St. Wendel/Essen. Radprofi Phil Bauhaus spricht vor der Deutschland-Tour über die Faszination Schlusssprint

Phil Bauhaus hat nun Zeit für ein Gespräch. Das Training ist beendet, gegessen hat der 29-Jährige auch. Nun heißt es Regenerieren – Alltag für einen Radprofi. Der Bocholter ist derzeit eines der prägenden Gesichter im deutschen Radsport, bei der Tour de France landete er dreimal auf dem Podium. Ab diesem Mittwoch (16.05 Uhr/SWR 3 und Eurosport) geht der Sprinter vom Team Bahrain Victorious bei der Deutschland-Tour an den Start, die mit einem Prolog im saarländischen St. Wendel beginnt und am Sonntag in Bremen endet. Auch an den Etappenzielen Winterberg (Freitag) und Essen (Samstag) erwartet er einige Selfie-Wünsche.

Torhüter, egal ob im Fußball oder Handball, sagen über sich, dass sie etwas verrückt sein müssen, weil sie sich Bälle um die Ohren schießen und werfen lassen. Was sind dann Sprinter, die auf schmalen Reifen und mit 70 Sachen auf die Ziellinie zufliegen, Herr Bauhaus?

Phil Bauhaus: Verrückt würde ich sie nicht nennen. Man hat jedoch auf jeden Fall eine höhere Risikobereitschaft. Im Gegensatz zum Berg, wo lange und intensive Fahrten für die Auslese sorgen, geht es im Sprint viel um Positionskampf, das richtige Hinterrad zu erwischen und die Teamkollegen um sich zu haben. Es ist dann auch ein Kontaktsport – und da braucht es mehr Risiko.

Haben Sie nie Angst?

Man hat Respekt bei jedem Rennen. Vielleicht auch gewisse Züge von Angst, wenn dann aber eher vor dem Start, wenn man im Teambus die Etappe bespricht. Ist die Ankunft kurvig oder gefährlich, denkt man sich schon mal: Mist, da hättest du dir für heute schon etwas Besseres vorstellen können. Im Rennen allerdings steht man so unter Adrenalin, man ist fokussiert und hat ein gutes Ergebnis vor den Augen – da stehen Respekt und Angst hinten an. Die darf man auch nicht zulassen, sonst ist man nicht vorne.

Beschäftigen Sie sich mit Unfällen? Beispielsweise mit den Bildern des fürchterlichen Sturzes von Fabio Jakobsen bei der Polen-Rundfahrt vor drei Jahren, der im Schlusssprint in ein Absperrgitter gedrängt worden ist.

Ich war damals bei dem Rennen dabei. Der Mensch kann viele Sachen schnell verdrängen. Der Sprint ging bergab mit 80 km/h, was eine große Diskussion ausgelöst hatte. Davor hatte ich schon immer Respekt, das habe ich aber auch auf Bergetappen, wenn wir die Abfahrten mit bis zu 100 km/h nehmen. Der Radsport ist in Sachen Sicherheit nicht am Ende angelangt, da gibt es definitiv Verbesserungspotenzial.

Beschreiben Sie doch mal so einen Massensprint, der immer spektakuläre Bilder liefert.

Man ist voll im Tunnel, nur auf das Hinterrad des Vordermannes fokussiert und versucht, so kraftsparend wie möglich dadurch zu kommen. Wenn der Sprint losgeht, haut man alles raus. Das Gefühl, dabei als Erster über die Ziellinie zu fahren, ist gar nicht so leicht zu beschreiben. Es ist die Belohnung für das Leiden im Training. Das macht es beim nächsten Mal wieder erträglicher. Die Emotionen sind durchweg positiv, ich freue mich auch für die Jungs, die so für ihre Arbeit belohnt werden. Ich erhalte im Anschluss viele Nachrichten. So viel Aufmerksamkeit zu bekommen, ist ein schönes Gefühl – fast wie am Geburtstag. Letztlich ist es sowohl ein sportlicher als auch beruflicher Erfolg.

Mit drei Podestplatzierungen bei der Tour de France gehen Sie als einer der besten Radsportler des Landes in die Deutschland-Tour. Wie groß ist die Vorfreude? Was sind die Ziele?

Als Sprinter ist immer das Ziel, eine Etappe zu gewinnen. Die Vorbereitung lief nicht ganz so wie erhofft. Ich hatte nach der Tour de France ein paar gesundheitliche Probleme. Die Vorfreude auf die Deutschland-Tour ist nun aber groß. Es ist immer etwas Besonderes, in Deutschland Radrennen zu fahren. Für uns Profis bietet sich nicht mehr so häufig die Chance dazu. Von daher freue ich mich sehr – und ich bin gespannt, ob sich für mich persönlich nach der Tour de France etwas verändert hat, ob ich öfter erkannt werde.

