Hamburg. Investoren, Ungleichheit, Konkurrenz aus Saudi-Arabien: Europas Fußball sieht sich vielen Risiken gegenüber – und hat nicht auf alle Antworten.
Für den Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Fußball-Liga ist die Sache klar: „Als Ligachef würde ich mich freuen, wenn Schalke wieder in die Bundesliga aufsteigt“, sagt Hans-Joachim Watzke. Ob die Freude geteilt würde vom Privatmann Watzke, dem BVB-Fan Watzke oder dem Geschäftsführer von Borussia Dortmund, der er ja auch ist, das bleibt offen an diesem Mittwochmittag beim Sportbusinesskongress Spobis in Hamburg. Watzke kennt sich aus mit Nebenjobs, er ist ja auch Vizepräsident des Deutschen Fußballbunds und sitzt im Exekutivkomitee des europäischen Fußballverbands Uefa.
Aber damit hat es nichts zu tun, wenn Watzke nun sagt: „Wenn man in London mit seiner Familie zum Fußball möchte, muss man einen Zweitjob annehmen.“ Nein, Watzke geht es um den Vergleich zwischen der englischen Premier League und der Bundesliga und vor allem den Beleg für seine These, dass die Bundesliga boomt. Dass die Tickets bezahlbar sind und auch deswegen die Bundesliga in Europa die meisten Zuschauer lockt, ist eines der Argumente, die größte Zahl an erzielten Toren ein weiteres. Dass die 2. Bundesliga in Sachen Zuschauer die fünftstärkste in Europa ist, führt Watzke an. Und den demokratischen Prozess, der in den deutschen Klubs noch gepflegt wird, wo die Mitglieder dank der 50+1-Regel noch das Sagen haben sollten in ihren Klubs.
Zuversicht verbreiten – mit dieser Absicht scheinen viele Fußballfunktionäre ins Congress-Centrum von Hamburg gereist zu sein. DFB-Präsident Bernd Neuendorf erzählt, was für eine grandiose Heim-Europameisterschaft er im kommenden Sommer erwartet. Uefa-Präsident Aleksander Ceferin sieht es ähnlich, lobt den DFB und die deutsche Infrastruktur und erklärt den europäischen Fußball zum unangefochtenen Weltmarktführer. Die DFL-Geschäftsführer Steffen Merkel und Marc Lenz erklären, dass sie bei der anstehenden Medienrechte-Ausschreibung ein gutes Ergebnis erwarten. Viele positive Erwartungen sind zu hören, längst nicht alle sind mit Fakten und stichhaltigen Argumenten unterfüttert. Und dagegen stehen sehr konkrete Risiken, Gefahren und Unsicherheiten, mit denen sich der Fußball in Deutschland und Europa auseinandersetzen muss.
Die Ungleichheit im europäischen Fußball nimmt zu
Und die haben auch mit der 50-Prozent-Regel zu tun: Weil der deutsche Fußball Investoren keine Stimmmehrheit gestattet, fehlen im Kapitalzuflüsse, die es in England und Italien reichlich gibt. „Da können wir finanziell nicht mithalten“, sagt auch Watzke. Finanzielle Ungleichheit ist überhaupt ein Thema: Die Schere zwischen den großen Klubs und dem Rest dürfte in ganz Europa immer weiter auseinandergehen, wenn in der Champions League künftig noch mehr Geld ausgeschüttet wird.
Die Premier League entwächst dem europäischen Wettbewerb durch immer höhere TV-Einnahmen. Und dann ist da ja noch Saudi-Arabien, wo die Liga gerade mit irrsinnigen Investitionen alternde Stars verpflichtet und zur Konkurrenz für die Champions League werden will – und
, allen Beteuerungen des Weltverbands Fifa in Sachen Menschenrechte zum Trotz.
DFB-Präsident Neuendorf sorgt für Mini-Wirbel
Und dann sorgte DFB-Präsident Neuendorf noch für einen Miniwirbel, als er Saudi-Arabien in einem Interview als „echtes Fußballland“ bezeichnete. Auf Nachfrage dieser Reaktion zeigte er sich verwundert über die Reaktionen: Er habe nur über die Situation in dem Land gesprochen, wie er sie aus Besuchen und Gesprächen kennengelernt habe – und sich kein bisschen auf die WM-Bewerbung oder die Menschenrechtslage in dem Königreich bezogen.
Klar ist: Saudi-Arabien hat eine deutlich größere Bevölkerung als Katar, hat tatsächlich eine Fußballtradition. Erwächst hier dem europäischen Fußball eine Gefahr? Nein, meint Uefa-Präsident Ceferin. „Meiner Meinung nach ist ihre Herangehensweise falsch“, sagt er. „Wenn man hauptsächlich überbezahlte Spieler holt, die in Europa nicht mehr mithalten können, entwickeln sich die eigenen Spieler nicht, das war in China ähnlich.“ Sein Fazit: „Den Fußball kann man nicht kaufen.“
DFL fürchtet um Wettbewerbsfähigkeit der Bundesliga
Einzelne Klubs aber schon und über diesen Weg pumpt nicht nur Saudi-Arabien viel Geld in den europäischen Markt, was die DFL mit Sorge beobachtet: „Wenn die Zuwendungen durch Investoren im Ausland unreguliert sind, ist es egal, ob wir bei den Medienrechten Zuwächse von zwei, vier oder acht Prozent haben – dann sind wir schlicht nicht wettbewerbsfähig“, meint Geschäftsführer Lenz. Seine Vorstellung: eine absolute Kostenobergrenze für Kader, die den deutschen Klubs massiv helfen würde im Wettbewerb, die aber in vielen Teilen Europas nicht auf Gegenliebe stößt. „Für uns ist das eines der zentralen Themen, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt Lenz.
Boom oder Bedrohung: Es ist alles dabei, wenn man den Fußballgrößen in Hamburg zuhört, es gibt an diesem Mittwoch viele Antworten – aber es bleiben noch mehr Fragen.