft ja auch getragen. (grinst)