Hagen. Sie hat bei der Flut in Hagen die Wohnung verloren: Wie Claudia Streusel mit Hilfe-Anträgen kämpft und warum sie im zweiten Übergangs-Haus lebt.

Es ist jetzt mehr als vier Monate her, dass Claudia Streusels Kellerwohnung in Hagen-Hohenlimburg beim Hochwasser überflutet wurde. Die vierköpfige Familie verlor alles: die komplette Einrichtung und die Dinge, die sich auf und in den Möbelstücken befanden. „Hinter uns liegt eine Zeit mit Höhen und Tiefen“, sagt die 38 Jahre alte Kinderpflegerin, die sich von der WESTFALENPOST in einem Langzeit-Report nach der Flut beobachten lässt.

Ein Hoch war die Rückkehr nach Hohenlimburg, die Claudia Streusel, ihr Partner Oliver Ortzeck und die zweijährigen Zwillinge soeben vollzogen haben. Ein Tief der geplatzte Traum, Weihnachten wieder in der alten Wohnung zu sein.

Schon das zweite Übergangs-Domizil für die Flutopfer

Seit zwei Wochen lebt die Familie zur Miete in einem Haus der Kath. Kirchengemeinde St. Bonifatius, über der Wohnung des Pfarrers. „Alles, was hier steht, wurde uns geschenkt“, sagt Claudia Streusel und zeigt auf den Fernseher, die Puppenwagen und andere Spielsachen, auf Stühle oder das Schlafsofa. Ausnahme: die Couch. Die hat das Paar jetzt bei Ebay Kleinanzeigen für 60 Euro erworben: „Die feste Sitzfläche ist besser für unsere Rücken.“

+++ Der Langzeitreport:

- Folge 1: Familie aus Hohenlimburg: „Wir waren auf einmal obdachlos“

- Folge 2: Die Familie, die alles verlor, will zurück ++++

Es ist die zweite Übergangswohnung nach der Flutkatastrophe. Unmittelbar danach hatte sich ein Vermieter aus Iserlohn-Letmathe gemeldet. Er habe eine freie Wohnung im Haus. Das großherzige Angebot („Wir mussten nur die Nebenkosten begleichen“) haben sie gerne angenommen. „Wir waren so dankbar. Schön, dass es solche Menschen noch gibt“, schwärmt Claudia Streusel. Von vorneherein sei klar gewesen, dass es nur eine Lösung auf Zeit ist, dass der Vermieter die Räume alsbald zum Eigengebrauch benötige. Das war jetzt der Fall.

Weihnachten noch in dem neuen Zuhause

Die Suche nach einer neuen Zwischenlösung gestaltete sich schwierig. „Keiner wollte eine Wohnung auf Zeit vermieten“, blickt Claudia Streusel zurück. Über eine Freundin erfuhr sie, dass bei St. Bonifatius eine Wohnung frei geworden war. Direkt an der Kirche, in der Claudia Streusel getauft wurde und zur Erstkommunion ging. „Als wir zum ersten Mal die Räume betraten, haben wir uns sofort wohl gefühlt.“

Die Familie hat sich damit abgefunden, dass sie Weihnachten nicht „in unserem schönen Zuhause“ sein kann, 300 Meter Luftlinie von der jetzigen Bleibe entfernt. „Wir müssen nach vorne schauen. Versuchen, Normalität in den Alltag zu bringen“, sagt Claudia Streusel. Sie hat die Zimmer adventlich dekoriert. Vor dem Fest kommt ein Tannenbaum hinzu. „Wir machen es uns so gemütlich wie es eben geht.“

Schlamm- und Wassermassen haben die Kellerwohnung von Claudia Streusel und Oliver Ortzeck in Hagen-Hohenlimburg komplett zerstört.
Schlamm- und Wassermassen haben die Kellerwohnung von Claudia Streusel und Oliver Ortzeck in Hagen-Hohenlimburg komplett zerstört. © Unbekannt | Privat

In den Räumen ihrer alten Wohnung waren bereits die Trocknungsgeräte entfernt, als das Grundwasser wegen einer defekten Drainage plötzlich nach oben drückte und die Wände wieder feucht machte. Alle Pläne einer baldigen Rückkehr waren dahin. „Es steht in den Sternen, wann wir zurück können.“

Nach der Flutkatastrophe hatte die Hohenlimburger Familie eine Welle der Hilfsbereitschaft erlebt. Wildfremde Menschen halfen beim Wegräumen der Schlammmassen, der zerstörten Möbel und des Inventars. Die Hilfe von außen ist zum Erliegen gekommen. „Man gerät in Vergessenheit“, sagt Claudia Streusel, die keinesfalls damit Mitleid provozieren will. „Man sieht weiter Bilder aus den zerstörten Gebieten im Ahrtal, aber auch in Hagen haben Familien alles verloren.“

Aufbauhilfe: Komplizierter Antrag, den Familie Streusel ausfüllen muss

Dort wurde Flutopfern wie Familie Streusels per Soforthilfe (3000 Euro vom Land, 500 Euro von der Stadt) schnell und unbürokratisch geholfen. Im September hat Claudia Streusel zwei Tage für den Online-Antrag für die staatliche Aufbauhilfe gebraucht. „Das war nicht einfach“, sagt sie und meint nicht nur das Aufführen jedes einzelnen bei der Flut zerstörten Gegenstandes. „Kommen Sie erst einmal an Angaben wie die Steuer-Identifikationsnummern meiner Kinder, wenn die Unterlagen von den Wassermassen zerstört wurden.“

+++ Lesen Sie auch: Wir machen uns Sorgen, wie wir das alles bezahlen sollen +++

Der Antrag wird seit dem September geprüft. Bei einem positiven Bescheid, so Claudia Streusel, bekomme eine Familie mit zwei Kindern 28.000 Euro, abzüglich der bereits gezahlten Soforthilfe. Geld, das irgendwann für die Einrichtung der grundsanierten alten Wohnung benötigt wird. Wegen der fehlenden Elementarversicherung kann die Familie auf keine finanzielle Hilfe von anderer Seite hoffen.

Am Schluss zeigt Claudia Streusel das Schlafzimmer, in dem alle vier Familienmitglieder die Nächte verbringen. In zwei provisorischen Stoffschränken befinden sich Kleidungsstücke. „Als die Flut nach Hagen kam“, erzählt die 38-Jährige, „waren wir gerade im Urlaub und hatten Sommer-Sachen dabei. Die Winterkleidung fiel dem Wasser zum Opfer. Wir mussten uns komplett neu eindecken.“

>> LANGZEITREPORT: Wir begleiten Flutopfer

  • Am 14. Juli 2021 veränderte die Flutkatastrophe das Leben vieler Menschen. Sie verloren ihr Hab und Gut, trauern über Verluste vielfältiger Art.
  • Wir begleiten seitdem Claudia Streusel und ihre Familie aus Hagen, nehmen Anteil an ihren Anstrengungen, zurück in ihr Leben zu finden.