Hagen. „Es nutzt ja nichts, wenn ich Theater mache, das die Stadt nicht braucht“, sagt Søren Schuhmacher. Mit uns spricht er über seine Pläne.

Søren Schuhmacher sprudelt über vor Ideen. Man muss den Mann nicht lange fragen, was er mit dem Theater Hagen vorhat. Bei diesem Thema gerät der 51-Jährige in Leidenschaft. Søren Schuhmacher wird ab der Spielzeit 25/26 Intendant in Hagen, dem ältesten Bürgertheater Westfalens. Derzeit lernt er das Haus gründlich kennen. Machen ihm die vielen Baustellen, die er mit dem neuen Job übernimmt, Angst? Im Interview spricht Søren Schuhmacher über seine Pläne.

Als Francis Hüsers im Jahr 2017 Intendant in Hagen wurde, gab es 20 Jahre Renovierungsstau bei Bestuhlung, Toiletten und weiteren Aspekten der Infrastruktur für Besucher. Heute sind es 27 Jahre Renovierungsstau. Sie müssen aber neue Sparvorgaben erfüllen. Schreckt Sie das nicht?

Das Theater Hagen ist wunderschön, und es kann auch ganz viel. Aber natürlich müssen wir uns Gedanken machen, wie wir es schaffen, dem Theater langsam wieder ein aufgefrischtes Gesicht zu geben. Ich möchte dafür gemeinsam mit dem Geschäftsführer Dr. Thomas Brauers eine Strategie entwickeln und auch Kontakte in die Stadtgesellschaft pflegen. Das funktioniert nur, wenn man ein Theater macht, wo die Menschen gerne reingehen. Das schafft man nie und nimmer alleine.

Es ist ein tolles Haus: Der neue Intendant Søren Schuhmacher über das Theater Hagen.
Es ist ein tolles Haus: Der neue Intendant Søren Schuhmacher über das Theater Hagen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Wann kommen die Menschen denn gerne? Derzeit kämpft das Theater Hagen mit schlechter Auslastung.

Dann muss ich wohl mit dem Leierkasten raus und diese Menschen finden, die nicht mehr kommen. Die erste Frage, die ich mir gestellt habe, als ich in den Bewerbungsprozess ging, war: Mit wem und für wen machen wir Theater in Hagen? Wir wissen, was demographisch in Hagen und in der Region passiert. Wir dürfen keine Angst davor haben, und wir dürfen es nicht ignorieren. Nach Corona stellt sich die Frage: Wie kriege ich mein klassisches Publikum zurück? Hätte ein „Rigoletto“ in Hagen derzeit genauso viel Publikum wie die Rockshow? Aber wir müssen auch rausgehen, in die Stadtteile, und die Geschichten finden, welche die Menschen dort haben.

„Jeden Tag, wo wir die Pforten aufmachen, müssen wir uns sagen: Das, was wir hier tun, hat totale Relevanz.“

Søren Schuhmacher, künftiger Intendant des Theaters Hagen

Theater für migrantische Milieus war bisher in Hagen nicht erfolgreich. Es wurden viele Kräfte und viele Mittel für Projekte eingesetzt, aber die Menschen kamen nicht. Oder sie kamen einmal und dann nicht wieder.

In Darmstadt waren unsere Projekte erfolgreich. Wir müssen schauen, dass wir auch Stoffe finden, die für diese Kulturkreise relevant sind. Das ist eine große Aufgabe, und es kann auch nur ein Drei-Säulen-Modell sein, denn parallel dazu kann es nur das Ziel sein, das klassische Publikum wieder herzuholen. In Regionen, wo der persönliche Wohlstand hoch ist, gibt es höllisch gute Auslastungszahlen. In Hagen ist der persönliche Wohlstand nicht so hoch, da wird es schwieriger, und man muss helfen, zum Beispiel mit einer Neugestaltung des 9-Euro-Tickets. Zusammen mit den bekannten Sparvorgaben gibt das ein sportliches Puzzle, das ich mit Leidenschaft angehe.

