Frankfurt/Hagen. Warum Vorstand Helmut Schgeiner weitere Sperrungen von Autobahnbrücken und „gigantische Mehrkosten“ bei Schwertransporten befürchtet.

Einem Gutachten des Bundesrechnungshofs zufolge sind 5000 Brücken an Bundesautobahnen und Fernstraßen marode. Werden weitere Autobahnbrücken das Schicksal der Rahmedetalbrücke erleiden? Das Bauwerk an der Sauerlandlinie bei Lüdenscheid wurde im Dezember 2021 dauerhaft gesperrt, im Mai 2023 gesprengt und wird derzeit neu gebaut. Helmut Schgeiner (58) ist Vorstandssprecher des Bundesverbandes Schwertransporte und Kranarbeiten (BSK) – und von Hause aus Bauingenieur.

Hat Sie seinerzeit die dauerhafte Sperrung der Rahmedetalbrücke – von einem Tag auf den anderen – überrascht?

Leider nein. Irgendwann musste es so weit kommen. Schon vor 20 Jahren war dem Bundesverkehrsministerium bekannt, dass die Brücken-Infrastruktur eines Tages aufgebraucht ist; dass die Alters-Pyramide der Brücken sehr speziell ist. Aber: Man ist schlichtweg von dem Verschleiß überrollt worden. Er ist deutlich schneller eingetreten, als es die Experten prognostiziert hatten. Heute weiß man: Wenn regelmäßig saniert worden wäre, hätten wir nicht den aktuell katastrophalen Zustand.

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Wenn man weiß, dass die Lebensdauer von Autobahnbrücken begrenzt ist, warum hat man nicht frühzeitig gegengesteuert?

Es ist wie so häufig in der Politik: Man setzt Prioritäten und steckt womöglich Geld, das für die Sanierung von Brücken zwingend benötigt würde, in andere Bereiche. Finanzielle Not herrscht eben an vielen Stellen. Und dann findet sich ein weiteres wiederkehrendes Muster: Der Bund wartet so lange mit Finanzspritzen, bis der Leidensdruck nicht mehr zu ertragen ist. In diesem Fall: bis ein bestimmter Grad an Brücken-Schädigungen überschritten ist. Aber, wie wir jetzt sehen: Untätigkeit oder fortwährendes Aufschieben rächt sich eines Tages. Hinzu kommen Spezifika der deutschen Autobahnbrücken.

Was meinen Sie damit?

Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte ein großer Bedarf an Infrastruktur. Also wurden Brücken auf die Schnelle gebaut. Viele von ihnen haben jetzt ihr natürliches Alter erreicht. Und es wurden damals viele Unikate gebaut. Heute ist man schlauer und wendet bei Neubauten mehr Systembauweise an. Das heißt: Wenn eines Tages Sanierungs- und Unterhaltungsarbeiten bei einer Brücke anstehen, kann man dann standardisiert arbeiten und muss nicht für jedes Bauwerk ein Individualkonzept erarbeiten. Wie aufwändig das ist, sehen wir gerade an der Rahmedetalbrücke im Sauerland.

Helmut Schgeiner (58) ist Vorstandssprecher des Bundesverbandes Schwertransporte und Kranarbeiten (BSK).
Helmut Schgeiner (58) ist Vorstandssprecher des Bundesverbandes Schwertransporte und Kranarbeiten (BSK). © BSK | RENE SPALEK PHOTOGRAPHY

Sie sind studierter Bauingenieur und waren lange Zeit im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes tätig. Was sagt der Bauingenieur in Ihnen: Werden wir in absehbarer Zeit noch weitere dauerhafte Autobahnbrückensperrungen à la Rahmede erleben?

Ich befürchte weitere Brückensperrungen. Allein von der Statistik her müssen wir von vergleichbaren Fällen ausgehen. Wenn Sie mich fragen, wie häufig kurzfristige Sperrungen eintreten, sollten Sie mir aber besser eine Glaskugel geben. Glasklar ist aber, dass nicht zuletzt wegen der Rahmedetalbrücke die zuständigen Verwaltungen sensibler im Umgang mit Brückenbauwerken geworden sind. Es wird aufmerksamer auf den Bestand geschaut, noch intensiver geprüft als ohnehin schon und es werden schnell Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Die bürokratischen Hürden in den Genehmigungsprozessen werden nicht kleiner.

Wie stark trifft denn das Problem maroder Autobahnbrücken den Schwertransport?

