Hagen. Für Bühnen wie das Theater Hagen beginnt die Corona-Krise erst jetzt. Es darf wieder gespielt werden, doch kaum einer kommt. Woran liegt das?

Zurück zur Normalität? Unmöglich. Denn die Corona-Krise an den Theatern und anderen Kulturbetrieben geht jetzt erst los. Das Publikum kommt nicht zurück. Nun beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Und der nächste Coronawinter steht schon vor der Tür. Scheitern die Bühnen, weil sie Vor-Corona-Theater einem Nach-Corona-Publikum anbieten möchten?

„Ein Drittel des Publikums ist wieder da“, bestätigt zum Beispiel der Hagener Intendant Francis Hüsers. Heißt: Zwei Drittel der Besucher sind weg. Und dann die Frage: Zwei Drittel wovon? In der Ära des Intendanten Norbert Hilchenbach kamen teilweise 188.000 Gäste pro Spielzeit ins Theater Hagen. Im Jahr vor Corona war diese Zahl aus unterschiedlichen Gründen schon stark geschrumpft. Die Theater in Deutschland stellen sich derzeit viele Fragen. Liegt der Publikumsrückgang wirklich nur an der Pandemie, an der Angst, sich in einem gut belüfteten Theatersaal anzustecken. Oder werden jetzt Effekte wirksam, die sich schon andeuteten, aber nicht ernst genommen wurden?

Sehnsucht nach Zauber

Tatsache ist: Künstlerisch ist das Theater Hagen so gut aufgestellt wie schon lange nicht mehr. Das junge motivierte Ensemble singt qualitativ weit über Stadttheaterniveau. Das Philharmonische Orchester erspielt sich unter GMD Joseph Trafton viele Sympathien. Tatsache ist aber auch, dass viele Besucher sich nach gut und verständlich erzählten Geschichten sehnen, während es den Regie-Teams häufig um den besonders originellen Interpretationsansatz geht. Am Beispiel der Hagener „Hänsel und Gretel“-Inszenierung lässt sich dieser Konflikt gut beschreiben. Die pandemiegeplagten Besucher erhofften sich nach zwei bitteren Jahren Zauber und Märchenwald, sie bekamen aber einen vereisten Kühlschrank mit explodiertem Inhalt.

Intendant Francis Hüsers ist indessen überzeugt, dass der Hagener Besucherschwund keine programmatischen Ursachen hat. „Die Besucher, die kommen, sind alle begeistert. Ich erhalte eigentlich nur positive Rückmeldung. Es ist keine programmatische Frage, weil ich mich persönlich als Intendant wirklich bestätigt fühle, die ganze Bandbreite zu machen, von der Rockshow bis zur Uraufführung und damit dem Stammpublikum ein Angebot mache, das sie noch nicht kennen.“

Flexible Angebote für Abonnenten

Zwei Drittel der ursprünglichen Abonnenten sind laut Hüsers wieder an Bord, das fehlende Drittel habe noch um Bedenkzeit gebeten. Hüsers: „Wir wollen ganz flexible Angebote machen.“

Während Rockshow und Musicals wie Anatevka auch in pandemischen Zeiten gut laufen, die Sinfoniekonzerte ebenfalls begehrt sind, entwickelt sich die Oper mehr und mehr zum Sorgenkind, dabei ist sie das Rückgrat des Hauses. Hüsers: „Als ich hier antrat, habe ich „Tosca“ von meinen Vorgängern übernommen. Die Auslastung war 59 Prozent. Bei Tosca! Was soll ich denn noch spielen, wenn selbst Tosca in Hagen nicht funktioniert?“

Mit dieser Frage verbindet sich die Überlegung, wie das Theater Hagen in zehn Jahren aussehen kann. Das NRW-Kulturministerium stärkte mit erhöhten Landeszuschüssen die Möglichkeiten der Bühne, sich breiter aufzustellen. Hilfreich sei auch die Unterstützung der Fördervereine. „Was ich inhaltlich toll fand, dass es die Aktion ,Jeder Schüler ins Theater’ auch als Gruppenkarten gibt, so dass Schulklassen zum Beispiel ,Hamlet’ besuchen können. Da bin ich dem Theaterförderverein wirklich dankbar.“

Vertrauen ist schnell verspielt

Doch Francis Hüsers und Theater-Geschäftsführer Dr. Thomas Brauers wissen auch, dass alle Fördergelder nichts nutzen, wenn der Vorstellungsbesuch enttäuschend verläuft. Vertrauen ist schnell verspielt. Hüsers: „Der einzige Weg, Leute ans Theater zu bringen, ist ein positives Theatererlebnis.“ Daher will das Theater in Stadt und Region nach der Spielzeitpause mit einem Paukenschlag Präsenz zeigen. Festival-Stimmung à la Berliner Waldbühne soll mit zwei großen Open-Air-Angeboten auf der Springe in Hagen entstehen, wenn am Samstag, 27. August, umsonst und draußen ein Best of aus der Oper „Carmen“ erklingt und am 28. August die Philharmoniker „Videogames in concert“ spielen. „Wir wollen aus der Krise raus. Solche Angebote gehören dazu“, sagt Brauers. „Das ist für alle Theater ein Thema.“

Weniger Publikum bedeutet weniger Einnahmen. Die Ausgaben steigen hingegen, denn vor wenigen Tagen haben der Deutsche Bühnenverein als Arbeitgeberorganisation und die Bühnengewerkschaft eine Erhöhung der Mindestgage an deutschen Theatern beschlossen. Sie wird künftig bei den Beschäftigten nach dem Normalvertrag Bühne von 2000 Euro in zwei Stufen auf 2715 Euro angehoben, als Reaktion auf die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro. Diese Erhöhung muss vom Rechtsträger getragen werden, das sind in NRW die Kommunen, die aber ihrerseits finanziell unter Druck stehen.

Wie viel Zeit bleibt also dem Theater Hagen, sein Publikum zurückzugewinnen? Thomas Brauers: „Die Stadt würde uns die Pistole auf die Brust setzen, wenn wir sagen, wir kommen mit dem Geld nicht klar. Aber wir haben noch Rücklagen und es gibt auch noch Bundeszuschüsse. Zwei, drei Spielzeiten haben wir Zeit, um die Kurve zu kriegen in Richtung Nachcorona-Zeit.“

www.theaterhagen.de