Søren Schuhmacher

Der künftige Hagener Intendant Søren Schuhmacher ist seit 2019 am Staatstheater Darmstadt Künstlerischer Betriebsdirektor und Stellvertreter des Intendanten in künstlerischen Fragen. Seit 2020 verantwortet er zudem das Casting im Musiktheater. Der Vater von zwei Söhnen wurde in Hamburg geboren und studierte in Köln Musikwissenschaft und Philosophie. Bereits als Student besuchte Schuhmacher Vorstellungen am Theater Hagen. Søren Schuhmacher ist ein Intendant, der auch Regie führt. Er hat Erfahrung an vielen Bühnen sammeln können, unter anderem in Bayreuth und an der Komischen Oper Berlin, wo er von 2006 bis 2010 Oberspielleiter und Mitglied der erweiterten Direktion war.

Corona hat die Erwartungen des Publikums verändert. Die Menschen wollen wieder verzaubert werden und nicht erleben, wie große Klassiker auf der Bühne dekonstruiert werden.

Alles, was Selbstreferentiell ist im Leben, ist in der Hölle der Egomanie verloren. Aber wir haben einen Auftrag: die „Fledermaus“ und andere Klassiker lebendig zu halten. Mein Schlüsselbegriff ist poetischer Realismus. Damit kommt man ganz schön weit, jedenfalls weiter als mit Dekonstruktion. Jeden Tag, wo wir die Pforten aufmachen, müssen wir uns sagen: Das, was wir hier tun, hat totale Relevanz.

Und deshalb spielen Sie…?

Verrate ich noch nicht. Meine große Leidenschaft ist es, Stücke zu finden, die vielleicht nicht so im Bewusstsein sind, die aber mit dem Haus und der Größe des Orchesters in Resonanz treten. Ich möchte gerne mit dem Publikum Mozart neu entdecken, den frühen Verdi und das slawische Repertoire. Und ich möchte das in Dimensionen tun, die das Haus auch leisten kann. Dieses Haus ist toll und hat eine große Tradition, aber es hat eine Kerngröße im Orchester und eine Kerngröße auf der Bühne. Es ist wichtig, Stücke zu finden, die mit dieser Kerngröße kommunizieren. Und all das muss man mit viel Liebe vermitteln. Ich habe ganz viele Ideen, und während ich diese Ideen habe, höre ich anderen Menschen zu. Es nutzt ja nichts, wenn ich ein Theater mache, das diese Stadt nicht braucht.

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Damit sind wir beim Stichwort: mit wem? Neue Intendanten bringen üblicherweise ihre eigene Truppe mit und entlassen die Kräfte im Haus.

Für mich ist es wichtig, der Belegschaft zuzuhören. Ich bin gebucht, um Evolution zu betreiben, nicht um Tabula rasa zu machen, ich reise nicht mit einer eigenen Armada an. Derzeit spreche ich mit dem Ensemble und mit der musikalischen Abteilung. Stand jetzt bin ich glücklich, dass es auf vielen Ebenen mit neuen Schwerpunkten so weiter gehen kann. Ich werde versuchen, das Ensemble aufzubauen und ein bisschen zu vergrößern, ich bin eine Wolfsmutter, ich bin ein absoluter Ensemblemensch. Wir können dahin kommen, dass wir das Programm aus den Ressourcen des Ensembles denken, trotz Sparzwängen. Das muss zusammen mit Thomas Brauers mit dem spitzen Bleistift gerechnet werden, ich bin kein Naivling. Aber mir wäre sehr daran gelegen, Stücke des Standardrepertoires herauszubringen, die ich aus dem Haus besetzen kann. Wir müssen weiter so relevant bleiben, dass niemand auf die Idee kommt, dass man uns nicht mehr brauchen könnte.