Rom. Nach dem 0:1 bei Lazio Rom in der Champions League spitzt sich die Lage beim FC Bayern zu. Ist Thomas Tuchel noch der richtige Trainer?
Das Befinden und die Erklärungsversuche beim FC Bayern glichen hinterher jener Geste, mit der Thomas Tuchel schon während des Spiels aufgefallen war. Den Kopf hatte der Trainer vor Entsetzen geschüttelt und seine Hände vors Gesicht geschlagen, um nicht mehr mitansehen zu müssen, wie seiner Mannschaft mittlerweile sogar die einfachsten Dinge misslingen. In diesem Fall waren das ein Kurzpass über wenige Meter von Noussair Mazraoui und eine Annahme von Joshua Kimmich gewesen. Beides geriet unpräzise, herauskam ein Ballverlust völlig ohne Not. Tuchel sackte auf der Bank noch etwas tiefer in sich zusammen und verschloss lieber die Augen.
Es waren Szenen gewesen, die stellvertretend standen für die derzeitige Gesamtsituation beim FC Bayern. Vier Tage nach der heftigen 0:3-Niederlage beim Bundesliga-Tabellenführer Leverkusen und der womöglich schon verspielten Meisterschaft droht seit Mittwochabend das Aus im Achtelfinale der Champions League durch eine 0:1 (0:0)-Niederlage im Hinspiel bei der erkennbar limitierten Mannschaft von Lazio Rom. Zwei Niederlagen hintereinander ohne eigenes Tor hatten die Münchener seit neun Jahren nicht mehr erlitten. Ihre Verunsicherung ist inzwischen so groß, dass sie sogar gegen den qualitativ deutlich schwächeren Gegner in der Offensive nicht einen Schuss aufs Tor zustande brachten und in der Defensive in bemerkenswerte Verlegenheiten stürzten.
FC Bayern: Upamecano nach Roter Karte für Rückspiel gesperrt
Exemplarisch dafür stand, wie es zu Lazios Siegtor durch den Foulelfmeter des ehemaligen Dortmunder Angreifers Ciro Immobile gekommen war (69.). Am Ende eines Konters hatte Innenverteidiger Dayot Upamecano zwar unabsichtlich, aber unbedacht und ungeschickt Gustav Isaksen im Strafraum mit der offenen Sohle voll auf den Knöchel getreten und zurecht die Rote Karte gesehen. Upamecano war danach in sozialen Netzwerken rassistisch angefeindet worden. Auf dem Bankett erhielt der Franzose Applaus als Zeichen der Unterstützung, nachdem der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen die „ekelhaften Kommentare“ als „verabscheuungswürdig“ verurteilt hatte.
Sportlich nehmen die Bayern neben der Niederlage auch Upamecanos Sperre als Hypothek mit ins Rückspiel am 5. März in München. Bis dahin wird es darum gehen, die Gemütslage aufzuhellen und das verloren gegangene Selbstvertrauen aufzupäppeln. „Der Schlüssel ist definitiv noch nicht gefunden“, räumte Tuchel ein. „Die zweite Halbzeit zeigt unsere aktuelle Verunsicherung“, sagte Thomas Müller und bezeichnete es als „fast schon Slapstick“, wie man Fehler an Fehler gereiht habe. „Wie wir einen Sieg für Lazio fast selbst produzieren, das beschreibt unseren aktuellen Zustand.“
In Bochum muss nun dringend ein Sieg her
Verunsichert und verzweifelt wirken alle Beteiligten beim FC Bayern, und zunehmend hat es den Anschein, dass Mannschaft und Trainer auch aneinander verzweifeln. Bestätigen wollte das selbstredend niemand, dementiert wurde es aber auch nicht. „Diese Trainerdiskussion könnt ihr gerne führen, aber da sind wir Spieler erstens die völlig falschen Ansprechpartner und das ist auch ein Stück weit respektlos“, sagte Müller. Kurz darauf ergänzte er: „Ihr könnt eure Analysen machen, aber ihr könnt nicht erwarten, dass wir uns selbst zerfleischen.“ Er sagte: „Wir stehen zusammen und, ähm, wir arbeiten aufs nächste Spiel hin und hoffen, dass wir da den Bock umstoßen können.“ Ein bisschen pflichtschuldig und nach dem Prinzip Hoffnung klang das schon und nicht wirklich nach einer Unterstützung für den Trainer aus Überzeugung. Zu diesem Eindruck trug auch Müllers Befund bei, man sei „das Gegenteil von einer gefestigten Einheit“.
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Auch deshalb wird immer häufiger und lauter die Frage gestellt, ob Tuchel noch der richtige Trainer ist, um die erste titellose Saison seit 2012 abzuwenden. Ob er sich Sorgen um seinen Job mache, wurde der 50-Jährige im Bauch des Stadio Olimpico gefragt. „Nein“, sagte Tuchel knapp. Auf die Anschlussfrage, warum er der richtige Trainer für den FC Bayern sei, antwortete er ausweichend: „Ich würde gerne über das Spiel sprechen.“ Bei der zweiten Nachfrage schritt Pressesprecher Dieter Nickles ein. Der öffentliche Druck ist immens. Noch aber scheinen sie beim FC Bayern darauf zu hoffen, dass Team und Trainer die Wende schaffen. Sportdirektor Christoph Freund formulierte es so: „Wir sitzen alle in einem Boot, es ist jetzt nicht einfach, aber wir werden uns da gemeinsam rauskämpfen. Das ist unser großes Ziel.“ Mit Blick auf das Ligaspiel in Bochum am Sonntag (17.30 Uhr/DAZN) ergänzte er: „Ein Sieg muss her, ganz klar.“