Hagen. Eine flächendeckende Versorgung mit Priestern wird es künftig nicht mehr geben, sagt der Paderborner Erzbischof Bentz. Was hat er vor?
Als Dr. Udo Markus Bentz am Tag seiner Amtseinführung mit dem Kaffeebecher in der Hand auf der Domplatte plauderte, ahnten die Katholiken bereits, dass dieser Erzbischof ein neues Amtsverständnis mit nach Paderborn bringen könnte – nicht hinter Weihrauchwolken entrückt, sondern kommunikativ. Derzeit bereist der neue Oberhirte die Dekanate, trifft Messdiener, Gemeindereferentinnen, Ehrenamtliche – und hört vor allem zu. Was hat der Neue vor? Im Interview mit unserer Redaktion schildert Erzbischof Bentz, vor welchen Herausforderungen er die Diözese sieht.
Frage: Was sind Ihre drängendsten Baustellen?
Erzbischof Bentz: Die offene Frage ist: Wie geht es weiter mit der pastoralen Arbeit in der Fläche? Das treibt viele um. Passen die Strukturen noch zu dem, wie wir derzeit Kirche erleben? Die Vielgestaltigkeit der Region zwischen Sauerland und Ostwestfalen, zwischen Dortmund und Siegen ist herausfordernd. Es kann keinen einheitlichen Masterplan geben, weil das Gesicht von Kirche so verschieden ist. Es braucht aber verlässliche Rahmenbedingungen. Auf dem Land sind kirchliche Gebäude identitätsstiftend, und in der Stadt gibt es eine diakonische Herausforderung angesichts der sozialen Frage. Für mich ist es erst einmal neu, das zu sehen und zu sortieren.
Erzbischof Udo Markus Bentz gilt als Tierfreund, und es geht auch die Erzählung, er hätte einen Hund. Doch das stimmt nicht. „Ja, ich hatte einen Hund. Aber derzeit habe ich keinen. Doch ich ringe mit mir, mir wieder einen zuzulegen. Der Zeitpunkt ist aber noch zu früh. Dafür kenne ich meine Rolle noch zu wenig.“
Geografisch erstreckt sich das Erzbistum Paderborn über knapp 15.000 Quadratkilometer. Das entspricht ungefähr der Fläche von Schleswig-Holstein. Im Priesterseminar sitzen aber nur noch eine Handvoll Kandidaten. Wie soll das künftig gehen, ohne Frauenordination?
Derzeit studieren sieben Kandidaten im Priesterseminar. Die Zulassung von Frauen für sakramentale Ämter ist Thema des Synodalen Weges und wird uns dort weiter beschäftigen. Aber auch in Rom hat Papst Franziskus die Frage im Rahmen der Weltsynode einer Kommission übertragen. Gerade in dieser Woche hat er über diese Frage mit der K 9 – seinem Beraterkreis von Kardinälen – gesprochen. Die ganz großen Fragen können wir nicht für uns allein entscheiden. Dahinter steckt aber noch eine andere Frage: Kirche muss sich neu besinnen. Was sind denn eigentlich die Charismen? Also die Begabungen jedes einzelnen Getauften? Das steht im Hintergrund, wenn wir fragen, wie sich das sakramentale Amt weiterentwickelt und wie sich die Strukturen entwickeln. Wer wird künftig in der Fläche das Gesicht der Kirche sein? Ist das nur der Priester, der Seelsorger? Das ist die Frage, die uns beschäftigen wird. Denn die Optimierungsstrategie, also die Gemeinden zu immer größeren organisatorischen Einheiten zusammenzulegen, ist an ihr Ende gekommen. Wir befinden uns in einem grundlegenden Transformationsprozess der Seelsorge.
„ Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich die Aufarbeitung von Missbrauch zu einem Schwerpunkt machen möchte.“
Den Arbeitstag beginnt Erzbischof Bentz früh, um 5.30 Uhr. „Meine Morgenzeit ist mir wichtig, mit Kaffee, lesen und Gebet. Das ist meine spirituelle Zeit, da halte ich Zwiesprache mit Gott.“ Udo Bentz liest in der Regel mehrere Bücher parallel, „ganz querbeet“. Derzeit fesselt ihn Colum McCanns Roman „Apeirogon“ über die Freundschaft zwischen einem Israeli und einem Palästinenser, die beide ein Kind verloren haben. „Abends ist nicht mehr viel drin. Dann trinke ich mal gerne ein gutes Glas Wein und höre Musik, aber nicht einmal das schaffe ich derzeit.“
Lassen Sie die Kirche im Dorf?
Genau das ist die Fragestellung unseres Immobilienprozesses. Wie entwickeln sich unsere finanziellen und personellen Ressourcen auf die Zukunft hin gesehen weiter? Schon das Neue Testament sagt: Sei ein guter Hausvater. Das, was man hat, muss verantwortlich und vorausschauend verwaltet werden. Deshalb können wir nicht blauäugig sagen, dass es egal ist, wie sich die Kirchensteuer künftig entwickelt.
Der neue Erzbischof war begeisterter Chorsänger, das wird die zahlreichen Gesangvereine in der Meisterchor-Region Südwestfalen freuen. Als Jugendlicher hat er Klarinette, Saxofon und Akkordeon gespielt, dafür ist aber seit dem Studium keine Zeit mehr. Zum Entspannen geht er hinaus in die Natur, „bewegen, bewegen, bewegen“.
- Diese Sauerländer stehen vor Erzbischof Bentz am Altar
- Wallfahrt Werl ist eröffnet: Was ist neu und was bleibt?
