Hagen. Claudia Streusel und ihre Familie haben beim Hochwasser in Hagen ihr Hab und Gut verloren. Wir begleiten sie in den nächsten Monaten.

Mit der 100-Quadratmeter-Kellerwohnung im Hagener Stadtteil Hohenlimburg hatten sich Claudia Streusel und Oliver Ortzeck ihr kleines Paradies geschaffen. „Wir wollten es uns hier richtig schön machen“, erzählt Claudia Streusel, „schließlich ist es unsere erste gemeinsame Mietwohnung.“

Das Wohnzimmer nach dem Hochwasser. 
Das Wohnzimmer nach dem Hochwasser.  © Privat

Als ihre Zwillinge vor zwei Jahren zur Welt kamen, schien das Glück vollkommen. Die Flut in Hagen hat vor fünf Wochen das Traum-Zuhause der Familie in wenigen Stunden weggespült.

Auch Erinnerungsfotos weg

Hochwasser und Schlamm haben alles, was sich in den Zimmern befand, unbrauchbar gemacht. Kein Möbelteil und kein Kleidungsstück in den Schränken konnten gerettet werden, die vielen Erinnerungsfotos auf der Festplatte des Rechners sind ein für allemal weg.

Und doch will das Paar nach einer Kernsanierung der Räume zurück „auf den Berg“, wie es sein Daheim nennt.

Pflastersteine unterschiedlich hoch

Claudia Streusel empfängt die Reporter am Ende der langen Auffahrt zu dem Wohnhaus. Die Pflastersteine in unterschiedlicher Höhe lassen erahnen, mit welcher Urgewalt die Wassermassen unterwegs waren. Die Kinderpflegerin führt die Gäste durch die massive Haustür aus Holz, die jetzt verzogen ist, aber „noch so einiges abgehalten hat“.

Bauarbeiter schaben mit Spachteln Tapetenreste von den Wänden und vergrößern so die Berge von Papier-Fetzen auf dem Boden. Den Estrich hatten sie schon komplett entsorgt – unter ihm hatte sich in Styroporplatten Nässe gesammelt.

Die Kellerwohnung muss komplett kernsaniert werden.
Die Kellerwohnung muss komplett kernsaniert werden. © WP | Michael Kleinrensing

Der einzige Einrichtungsgegenstand, der sich derzeit noch in einem der Räume befindet, ist der Gefrierschrank. Er ist ebenfalls kaputt. „Es sieht hier schon wieder ganz gut aus“, sagt Claudia Streusel, während der Zuhörer zunächst an eine Mischung aus Zweckoptimismus und Galgenhumor denkt.

Dicke Schlammschicht im Wohnzimmer

Dass sie es ernst meint, zeigt ein Blick auf ein Handy-Foto am Tag nach dem Hochwasser. Zu sehen ist das Wohnzimmer-Sofa, umzogen von einer dicken Schlammschicht. Auch dieses Möbelstück landete in einem riesigen Müll-Container.

Als sich vor fünf Wochen unglaubliche Wassermassen auf dem Parkplatz des nahen Pflegeheims sammelten und plötzlich nach unten schossen, waren Claudia Streusel und Oliver Ortzeck gerade mit den Kindern im Urlaub. „Freunde hatten zwar Bilder geschickt und uns vorgewarnt“, schildert die 38-Jährige, „aber als wir die Haustür öffneten, herrschte nur noch blankes Entsetzen.“

Eine Welle der Hilfsbereitschaft

Ein Blick in das Wohnzimmer, daneben die Terrasse.
Ein Blick in das Wohnzimmer, daneben die Terrasse. © WP | Michael Kleinrensing

Das aber schnell durch eine Welle der Hilfsbereitschaft aufgefangen wurde: „Wildfremde Menschen kamen an, stellten sich kurz vor und halfen beim Wegräumen des Schlamms und dem Entsorgen der Möbel. Mir sind die Tränen gekommen.“

Hochwasserhilfe vom Land

Während die Elementarversicherung des Vermieters die Kosten für die Kernsanierung übernimmt, kommt niemand für die unbrauchbaren Gegenstände in der Wohnung auf.

Anfang der Woche ist die 3000-Euro-Hochwasserhilfe vom Land auf Claudia Streusels Bankkonto überwiesen worden, hinzu kommen 500 Euro Soforthilfe von der Stadt Hagen und private Spenden. „Wir versuchen, so viel wie möglich davon zur Seite zu legen, damit wir irgendwann unsere Wohnung wieder einrichten können.“

Das „Irgendwann“ wird sein, wenn die Handwerker-Arbeiten beendet sind und die Wohnung desinfiziert und trocken ist. „Aber das wird noch lange dauern“, sagt Claudia Streusel, „ich hoffe, dass wir Weihnachten wieder daheim sind.“

Auch vor der Haustür tun sich Bilder der Verwüstung auf.
Auch vor der Haustür tun sich Bilder der Verwüstung auf. © WP | Michael Kleinrensing

Derzeit lebt die Familie, und das ist auch einer der Lichtblicke in der Notlage, in einer 65 Quadratmeter großen Übergangswohnung in Iserlohn-Letmathe. Der Vermieter hatte sich bei Facebook gemeldet und gleich auch eine Möbel-Sammlung zum Bestücken der leeren Wohnung organisiert.

Derzeit in einer Übergangswohnung

Claudia Streusel und Oliver Ortzeck müssen nur die Nebenkosten begleichen. „Wir können dem Vermieter nicht genug danken. Wir wären sonst auf der Straße gelandet.“

Und doch bleibt die Situation schwierig. „Unsere zwei Jahre alten Zwillinge“, erzählt die Mutter, „waren erst im Urlaub in ungewohnter Umgebung, dann bei Oma und Opa und nun in der Übergangswohnung. Sie sind unruhig, möchten nicht in den Kindergarten.“

Bei allen Sorgen versuchen die Eltern stark zu sein für ihre Kinder. „Die Sache hat uns noch mehr zusammengeschweißt. Wir sind stolz darauf, wie wir den Alltag meistern.“

Sandsäcke in der Garage

Und doch: Fragt man Claudia Streusel, was ihr am meisten fehlt, überlegt sie nicht lange: „Unsere Wohnung.“ Natürlich hätten Menschen von ihr wissen wollen, ob sie sich eine Rückkehr gut überlegt habe. Was ist, wenn Hohenlimburg eines Tages wieder von einem Hochwasser heimgesucht wird?

Auch wenn das Paar und ihr befreundeter Vermieter jetzt vorsorglich Sandsäcke in der Garage deponiert haben, blenden sie diese Horrorvorstellung aus. „Sehen Sie“, sagt Claudia Streusel, „das hier ist doch unser kleines Paradies.“

<<< HINWEIS >>>

Wie es in den kommenden Monaten mit Claudia Streusel und ihrer Familie weitergeht, darüber werden wir an dieser Stelle regelmäßig berichten.