Bochum/Dortmund/Hagen. Die Reform im Jugendfußball durch den DFB wurde stark diskutiert. Wir haben uns in der Region umgehört. Wie wird sie umgesetzt?

Der Traum vom Profifußball drückt sich auf den Trikots aus. Auf Jakobs Rücken steht Ibrahimovic, Fred trägt Salah, Diyars Idol heißt Haaland. Bunte Blätter liegen auf dem Kunstrasen im Dortmunder Westen, leichter Wind weht, nicht weit entfernt drängeln sich die Autos auf dem Rheinlanddamm. Hier beim BSV Fortuna aber zählt nur der Ball, Drei-gegen-Drei wird gespielt, das Feld ist klein, die Tore sind es auch, Fred grätscht, Diyar schießt, Jakob rennt. Alles wirkt etwas chaotisch, so wie es eben aussieht, wenn sechs- bis siebenjährige Kinder Fußball spielen.

Reform im Jugendfußball - darum geht es

Ähnlich die Szenerie an der Hiltroper Straße in Bochum. Auch beim Training der U9 des VfL Bochum auf dem Gelände des Nachwuchsleistungszentrums wuseln die Kinder über den Platz, jubeln alle paar Sekunden über einen Treffer oder dribbeln sich am Gegenspieler fest. Immer im Zentrum: der Ball.

Auf der Bezirkssportanlage Emst in Hagen wird am Ende des Trainings noch einmal Vier-gegen-vier gespielt. Ballkontakte, Ballkontakte, Ballkontakte, darum geht es. Es wird gedribbelt und gepasst. Geht der Ball doch einmal aus dem Feld, ist der Trainer schnell zur Stelle und schießt ihn zurück. Nur keine lange Unterbrechung.

DFB-Pläne im Jugendfußball gibt es schon länger

Egal ob auf dem Fußballplatz des BSV Fortuna in Dortmund, des VfL in Bochum oder den Hagener Anlagen, hier sollen die Grundlagen gelegt werden, dass Deutschland in der Zukunft wieder mehr Talent hervorbringt. Feuer und Flamme ist Marius Kotsch. Seit sieben Jahren ist er als Jugendtrainer beim TSV Fichte Hagen aktiv: „Ich sehe es objektiv. Mit dem deutschen Fußball geht es bergab, es wurden viele Fehler gemacht. Gespielt wird ohne Stürmer, kein Fummeln, kein Tricksen mehr. Wenn etwas nicht mehr funktioniert, dann muss man etwas ändern.”

Bei der SpVg. Hagen 11 wird Wert auf das Spiel mit dem Ball gelegt.
Bei der SpVg. Hagen 11 wird Wert auf das Spiel mit dem Ball gelegt. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Seit Hannes Wolf als DFB-Direktor seine Pläne vorgestellt hat, den Jugendfußball zu revolutionieren, diskutiert das Land der Grätscher und Kämpfer über den Sinn der Reformen, die Dribbler und Künstler hervorbringen sollen. Dabei sind die Reformen nicht neu, es gab eine zweijährige Pilotphase. Nun erfolgt die bundesweite Umsetzung. „Es ist wichtig, dass Hannes Wolf den Kinderfußball in den Fokus gerückt hat und dass es jemand gemacht hat, der Erfahrungen im Jugend- und Profibereich mit sich bringt und dem diese Thematik wirklich am Herzen liegt“, sagt Max Sabottka, der für die Mannschaften der U9 bis zur U12 beim VfL Bochum verantwortliche ist.

Reform im Jugendfußball - die Reaktionen in der Region

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Kleinere Spielformen soll es geben, mehr Dribblings, mehr Zweikämpfe, Kleinfeldturniere, bei den Kleineren sollen die Tabellen wegfallen. Spielenachmittage und Festivals mit mehreren Mannschaften auf mehreren Spielfeldern, statt der klassische Spieltag. So „schaffen wir Widerstandsfähigkeit, dann kannst du dich nicht mehr verstecken“, meint Wolf. Borussia Dortmunds Geschäftsführer und DFB-Vizepräsident Hans-Joachim Watzke bezeichnete die Maßnahmen stattdessen als „unfassbar“ und „nicht nachvollziehbar“.

Ziel der Reform: Möglichst viele Ballkontakte für die Nachwuchsspieler

Sabottka war „verwundert“ ob der Diskussion. „Seit Jahren leisten wir hinsichtlich der Spielbetriebsformen Aufklärungsarbeit“, sagt er mit Bezug auf die Pilotphase. „Wir machen das von der U9 bis zur U12 seit mehreren Jahren und die Kinder wachsen damit auf.“ Aber um zu erfahren, wie derzeit auf den Plätzen trainiert wird, wie Wolfs Ideen wahrgenommen werden, wo die Probleme liegen, muss man vorbeischauen bei den Vereinen, über die gesprochen wird. Und vermutlich, so eine Erkenntnis, ist die Basis schon deutlich weiter als die Debatte.