Kommt das nun häufiger vor?

Definitiv, meist passiert das, wenn ich mit dem Rad unterwegs bin. Dann werde ich um Selfies gebeten oder gefragt: Bist du Phil Bauhaus? Auch wenn ich privat unterwegs bin, ohne Rennkleidung und Rad, kommt das nun häufiger vor. Man darf sich das aber auch nicht so vorstellen wie bei einem Fußballer oder Popstar, dass ich 20 Fotos am Tag mache – das bleibt alles im Rahmen.

Man fühlt sich geschmeichelt, oder?

Klar. Bisher war jeder sehr nett und überhaupt nicht aufdringlich. Von früher kenne ich ja auch die andere Seite. Als Kind hätte es für mich nichts Cooleres gegeben, als ein Foto mit meinen Idolen zu machen.

Wen hätten Sie damals gefragt?

Ich bin im extremen Radsport-Boom großgeworden und habe mit dem Sport angefangen, als ich ungefähr acht Jahre alt war, also in den Jahren 2003 oder 2004. Da ging kein Weg an Jan Ullrich vorbei. Zudem habe ich Erik Zabel und Rolf Aldag, der später ein Jahr mein sportlicher Leiter wurde, verfolgt.

Wie blicken Sie heute auf diese Leute? Sie alle haben Doping gestanden.

Es war eben eine andere Zeit, seitdem hat sich im Sport viel getan. Heute bin ich selbst Profi, vor allem mit mir selbst beschäftigt. Radsportler, zu denen ich aufblicke, habe ich nicht mehr.

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Die Tradition im Sprint ist groß: Erik Zabel, André Greipel, Marcel Kittel, nun Pascal Ackermann und Sie. Auf einen, der um einen Tour-Gesamtsieg mitfährt, wartet man seit Jan Ullrich. Überspitzt: Warum kann Deutschland nur im Sprint mithalten?

Emanuel Buchmann wurde 2019 Gesamtvierter bei der Tour de France, das war schon ein großer Erfolg. Trotzdem: Woran es im Endeffekt liegt, dass es wenige Klassementfahrer gibt, ist schwierig zu sagen. Grundsätzlich fehlen die Talente. Als ich in den Boom-Zeiten angefangen habe, wurden logischerweise mehr Talente gefunden. Leider hat der Radsport in den Medien noch immer aufgrund seiner Dopingvergangenheit einen schlechten Ruf. Da liegt es nahe, dass Eltern ihre Kinder fragen, ob sie nicht doch lieber Fußball spielen wollen.

Sprinter wurden dennoch entdeckt.

Als Sprinter ist es vielleicht leichter, Ergebnisse einzufahren. Du musst nicht der Schnellste sein, wenn man taktisch gut ist und ein starkes Team hat. Als Bergfahrer musst du über Stunden Leistung bringen. Das können nur ein paar Leute auf der Welt, und da ist es eben schwer, wenn man ein bisschen weniger Talent mitbringt. In Person von Emanuel Buchmann, Lennard Kämna und Maximilian Schachmann haben wir gute Bergfahrer, die dann bei einer Grand Tour rund um Platz zehn landen – leider wird das in Deutschland nicht so wirklich wahrgenommen, wenn man nicht ums Podium mitfährt. Irgendwann jedoch wird schon wieder jemand kommen, dem das gelingt.

Einerseits die Doping-Vergangenheit. Andererseits steigen die Mitgliederzahlen im Bund Deutscher Radfahrer, die TV-Quoten bei der Tour sind so gut wie seit Jahren nicht mehr. Wo steht der Sport ihrer Meinung nach?

Es gibt generell ein sehr großes Potenzial. Wir sind ein Fahrradland. Aber da ist eben die Doping-Vergangenheit. Mir ist klar, dass die Berichterstattung über dieses Thema Aufgabe des Journalismus ist und dass in Deutschland stärker darauf geschaut wird als in anderen Ländern. Dennoch muss man sich meiner Meinung nach nicht wundern, wenn sich ein zwölfjähriges Kind zweimal überlegt, ob es mit Radsport beginnen möchte, wenn es bei den Tour-de-France-Übertragungen sehr viel um Doping geht. Das führt zu Schubladendenken. Selbst wenn demnächst mal ein Deutscher ums Gelbe Trikot mitfährt, wird jeder Zweite denken: Der ist doch eh gedopt. Das wird sich auch erstmal nicht ändern.