Essen. Ex-Profi Stefan Effenberg geht mit dem FC Bayern nach dem verlorenen Leverkusen-Duell hart ins Gericht – und erwartet eine Reaktion gegen Lazio.
Drei Tage hatte der deutsche Fußball-Rekordmeister FC Bayern München Zeit, um sich zu schütteln. Nach der heftigen 0:3-Niederlage am Samstag bei Tabellenführer Bayer Leverkusen muss das Team von Thomas Tuchel nun den Schalter von Liga-Frust auf Champions-League-Motivation umlegen. An diesem Mittwoch (21 Uhr/DAZN) sind die Münchener im Achtelfinal-Hinspiel zu Gast beim italienischen Topklub Lazio Rom, der in der Serie A jedoch ins Schlingern geraten ist. Stefan Effenberg wird wie schon am Samstag genau hinschauen. Als ehemaliger Bayern-Profi und derzeitiger TV-Experte für Sport1 weiß er nur zu gut, welche Gefahr von angeschlagenen Bayern ausgeht – und warum man sich keine Sorgen machen muss. Am kommenden Sonntag wird der Ex-Nationalspieler wieder ab 11 Uhr als Experte im Doppelpass bei Sport 1 sitzen.
Herr Effenberg, das Spitzenspiel am vergangenen Wochenende endete überraschend deutlich. Ist das eine Wachablösung?
Stefan Effenberg: Ein Riesenkompliment an Leverkusen! Das war absolut dominant, wie Bayer gespielt hat. So, wie man es eigentlich vom FC Bayern kennt. Sie haben es den Bayern sehr schwer gemacht. Bis auf ganz wenige Phasen im Spiel hatten sie die Partie unter absoluter Kontrolle. So chancenlos kenne ich eigentlich den FC Bayern nicht. Dessen Auftritt hat mich überrascht, weil die Jungs ganz klar wussten, worauf es ankommt. Thomas Tuchel hatte schließlich gesagt, dass die Karten auf den Tisch gelegt werden. Es ist gerade verkehrte Welt. Aber: Der Bayer-Sieg ist keine Entscheidung im Titelrennen.
Ist die Kritik am FC Bayern dennoch gerechtfertigt?
Nach solchen Spielen muss man den Finger in die Wunde legen. Allen beim FC Bayern wurden die Augen geöffnet. Die Verantwortlichen werden das Spiel jetzt knallhart analysieren. Nur einen Schuss aufs Tor bringen, egal wie der Gegner heißt: Das darf dir nicht passieren! Ich hoffe, dass sie daraus dann auch die Lehren ziehen. Wir müssen über die Art und Weise reden, wie man Fußball spielt. Das ist nicht das, was sich der FC Bayern vorstellt, und das ist auch nicht das, wofür die Spieler geholt wurden.
Sehen Sie den Kader denn gut genug aufgestellt?
Diese Frage müssen sich die Verantwortlichen stellen. Sie müssen den Kader durchleuchten, ob er auch dafür reicht, um international die Ziele zu erreichen. Die sind schließlich die Vorgabe beim FC Bayern. Von den Neuen, die im Winter geholt wurden, bin ich überzeugt. Sie werden ihre Leistungen noch bringen und eine sehr gute Rolle beim FC Bayern spielen wird. Bei Eric Dier sieht man das jetzt schon. Er hat ungemeine Erfahrung. Bryan Zaragoza und Sacha Boey brauchen noch etwas Zeit. Und Führungsspieler, an denen sie sich orientieren können.
Von denen überzeugte zuletzt in München aber keiner.
Leon Goretzka oder Joshua Kimmich haben schon gezeigt, dass sie das können. Beide Spieler haben auch den Anspruch, Führungsspieler zu sein. Wie einige andere im Kader laufen die beiden aber ihrer Form hinterher. Nach dem Spiel gegen Leverkusen wurde viel gesagt von Thomas Müller und Manuel Neuer. Jetzt sind die Spieler in der Pflicht, das auch umzusetzen.
Kritiker sagen, beim FC Bayern müsse auch bei den Führungsspielern ein Umbruch her.
Es laufen in den nächsten zwei Jahren Verträge aus. Die Verantwortlichen in München müssen sich überlegen, mit welchen Spielern sie in die Zukunft gehen wollen. Jeder, der mal Fußball gespielt hat, weiß, dass Veränderungen auf solch wichtigen Positionen auch positive Effekte haben können. Goretzka und Co. müssen nun aber erst einmal an ihre Leistungsstärke anknüpfen. Goretzka ist davon ein Stück weit entfernt, Kimmich ebenfalls. Und die Spieler in der Verteidigung strotzen auch nicht vor Selbstvertrauen. Sie haben alle schon bewiesen, dass sie auf allerhöchstem Niveau spielen können. Dahin müssen alle Bayern-Spieler schnell zurückkommen, um die Ziele noch zu erreichen. Dafür brauchen sie aber auch Vertrauen vom Trainer.
Strahlt der dieses Vertrauen für Sie aus?
Ich bin ein Freund davon, ein klares System zu spielen – so wie es der FC Bayern fast immer getan hat. Und, dass die Spieler dann auch auf den Positionen spielen, die sie gelernt haben. Gegen Leverkusen hat sich Tuchel keinen Gefallen mit seinen Überlegungen getan.
Denkt Tuchel zu viel nach?
Grundsätzlich ist das nicht schlecht. Ottmar Hitzfeld hat das ebenfalls getan. Aber der FC Bayern stellt sich nicht auf die Gegner ein, schon gar nicht in der Bundesliga. Die müssen sich auf den FC Bayern einstellen. In der Bundesliga muss der FC Bayern den Ton angeben – in jedem Spiel.
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Ist Tuchel schon gescheitert in München?
Nein. Er ist noch kein Jahr Trainer und hat sehr schwere Bedingungen vorgefunden. Tuchel kam in einer schwierigen Situation, dann ist er mit einem sehr dünnen Kader in die neue Saison gegangen. Der FC Bayern hat Verletzungssorgen gehabt, musste Spieler für den Asien- und den Afrika-Cup abstellen. Das muss man berücksichtigen.
Thomas Tuchel ist auch kein Zauberer.
Der FC Bayern spielt ja keinen schlechten Fußball – zumindest nicht immer. In der Liga stehen sie bei 50 Punkten und für das Achtelfinale der Champions League haben sie sich äußerst souverän qualifiziert.
Dort wartet heute nun Lazio Rom, die in der Serie A nicht gerade gut dastehen. Werden die Italiener für die schwache Bayern-Vorstellung am Wochenende büßen müssen?
Auch die werden alles reinhauen. Sie haben erkannt, dass der FC Bayern eine gewisse Anfälligkeit und Schwäche preisgibt. Das werden sie natürlich versuchen auszunutzen. Der FC Bayern wird Lazio nicht wegspielen, dafür stehen sie zu Recht im Achtelfinale. Und gegen italienische Mannschaften ist es ohnehin immer so eine Sache. Aber es muss ganz klar der Anspruch sein, diese zwei Spiele zu gewinnen und ins Viertelfinale einzuziehen. Punkt! Das Ziel lautet beim FC Bayern immer mindestens Halbfinale. Dafür muss Lazio geschlagen werden. Der FC Bayern wird auf das reagieren, was am Wochenende passiert ist. So kenne ich sie.