Auch im Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) des Drittligisten MSV Duisburg setzt man schon lange auf kleine Gruppengrößen. „Wir haben darauf geachtet, dass wir keine großen Kader, keine großen Mannschaften haben, damit dann auch viele Kinder zu Spielzeit kommen“, sagt NLZ-Leiter Uwe Schubert. „Es ist ganz logisch, dass man im unteren Bereich, U8, U9, U10, so spielt.“

Das bestätigt Alexander Baumgardt, Jugendleiter und Jugendkoordinator der F- bis G-Jugend bei der SpVg. Hagen 11. „Wir trainieren schon immer so, wie es jetzt angedacht ist.“ Bedeutet konkret: Es sollen möglichst viele Ballkontakte generiert werden. „Das Spiel Sieben-gegen-sieben ist für Sechsjährige zu komplex, die Wahrnehmung ist in dem Alter noch nicht gegeben, um Mitspieler zu sehen und vernünftige Pässe zu spielen.“ Bei der reduzierten Mannschaftsgröße können sich die zurückhaltenden Spieler nicht mehr hinter ihren Mannschaftskollegen verstecken.

Trainer Christian Wurth (45) beim Jugendtraining der F-Jugend auf dem Platz des BSV Fortuna in Dortmund.
Trainer Christian Wurth (45) beim Jugendtraining der F-Jugend auf dem Platz des BSV Fortuna in Dortmund. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Beim BSV Fortuna steht Christian Wurth an einem Oktobertag an der Seitenlinie und gibt zu, dass er erst „schmal geguckt“ habe, als er von den Reformen bei einem Seminar mit Hannes Wolf erfahren habe. Drei-gegen-Drei habe nichts mit Fußball zu tun, habe er gedacht. Dann hätten sie bei der F2 mit den Spielformen angefangen. „Und wir haben sofort Fortschritte gesehen, die Kinder sind besser geworden. Erst war ich total dagegen, jetzt bin ich Feuer und Flamme.“

Nachwuchskicker haben sichtlich Spaß an den neuen Spielformen

Ein Sinneswandel, den auch Sabottka von Eltern kennt, die der Revolution zunächst kritisch gegenüberstanden. Wie solle es den Jungs auf dem Weg in den Profifußball helfen, wenn plötzlich nicht mehr Sieben-gegen-sieben gespielt wird? „Die Statistik lügt nicht“, hält er den Eltern gern vor. „Jeder Spieler hat in den neuen Spielformen mehr Ballkontakte.“ Spaß, Tempo, Dynamik, Intensität – es ist alles drin in der Spielform. Die Kinder sind alle involviert.

Max Sabottka ist beim VfL für die Jahrgänge U9 bis U12 verantwortlich.
Max Sabottka ist beim VfL für die Jahrgänge U9 bis U12 verantwortlich. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Etwas, was Philip Vaupel, der mit Wurth zusammen bei BSV Fortuna als Trainer aktiv ist, sehr schätzt. Kleinere Spielformen würden es möglich machen, auf die unterschiedlichen Entwicklungsstufen der jungen Fußballer einzugehen, meint er. „Sie sind mehr am Ball, führen mehr Zweikämpfe, müssen die Initiative übernehmen. Und natürlich wollen sie gewinnen, gewinnen, gewinnen.“ Das ist auch in Bochum spürbar. Die kleinen Nachwuchskicker haben sichtlich Spaß am Ball. Sind aber auch ehrgeizig, ärgern sich über jeden Fehlpass, verlorenen Zweikampf oder Schuss, der neben das mal kleine, mal große Tor geht.

Spielformen brachten in Niederlande und Belgien starke Dribbler hervor

Dass es im jungen U-Bereich keine Tabellen mehr gibt, sei daher kein Problem. „Der Sinn des Spiels ist es, das Spiel zu gewinnen. Das ist der Antrieb eines jeden Kindes“, sagt Sabottka. Ergebnisse und Tabellen seien sowieso eher für die Eltern abgeschafft worden, findet Alexander Baumgardt: „Die Kinder wissen immer, ob sie ein Spiel gewonnen haben, oder nicht.“

Für den Hagener Kotsch geht der Mehrwert über das reine Fußballspiel hinaus: Die Kinder seien angehalten, selbst Entscheidungen zu treffen, mit jedem Pass, mit jeder Aktion. „Sie müssen aktiv sein, können sich nicht verstecken. Das formt auch ihren Charakter.“ Und: „Wir verlieren weniger Kinder im Jugendfußball“, sagt Sabottka. Eine Win-win-Situation aus Sicht der Leute an der Basis. Aber auch keine neue Erfindung. In den Benelux-Ländern wird seit Jahren so trainiert – und herausragende Dribbler haben sich entwickelt. „Je mehr Zeit ich mit dem Ball verbringe, desto stärker bin ich. Das wird uns in Zukunft im deutschen Fußball nach vorn bringen“, ist sich Sabottka sicher. Und dann stehen vielleicht irgendwann die Namen der BSV-Kicker Jakob, Diyar und Fred auf den Trikots der Nachswuchs-Spieler.