Foxborough/Massachusetts. Bundestrainer Julian Nagelsmann beginnt in den USA das EM-Casting. Auf diese Spieler ist bei der DFB-Reise mit den zwei Testspielen zu achten.

Als die deutschen Fußballer am Montagabend mit müden Augen, den Vorboten des Jetlags am noblen Renaissance-Hotel in Foxborough vorfuhren, war gerade die goldene Stunde angebrochen. So nennt sich die Zeitspanne am Abend, wenn die untergehende Sonne die Umgebung in ein besonderes Licht taucht. An der Ostküste der Vereinigten Staaten macht dies umso mehr her. Die vielen Bäume färben allmählich ihre Blätter. Es gibt nur wenige Orte auf dieser Welt, wo die Bezeichnung goldener Oktober anschaulicher ist.

Man kann das auch auf Mats Hummels beziehen. 34 Jahre alt ist Borussia Dortmunds Abwehrchef inzwischen, er verteidigt nun im Spätherbst seiner Karriere, die längst vergoldet ist. 2014 stemmte er den Weltmeister-Pokal in den Nachthimmel von Rio de Janeiro. Neun Jahre später schimmern seine Leistungen beim BVB zumindest wieder golden – und das ist der Grund, warum ihn der neue Bundestrainer Julian Nagelsmann nach knapp zwei Jahren Abstinenz in der Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit nach Nordamerika genommen hat.

Nagelsmann erwartet von Hummels eine Führungsrolle

„Ich habe ja schon erwähnt, dass er neben seiner fußballerischen Qualität jemand ist, der auch coacht, der ein großes taktisches Verständnis hat, der andere Spieler anleiten und Ideen weitervermitteln kann. Wir brauchen Spieler, die Verantwortung übernehmen“, sagte Nagelsmann. Hummels soll nicht nur die deutsche Abwehr stabilisieren, sondern dem Team ein Profil geben. „Ich nehme eine Führungsrolle ein, egal ob ich auf dem Platz stehe oder nicht“, meinte Hummels. Die Rückkehr sei „eine wahnsinnige und richtig schöne Bestätigung“ sagte er.

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Klar ist: Sollte Hummels in den beiden Testspielen am Samstag in Hartford gegen die USA (21 Uhr deutscher Zeit/RTL) und drei Tage später in Philadelphia gegen Mexiko (2 Uhr in der Nacht zu Mittwoch deutscher Zeit/ARD) überzeugen, hätte Nagelsmann sein Abwehrduo in Person von Hummels und Real Madrids Antonio Rüdiger, 30, acht Monate vor der Heim-Europameisterschaft gefunden.

Hummels ist einer der Profis, die bei Nagelsmanns erstem Casting für das Turnier im Fokus stehen. Aufgrund der überschaubaren Vorbereitungszeit auf den Ernstfall ist allerdings nicht davon auszugehen, dass der neue Chef an den ganz großen Namen rüttelt. Viel mehr wird es darum gehen, dass sich ein Stamm herauskristallisiert.

Lässt Nagelsmann Wirtz und Musiala zusammen spielen?

Nach wie vor offen ist die Besetzung der Außenverteidiger. Weiter vorne hat sich Nagelsmann, 36, durch die Bestätigung von Ilkay Gündogan (32) als Kapitän festgelegt, dass das Mittelfeld um den Ausnahmespieler des FC Barcelona aufgebaut wird. Interessant wird sein, ob Nagelsmann das geballte Talent in der Offensive mit Jamal Musiala (20, Bayern München) und Florian Wirtz (20, Bayer Leverkusen) gemeinsam auf den Platz bringt – und wo dann Leroy Sané spielt.

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Der 27-Jährige blühte jüngst unter Thomas Tuchel beim FC Bayern auf. Sané fehlte in seiner Karriere oft die Konstanz, sowohl im Klub als auch in der Nationalmannschaft. „Es hängt ganz viel mit seinem Wohlbefinden zusammen“, erklärte Tuchel den Formanstieg des gebürtigen Esseners. „Er ist herausragend talentiert und hat die physischen Fähigkeiten dafür. Er ist eine Maschine. Wenn er ruhig ist, klar ist, Freude hat, sich nicht ablenken lässt, dann sieht man ihm das an.“ Ein Unterschiedsspieler eben.

Der war auch Thomas Müller lange. Der 34-Jährige scherzte an Bord des Fliegers in die USA mit seinem alten Kumpel Hummels. Während sich in der Innenverteidigung niemand so recht aufdrängen konnte, ist die Offensive hochklassig besetzt. Bleibt da Platz für Müller, einen der Gewinner des Frankreich-Spiels? Auch eine Frage, die Nagelsmann beantworten wird.

Behrens und Führich könnten Startelfdebüt geben

Zu seiner Premiere als Bundestrainer hat der 36-Jährige drei Neulinge mitgenommen: In Person von Mittelstürmer Kevin Behrens, 32, von Union Berlin hätte der Bundestrainer gerne einen weiteren robusten Angreifer neben Dortmunds Niclas Füllkrug, 30. Chris Führich vom VfB Stuttgart spielt bei den Schwaben eine außergewöhnlich gute Saison. Der dribbelstarke 25-Jährige fühlt sich auf dem Flügel wohl, hat dort beim DFB aber große Konkurrenz. Und Robert Andrich soll im Mittelfeld Zweikämpfe gewinnen, der Leverkusener, 29, erhielt den Vorzug vor BVB-Kapitän Emre Can (29).

Dass einer aus dem Trio in den USA einen Stammplatz erobert, ist unwahrscheinlich. In erster Linie dürfte es Nagelsmann darum gehen, für frischen Wind zu sorgen, der nicht nur die bunten Blätter in den Wäldern des Bundesstaates Massachusetts zum Rascheln bringen soll.