- Neuer Bischof Dominicus: Er behält ein Zimmer in Meschede
Schätzt die Kirche ihre Gotteshäuser nicht zu gering ein?
Kirche braucht immer einen Raum. Die Frage ist, wie das, was vorhanden ist, genutzt werden kann? In welcher Art von Räumen wird der Glauben erlebbar, auch für die, die auf Distanz sind? Ich denke, wir sind da schon im Umbruch. Wir müssen Seelsorge und pastorale Räume neu denken, innovative Orte in der Gesellschaft schaffen, an denen Glaube und Kirche erfahrbar sind. Die werden künftig ganz unterschiedlich sein. Es gibt schon jetzt gute Beispiele, das Festival Spiritueller Sommer in Südwestfalen ist eines davon mit Kunstwerken mitten in der Landschaft, wir haben offene Lichterkirchen, die von Radtouristen gut angenommen werden, das Kolumbarium mitten in der Großstadt Dortmund ist für manche Menschen auch ein Verweilort, dann gibt es einen Hinterhof im Norden Dortmunds, wo sich junge Frauen für Kinder aus sozial schwierigen Familien engagieren. Da ereignet sich auch Kirche. Nicht in jedem Projekt steht unbedingt Kirche drauf, wo Kirche tatsächlich drin ist. Wir wollen nicht für wenige, sondern für möglichst viele da sein. Wir müssen Kirche vielfältiger denken. Die flächendeckende Versorgung wird es nicht mehr geben, dafür wird es aber verlässliche Zentren und neue, vielfältige Orte von Kirche geben.
Wird Kirche dann nicht beliebig?
Kirche braucht verlässliche Orte, wo es ein Gottesdienstangebot und die grundlegende Seelsorge gibt und Ansprechpartner. Die Frage ist allerdings, wie viele dieser verlässlichen Orte wir brauchen. Fest steht: Wo das Leben spielt, muss Kirche sein.
Das Erzbistum Paderborn wappnet sich für die Veröffentlichung der unabhängigen Missbrauchsstudie im Frühjahr 2025. Haben Sie Angst vor den Inhalten der Studie?
Ich bin der Überzeugung, dass wir nur in die Zukunft gehen können, wenn wir uns der ganzen Wirklichkeit stellen. Das ist unbequem, das kostet Kraft, aber das verbinde ich nicht mit der Kategorie Angst. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich die Aufarbeitung von Missbrauch zu einem Schwerpunkt machen möchte, um sich dieser Wirklichkeit zu stellen, damit man in die Zukunft gehen kann. Ich habe schon viele Gespräche mit den Interventions- und Präventionsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern geführt und war auch schon mehrfach mit der Betroffenenvertretung und mit einzelnen Betroffenen im Gespräch, um zu hören, was ist Sache, wie ist mit Betroffenen umgegangen worden, wie ist der Stand der Dinge, was braucht es? Ich habe mich auch mit der Aufarbeitungskommission und dem Forscherteam getroffen und mit dem Diözesankomitee über das Thema gesprochen. Daraus habe ich erfahren: Es gibt verschiedene Stränge der Aufarbeitung. Wichtig ist, dass man diese Einzelstränge gut miteinander verknüpft, so dass ein Gesamtbild entsteht, und erkennbar wird: Was verändert sich denn? Was hat sich schon getan? Wohin wird es sich weiter verändern? Wie ernsthaft und transparent gehen wir mit dem Thema um? Das ist für mich nichts anderes, als eine Basis zu schaffen, dafür, dass Menschen uns neu vertrauen. Wir müssen uns der Realität stellen und möglichst viele Betroffene ermutigen, sich uns anzuvertrauen. Der Fokus muss darauf liegen: Was wird anders, damit sich das nicht wiederholt.
Die Wahl zum Erzbischof hat das persönliche, private Leben von Dr. Udo Bentz „durchgerüttelt“, wie er sagt. „Abends sich mal spontan mit Freunden zu treffen, zusammen kochen und essen, das geht noch nicht, dafür bin ich definitiv noch nicht ausreichend angekommen. Das Ziel ist, dass ich mehr Zeit habe, um draußen zu sein oder mich mit anderen zu treffen. Das muss sich noch ein bisschen ruckeln.“
Wie wollen Sie mit den Betroffenen umgehen?
Das Betroffensein hat ja ganz verschiedene Dimensionen. Betroffene gut in den Blick zu nehmen, das muss die Leitmaxime sein. Aber wir müssen auch das Umfeld der Betroffenen in den Blick nehmen und fragen: Was macht das mit den Menschen? Und wir müssen das Umfeld der Täter und Beschuldigten in den Blick nehmen. Das ist für mich eine wichtige Herausforderung. Bei allen, die in unterschiedlicher Weise von Missbrauch betroffen sind, entstehen Dynamiken, die nicht einfach sind: Schuldgefühle, Verdächtigungen, Scham, Wut. Ich kann nicht sagen: Jetzt guckt, wie Ihr damit zurechtkommt. Wir müssen die Orte benennen, ja, und wir brauchen Transparenz, aber wir müssen das ganze Umfeld in den Blick nehmen, die Hauptamtlichen, die sich fragen, ob sie damals mehr hätten machen müssen, die Ehrenamtlichen, die sich fragen, warum sie damals ihrem Bauchgefühl nicht getraut haben, warum es Gerede gab, aber nicht gehandelt wurde. Eine Pfarrei, in der etwas geschah, wird zum irritierten System, wie wir sagen. Da braucht es viel Begleitung und Unterstützung. Das ist anstrengend, das wird kein Spaziergang. Aber es ist notwendig.