Zermatt. So früh wie nie soll an diesem Wochenende die erste Weltcup-Abfahrt der Ski-Saison stattfinden. Das Projekt in Zermatt ist umstritten.
Es könnte alles so schön sein: strahlendblauer Himmel, schneebedeckte Gipfel, und über allem thront die markante Silhouette des weltberühmten Matterhorns. So sah es am Mittwoch aus, als die besten Abfahrer der Welt erstmals das neue Prestige-Projekt des Skiweltverbandes Fis in Angriff nahmen. Die Realität seitdem ist aber eine andere: Sturm und Schneefall verhinderten die weiteren Trainingsläufe für die Austragung der ersten grenzüberschreitenden Abfahrt von Zermatt in der Schweiz nach Cervinia in Italien. Auch die Rennen am Samstag und Sonntag (je 11.30 Uhr/Eurosport) stehen auf der Kippe, es sind stürmische Böen am Start auf über 3700 Höhenmetern vorhergesagt.
Die Experten überrascht das wenig. „Wir wissen natürlich, um die Jahreszeit ist es schwierig auf der Höhe“, sagte Marko Pfeifer, Cheftrainer der Männer beim österreichischen Skiverband. Will heißen: Gerade im Übergang zwischen Herbst und Winter herrschen in den Alpen auf großen Höhen häufig stürmische Windbedingungen. Die Organisatoren um den ehemaligen Schweizer Weltklasse-Abfahrer Didier Defago haben deshalb ohnehin drei verschiedene Startorte vorgesehen, auch ein Ausweichtermin ist mit dem kommenden Montag bereits geblockt.
Gran Becca - zu leicht oder genau richtig?
Es bleibt dabei, dass das neue Rennen auf der Gran Becca über 3,7 Kilometer unter keinem guten Stern steht. Schon im vergangenen Jahr musste die Premiere ausfallen, es gab Mitte November zu wenig Schnee. Immerhin: Mangelndes Weiß ist in diesen Tagen kein Problem. Rund um den Saisonauftakt vor zwei Wochen im österreichischen Sölden hielt der Winter Einzug in den Alpen. Wovon auch die Organisatoren in Zermatt profitierten und eine Piste hinbauten, die die Fahrer ins Schwärmen. „Es ist eine coole Strecke“, sagte der deutsche Abfahrer Thomas Dreßen, der in dieser Saison wieder um Siege mitfahren will. Von der Schwierigkeit her hält sich die Begeisterung aber bei den Aktiven in Grenzen. „Es ist eine gute Einstiegsabfahrt. Sie hat nichts Brutales“, sagte der Deutsche Romed Baumann. Leicht zu fahren, aber schwierig zu gewinnen, weil der kleinste Fehler viel Zeit kosten wird.
Was zunächst einmal negativ klingt, dürfte schlussendlich ein Vorteil sein – zumindest für die Fahrer. Ohne weite Sprünge oder vereiste Steilhänge sinkt das Verletzungsrisiko. Die Höhe und der Zeitpunkt tun allerdings ihr Übriges. Die Abfahrtsläufe in Zermatt/Cervinia werden so früh ausgetragen wie noch kein Speedrennen zuvor. Es ist ein Projekt, das seit der Verkündung im Jahr 2020 eine Menge Kritik einbrachte. Zu früh, zu unsicher die Wetterbedingungen, zu groß die Verletzungsgefahr, zu stark die Eingriffe in die Gletscherwelt in Zermatt. Vorwürfe, mit denen sich auch Sölden jedes Jahr konfrontiert sieht und die vor dem Saisonstart vor zwei Wochen erneut stark diskutiert wurden.
Abfahrtssaison begann in der Vergangenheit später
Problematisch sind die Rennen aber auch aus sportlicher Sicht. In der Regel reisen die Skiteams im europäischen Spätsommer nach Südamerika, um dort auch die Speeddisziplinen auf längeren Strecken trainieren zu können – so wie es die Deutschen im September in Chile taten. Seitdem waren Dreßen und Co. aber vor allem auf den österreichischen Gletschern unterwegs und konnten aufgrund der kurzen Hänge überwiegend nur Technik-Training im Riesenslalom machen. Die Rennhärte auf den langen Ski, die starr sind, brutal schnell werden können und große Gefahr bergen, wenn man sie nicht beherrscht, fehlt. Normalerweise gibt es in der jetzigen Jahreszeit erst die Speed-Camps in Nordamerika vor den Rennen in den USA und Kanada.
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Doch die Fis wollte nach dem Technik-Auftakt auch den Speed-Auftakt im Kerngebiet Europa haben, um die Skibegeisterung vor dem Winter weiter zu steigern und die Industrie anzukurbeln. Zermatt und Cervinia fanden sich als Ausrichter. Die Konsequenz: Schon Mitte November müssen die Abfahrer erstmals unter Wettbewerbsbedingungen an den Start gehen und haben danach drei Wochen Zeit, bis in Beaver Creek (USA) die nächsten Abfahrten ausgetragen werden. Vincent Kriechmayr, Abfahrtsweltmeister von 2021 sieht das Positive: „Das Zermatt-Rennen ist grundsätzlich ein cooles Projekt. Der Termin ist sehr passend, es war nach Sölden immer eine gewisse Pause.“
Fahrer kritisieren Logistik in Zermatt und Cervinia
Anstrengend ist allerdings die Logistik, bemängeln die Fahrer. Die Fahrten mit den Gondeln sind weit und dauern lange. Allein um zum Start zu gelangen, müssen die Weltbesten mit drei verschiedenen Bahnen fahren. Nach dem Rennen zurück ins Hotel sind es sogar fünf. „Das Drumherum ist etwas anstrengend“, sagte Simon Jocher.
Und dennoch ist die Vorfreude bei den Männern groß, bevor in der kommenden Woche die Frauen an gleicher Stelle ihre ersten Abfahrten bestreiten sollen. „Wir freuen uns extrem auf die ersten Speed-Event“, sagte Männer-Bundestrainer Christian Schwaiger. Sofern die Rennen denn ausgetragen werden können.