Hamburg. Viereinhalb Monate vor der EM in Deutschland ist die Vorfreude im Ausland groß. Die Organisatoren dagegen hadern mit der Politik.
Björn Gulden hat Zeit gehabt, sich in die Eigenheiten der Deutschen einzuarbeiten. Knapp zehn Jahre war er Vorstandsboss des Sportartikelherstellers Puma, Anfang 2023 wechselte er zu Adidas – weshalb er anders als die norwegische Fußballnationalmannschaft intensiv mit der Europameisterschaft in diesem Sommer in Deutschland zu tun haben wird. „Ich glaube, das wird ein Fußballfest“, sagt der 58-Jährige und widmet sich dann mit amüsiertem Spott den deutschen Gastgebern und ihren Schwierigkeiten, sich ausgelassen zu freuen: „Ihr Deutschen seid manchmal komisch, ihr sagt Dinge wie: Wir sind Weltmeister geworden, aber haben leider schlecht gespielt.“ Gulden ist da positiver, auch im Blick auf die EM: „Das wird eine bombastische Party und ihr habt eine viel bessere Mannschaft, als ihr zugebt“, meint der Adidas-Chef. „Ich wette eine sehr, sehr teure Flasche Wein, dass ihr ins Halbfinale kommt.“
Man muss schon lange suchen bei der Spobis-Konferenz, dem Branchentreffen der Sportmarketingbranche in Hamburg, bis man einen Deutschen findet, der ähnlich optimistisch ist wie Gulden. Oder wie Aleksander Ceferin, der Präsident des europäischen Fußballverbands Uefa, der „eine großartige EM“ erwartet, organisatorisch und sportlich: „Für mich ist Deutschland einer der vier Favoriten.“
DFB-Co-Trainer Sandro Wagner hofft auf begeisternde Auftritte
So deutlich wird nicht einmal Sandro Wagner, im Beruf Co-Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft und vom Wesen her ein gewaltiges Paket Selbstbewusstsein auf zwei Beinen. „Was für die EM schon auf die Beine gestellt wurde, ist sensationell, das wird eine tolle EM“, sagt er zwar. Bei der sportlichen Prognose ist er dann aber doch zurückhaltender: „Für mich wäre es am schönsten, wenn die Leute nach der EM sagen: Die Jungs haben Gas gegeben und haben Spaß gemacht – dann ist zweitrangig, was als Ergebnis dabei herumkommt.“
Auf der Spobis-Konferenz bestätigt sich ein grundsätzliches Bild: Im Rest Europas scheint die EM-Euphorie groß, in Deutschland noch nicht. Untermauert wird das auch bei den Ticketbestellungen, bei den einfachen Karten und bei den teuren Hospitality- und VIP-Paketen, wo es mehr Buchungen aus dem Ausland als aus Deutschland gibt – das ist eher ungewöhnlich. „Es ist spannend, das zu sehen“, sagt Tim Steinhaus, der dieses Geschäft verantwortet „Wir würden uns aber wünschen, dass die Begeisterung noch viel stärker ins Land eindringt und durchdringt.“
EM-Organisator Stenger schimpft auf die deutsche Politik
Vergleichsweise entspannt gibt sich der Schweizer Martin Kallen, der seit 2004 Europameisterschaften für die Uefa organisiert. „Sechs Monate vorher gibt es nie eine Euphoriewelle im Gastgeberland.“ Da ist er wieder, der Blick von außen, der so viel besser ist als die Binnensicht. Stenger nämlich, der deutsche Organisator, ist schon lange mächtig genervt von der Politik in Deutschland und gibt sich immer weniger Mühe, das zu verbergen: „Begeisterung spürt man in der Politik nicht“, sagt er.
Ein „Bürokratiemonster“ sei Deutschland, „viele Dinge dauern wahnsinnig lange“. Jüngstes Beispiel: Der seit Monaten angekündigte Start der Anmeldephase für Journalisten musste kurzfristig verschoben werden, weil dem Vernehmen nach die Länder Bedenken beim Datenschutz anmeldeten und Formulare überarbeitet werden mussten. „Man hätte mehr aus dem Turnier machen können, davon bin ich überzeugt“, sagt Stenger, schiebt dann aber nach: „Was wirklich bleibt, wird man erst sehen, wenn gespielt ist.“
Uefa rechnet mit über 2,4 Milliarden Euro Gewinn
Für die Euphorie müssen andere sorgen. Die ausländischen Fans etwa. Am Donnerstag hat die Uefa bekannt gegeben, wo die bereits qualifizierten Mannschaften ihre Basislager beziehen. Nun freut sich Garmisch-Patenkirchen auf Zehntausende feierwütige Niederländer, in Nordrhein-Westfalen werden Albanien (Kamen), Frankreich (Paderborn), Italien (Iserlohn) und Portugal (Harsewinkel) wohnen. Ökonomisch ist das Turnier ohnehin schon ein Erfolg, zumindest für die Uefa, die TV-Rechte und Sponsoringpakete sind fast komplett ausverkauft, die Stadiontickets sowieso, bis auf vereinzelte VIP-Pakete. „Unser Ziel ist ein Umsatz von über 2,4 Milliarden Euro und das werden wir erreichen“, sagt Kallen.
Entscheidend für die Stimmung aber ist auf dem Platz und damit ist man wieder beim wandelnden Selbstbewusstsein, bei Sandro Wagner. Der verkündet flugs und nur halb im Scherz, dass man in den anstehenden Testspielen Frankreich am besten 4:0 und die Niederlande 3:0 weghauen werde, dass er auf die Rückkehr von Toni Kroos hofft („ein Riesenspieler, der noch laufen kann“) und dass die deutsche Mannschaft alles tun werde für EM-Euphorie: „Wir haben die ganz große Chance, die Dinge ins Positive zu ziehen“, sagt er. „Wenn wir im Eröffnungsspiel nach zehn Minuten 1:0 gegen Schottland führen, dann ist nichts mehr negativ.“