Außerordentlich. Die Umsetzung von Großraum- und Schwertransporten ist sehr stark auf die Nutzung von Autobahnen fixiert. Es ist ein Unterschied, ob man mit einem Pkw oder einem normalen Lkw Umleitungen über Stadt- und Landstraßen fahren muss – oder mit einem Großraum- und Schwertransport. Das ist weitaus aufwändiger. Wir merken schon, dass Verwaltungen aus Vorsichtsgründen zunehmend teils weite Umleitungen für Schwertransporte verlangen, wenn sich eine Brücke einem kritischen Zustand nähert. Dieser zusätzliche Aufwand führt am Ende des Tages zu Mehrkosten, die an die Auftraggeber weitergegeben werden müssen. Also: Es leidet nicht nur die Transportbranche unter maroden Brücken, sondern die Wirtschaftsbranchen, die Schwertransporte benötigen, um ihre großen Projekte durchzuführen.

Zum Beispiel?

Hauptauftraggeber sind der Maschinen- und Anlagenbau. Wenn man so will, wird auch die Energiewende mit der Windenergie als treibender Kraft durch kaputte Brücken ausgebremst. Nehmen Sie den Fall, dass Sie irgendwo einen Windenergiepark errichten und plötzlich feststellen, dass die zentrale Zufahrt über eine Autobahn wegen einer maroden Brücke nicht mehr geht. Wenn es schlecht läuft, müssen Teile-Transporte hunderte von Kilometern Umweg fahren. Das hat gigantische Mehrkosten zur Folge, und auch die Gesamtkalkulation von Projekten ist kaum noch seriös zu erstellen.

Schwertransporte sind auch notwendig, um die Sanierung und den Neubau von Autobahnbrücken - wie die Rahmedetalbrücke - voranzutreiben… 

Das ist ja der Irrsinn, dass aufgrund maroder Brücken auch der Transport großer und schwerer Bauteile und von Kränen umständlicher wird, die an vielen Stellen für Infrastrukturprojekte benötigt werden. Die Folge daraus sind Verzögerungen und Kostenexplosionen. 

Ihrer Branche wird in der öffentlichen Diskussion immer wieder mal vorgehalten, dass Schwertransporte für den schlechten Zustand der Brücken mitverantwortlich sind – weil sie einfach zu viel Gewicht auf die Bauwerke ausüben. Wie begegnen Sie dem Vorwurf?

Ich kann ihn, ehrlich gesagt, nicht mehr hören. Ein Brückenbauingenieur würde das niemals behaupten, leider hat sich da in der Öffentlichkeit ein gewisses Halbwissen breit gemacht. Richtig ist: Ich habe noch keinen wissenschaftlichen Nachweis gesehen, der belegt, dass Brücken durch Schwertransporte geschädigt werden. Am Ende werden Schäden durch überladene „normale“ Lkw verursacht, die täglich in großer Zahl über die Bauwerke fahren. 

Sie sind 58 Jahre alt. Sie haben vor einiger Zeit gesagt, dass Sie es nicht mehr erleben werden, dass alle maroden Brücken in Deutschland repariert oder neu gebaut sind. Haben Sie jegliche Hoffnung verloren?

Mein Gott, das war doch nur eine Zuspitzung. Wenn man angesichts dieser Infrastruktur-Katastrophe die Zuversicht verliert, könnten viele Wirtschaftsbranchen – auch meine - die Arbeit einstellen. Man muss sich immer vor Augen führen, dass Autobahnbrücken anspruchsvolle Bauwerke sind, die sich nicht von jetzt auf gleich aufwändig sanieren oder irgendwo in die Gegend stellen lassen. Es ist auch eine Frage der Kapazitäten: Selbst, wenn sie Geld ohne Ende hätten, könnten Sie nicht an allen Ecken gleichzeitig Brücken bauen. Dazu fehlt es auf Seiten der Bauwirtschaft an Personal, Material und Maschinen. Am Knowhow und Können jedenfalls mangelt es in unserer Bauwirtschaft, bei der Autobahn GmbH und im Bundesverkehrsministerium nicht.

Hat die Politik die Notwendigkeit der Sanierung bzw. des Neubaus von Autobahnbrücken erkannt?

Ich denke schon. Aber wir haben ja erst jüngst bei den Gesprächen um den Bundeshaushalt 2025 mitbekommen, wie jedes Ressort versucht, für sich mehr herauszuholen. Jedem müsste klar sein: Beim Thema Infrastruktur muss man große Summen in die Hand nehmen, damit man in der Gesamtheit etwas bewegen kann. Gerade, wenn die Infrastruktur an manchen Stellen bereits am Limit ist. Also: Der Sanierungsbedarf wird weiter steigen. Man darf gespannt sein, welche Prioritäten in der Legislaturperiode nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr gesetzt werden.

So oder so: Die Sanierung baufälliger Autobahnbrücken bleibt eine Mammutaufgabe…

Natürlich. Bedenkt man aber, wie viele zigtausend Brücken wir in Deutschland haben, sind wir immer noch mit einem blauen Auge davongekommen.